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2013 hat es mit dem Wagner/Verdi-Jubiläum opernmäßig in sich. Der Weg von der Florentiner Camerata bis zu "La donna è mobile“ und "Hojotoho“ war lang, verlustreich und aufregend.

Ob sich Mitwirkende wie Publikum bei der Uraufführung der Favola dramatica "Dafne“ von Jacopo Peri (1561-1623) im Frühjahr 1598 in Florenz bewusst waren, Zeugen bei der Geburt einer neuen bahnbrechenden Kunstform zu sein? Wohl kaum. Die (leider nicht erhaltene) erste Oper der Weltgeschichte war nur das vorläufige Endergebnis einer langen Entwicklung von den mittelalterlichen Mysterienspielen über die Tanz- und Madrigalkomödien der Frührenaissance. Durch die Erfindung der Monodie, des einstimmigen, nur von Grundharmonien begleiteten Gesanges, sollten Wort und Musik gleichberechtigt vermählt das klassische Drama der Antike wiederbeleben. Die Kunst der vielstimmigen Vokalpolyfonie hatte ausgedient, die Seele des Einzelnen sollte wieder ertönen. Jede erfolgreiche Revolution in der Kunst beginnt mit einer Reduktion. Es war ein durchaus wissenschaftlicher Zugang, der die gelehrten Herren der Florentiner Camerata leitete. Wissenschaft und Kunst waren damals Parallelaktionen mit deutlichen Berührungspunkten. Einer der wichtigsten Vorläufer der neuen Kunstform, Vincenzo Galilei (1520-1591), war nicht nur Schöpfer einiger sehr erfolgreicher Monodien (leider ebenfalls nicht erhalten), sondern auch der Vater von Galileo Galilei, dem Begründer der modernen Wissenschaft. Man darf darüber meditieren, wie die Welt der Wissenschaft heute aussähe, wenn Galileos Vater nicht Opernkomponist sondern z. B. Bankkaufmann gewesen wäre. Harmonia Mundi?

Monteverdis Genie

Die erste erhaltene Oper, "Euridice“, 1602, ebenfalls von Peri, ist ein weitgehend rezitativisch gestaltetes Stück von mehrstündiger Dauer, das zu Recht nur mehr akademische Würdigung erfährt. Es bedurfte der Hand eines Genies, um der neuen Kunstform zum Durchbruch zu verhelfen. Schon in seinem Erstlingswerk, der Favola in musica "L’Orfeo“ von 1607, lockerte Claudio Monteverdi die strenge Eintönigkeit durch liedhafte Passagen und madrigaleske Chorstellen, erfand somit Opernarie wie Opernchor und sicherte dem Musikdrama durch Erfolg den Bestand für Jahrhunderte. Nicht das erhöhte Drama, nicht die reine Verschmelzung von Worten und Tönen hatte gesiegt. Der dramatische Einzel- und Chorgesang hat die Massen durch seine Sinnlichkeit entzückt und die neue Kunstform zum Dauerbrenner der Kulturgeschichte gemacht. Der oft beschworene "Irrtum“ bei der Erfindung der Oper war nicht das Missverständnis der Aufführungstradition des griechischen Dramas, sondern das falsche Kalkül, die Musik betreffend. "Versuche Tonkunst und Dichtung zu vermählen, immer wird die Musik, die einem leichteren Reiche entstammt, nach ihrem Sinn herrschen“, dichtet Franz Werfel in seinem "Verdi - Roman der Oper“ (die Nachttisch-Literaturempfehlung für das Opernjahr).

Einbeziehung des Balletts

In Venedig öffnete 1637 das erste öffentliche Opernhaus seine Pforten. Der Erfolg war bahnbrechend, in der Folge wuchsen zahlreiche Häuser aus dem Boden. Der aus Florenz stammende Jean Baptiste Lully (1632-1687) brachte die neue Kunstform nach Frankreich, wo sie durch die nachhaltige Einbeziehung des Balletts eine eigene Ausprägung erhielt. Ein Umstand, den Richard Wagner noch 1861 bei seinem "Tannhäuser“-Debakel in Paris heftig zu spüren bekam. Alessandro Scarlatti (1660-1725) verpflanzte die venezianische Oper nach Neapel, wo sie ihre erste große Blüte und den darauf unweigerlich folgenden Niedergang erlebte. Erst hier wurden die Rezitative secco, quasi trockengelegt, und dafür die Arien umso voluminöser. Virtuosität und Koloratur beherrschten die Bühne, der Belcanto erscheint zum ersten Mal. Hier wurde die Oper wirklich zur Oper. Durch Scarlattis viele Schüler, allen voran Georg Friedrich Händel, wurde sie in die Welt getragen, zumindest bis London. Ganze Meere von Tinte wurden verschrieben, um den großen Bedarf zu decken. Das Publikum wollte ständig Neues. Mit Händel beginnt auch unsere heutiges Opernbewusstsein: das Repertoire.

Die ehemals neue Kunstform hatte schon deutlich Fülle angesetzt, als ein Deutscher kam, vielleicht kommen musste, um dem barocken Koloraturenspaß aus Italien ein Ende zu setzten. Christoph Willibald Gluck (1714-1787) wurde der erste große Opernreformator. Bei seinem Reload griff er auf die Ursprünge zurück, setzte die Gleichberechtigung von Wort und Ton wieder ins Recht und schuf durch packende Opernchöre und verschlankte Arien wieder starke dramatische Akzente. Ohne sein Wirken wären die Meisterwerke Mozarts undenkbar. Man vergleiche die Orakelszene aus Glucks "Alceste“ von 1767 mit der Orakelszene aus "Idomeneo“ 1781 oder der Friedhofsszene aus "Don Giovanni“ 1787 und man wird sehen: Da hat einer dem anderen aber gut zugehört.

Triumph über die Vergänglichkeit

Gluck war in vielfacher Hinsicht bemerkenswert. War er doch der Einzige, der mit der Chorgewerkschaft der Pariser Oper fertig geworden ist (was Wagner nicht gelang). Diese Reform, wie auch der Reformator, wurden durch das Feuer gestählt. Das war auch bitter nötig, denn die italienische Fraktion rief 1774 zum Buffonistenstreit auf, dem ersten sozusagen globalen Opernwettkampf, der die Überlegenheit der neapolitanischen Oper beweisen sollte. Aber da man auf italienischer Seite nur den eher unbedeutenden Niccolò Piccinni (1728-1800) aufzubieten hatte, ging der Sieg klar an Deutschland. Vorerst. Denn schon bald sollte die Musik wieder "nach ihrem Sinn herrschen“ (Werfel, "Verdi“). Die zweite Belcanto-Generation, Gioachino Rossini (1792-1868), Gaetano Donizetti (1797-1848) und Vincenzo Bellini (1801-1835), schuf mit dem Melodrama tragico und der Opera buffa die italienische Oper der Romantik. Die absolute Herrschaft der Melodie.

Kunst ist der Triumph über die Vergänglichkeit. Das Erzählte wie das Geschriebene ist Festhalten und somit Erinnerung an das Geschehene; das Bildliche ist die Erinnerung an das Gesehene. Die Musik aber ist das Festhalten des Ausdrucks, der Empfindung. Und in der Verbindung der drei Erinnerungsebenen, des Geschehens, des Sehens und der durch Musik gesteigerten Empfindung, liegt die Macht der Oper. Und diese Macht hatte damals ihre Wirkung. Am 29. August 1830 brachte eine Aufführung der Oper "La Muette de Portici“ ("Die Stumme von Portici“) von Daniel Aubert in Brüssel das Publikum derart in Begeisterung und Rage, dass es mit "Vive la liberté“-Rufen auf die Straße lief, eine Massendemonstration samt Sturm auf den Justizpalast und damit die belgische Revolution auslöste.

Im Rückenwind dieses Zeitgeistes schrieben Wagner und Verdi ihre ersten Werke.

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