Werbung
Werbung
Werbung

Leidens- und Kriegsbilder, Retuschen, Urheberrechtsdelikte: Fotografien lösen seit Anbeginn ihrer Geschichte Diskussionen und Rechtsstreitigkeiten aus, wie eine Ausstellung im Kunst Haus Wien an vielen Beispielen auf sehr informative Weise zeigt.

Bis zum Hals steckt das kleine Mädchen in jenen Schutt- und Schlammmengen, die 1985 nach dem Ausbruch des Vulkans Nevado Del Ruiz in Kolumbien 24.000 Menschen den Tod brachten. Das Kind starb an Herzversagen, weil die Bergeausrüstungen nicht rechtzeitig eintrafen. Jenes Foto, das Frank Fournier damals von ihm schoss, erschütterte die Welt. Fournier erhielt für das Bild den World Press Award, aber er haderte jahrelang mit sich, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, abzudrucken: Einerseits wurde die Öffentlichkeit durch sein Foto erst auf das Mädchen, sein Leid und das seiner Mitmenschen aufmerksam, andererseits fragte er sich, ob es möglich sei, Tragödien zu zeigen, ohne die Würde des Einzelnen zu verletzen. Weniger Skrupel hatte Todd Maisel im September 2001, als er entgegen der Vereinbarungen der Medien, keine 9/11-Leichen zu bringen, das Bild eines abgetrennten Armes veröffentlichte.

Ob Zweifel, Diskussionen, Skandale oder Rechtsstreitigkeiten: Fotografien sind seit Anbeginn ihrer Geschichte Auslöser von „Kontroversen“, wie das Kunst Haus Wien in seiner gleichnamigen Ausstellung anhand von rund 100 Fotos dokumentiert. Die breite Palette reicht von Aufnahmen, die heute bestehende Urheberrechtsgesetze erst notwendig machten, über solche, die heute längst überholte Tabus erstmals brachen und somit die überschrittenen Grenzen neu definierten, bis zu frühen Sensationsfotos und Retuschen. Jede der im Kunst Haus ausgestellten Arbeiten hat eine aufregende Perzeptionsgeschichte, die in informativen Saaltexten wiedergegeben wird. Stets weht die Frage durch den Raum, was man in Fotos zeigen darf, was man zeigen muss.

Aber auch, was man verändern darf. „Whoever controls images, controls minds“ – wer die Bilder kontrolliert, kontrolliert die Hirne, sagte Bill Gates einmal. Denn Fotos schaffen eine eigene Realität, während sie suggerieren, die wahre Realität abzubilden. Der russische Besatzungssoldat, dessen Uhren wegretuschiert wurden, um die Gerüchte von Plünderungen zu unterbinden, Jean-Paul Sartre ohne die ursprünglich auf dem Foto vorhandene Zigarette, Stalin ohne seinen im Original abgebildeten Volkskommissariats-Chef. Je mehr man verstand, wie groß die Macht der Bilder war, desto mehr nutzte man auch die Möglichkeiten der Manipulation – nicht erst in Photoshop-Zeiten sind Fotografien nur scheinbare Abbilder der Wirklichkeit. Ja selbst ohne Retusche können Bilder irreführen, Interpretationen folgen dem Betrachten auf dem Fuße. Wer warf die Atombombe auf Kim Phucs Dorf? Wessen Gräueltaten sind wirklich auf einem Foto aus dem spanischen Bürgerkrieg abgebildet, jene der Franco-Anhänger oder jene des republikanischen Lagers? Beide Seiten wollten das Bild nutzen, um den Gegner anzuprangern.

An Einzelfällen interessiert

Dass das Wissen um die Interpretationsvielfalt aber auch Vorsicht auslöst, zeigt ein neueres Foto: Besteht die Gefahr, dass hinter Angelina Jolie oben ohne samt Pferd Sodomie vermutet wird? Weniger als vermutet geht die Ausstellung auf die Veränderung von Tabus im Laufe der Zeit ein, mehr an Einzelfällen interessiert lässt sie Vergleiche beiseite.

Nicht allein im Laufe der Jahre, auch im Vergleich der Kulturen werden Tabus unterschiedlich gehandhabt, wie die Benetton-Kampagne von Oliviero Toscani zeigt. Der Kuss einer Nonne und eines Priesters wurde von Teilen der italienischen Bevölkerung als schockierend bezeichnet und auf Druck des Vatikans verboten, in England erhielt das Foto einen Preis, hier wurde aber ein Bild eines blutverschmierten Babys kurz nach der Geburt zensuriert, das in Italien die Plakatwände zieren durfte.

Die Ausstellung im Kunst Haus wird zur Schule des Sehens, stellt dem Besucher die Macht der Bilder einmal mehr vor Augen – und lässt auch eine spannende Randbeobachtung zu: In Zeiten, in denen wir als so abgebrüht gelten, ist es umso interessanter, dass Personen unter 14 der Besuch der Ausstellung verboten ist und auch sensiblen Menschen von diesem abgeraten wird.

Kontroversen

Kunst Haus Wien

Untere Weißgerberstraße 13, 1030 Wien

bis 20. Juni, tägl. 10–19 Uhr

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung