Die Männer sind nur Statisten

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Michael Thalheimer hat Hugo von Hofmannsthals "Elektra“ auf die Bühne des Burgheaters gebracht - zeitgemäß, aber nicht zugänglich.

Die Österreich-Spielzeit am Burgtheater kommt langsam in Fahrt, nach Raimunds "Alpenkönig“ folgt nun mit Hugo von Hofmannsthals "Elektra“ der nächste Theaterklassiker aus österreichischer Feder. Direktor Matthias Hartmann hat dafür den Meister der zeitgenössischen Klassikerinszenierungen in knappster Form, Michael Thalheimer, verpflichtet. Und Thalheimer macht mit dem antiken Stoff, der bei Hofmannsthal als psychopathologische Charakterstudie lesbar wird (inspiriert von Freuds "Studien über Hysterie“), tatsächlich kurzen Prozess. 75 Minuten dauert das Spektakel, also nur unwesentlich länger als eine Therapiesitzung beim Psychoanalytiker. Keine Requisiten, keine historischen Kostüme, eine radikale Strichfassung, begrenzt auf fünf Rollen.

Beklemmende Bühne

Der Verzicht auf zeitliche oder örtliche Einpassungen macht aus den antiken Helden tragische Gestalten im Hier und Jetzt. Verdichtet zu einem einzigen bedrohlichen Bild, das Hofmannsthal in seinen szenischen Anweisungen genau vorgibt: eine beklemmende, hermetisch abgeschlossene Bühne. Genau die baut Olaf Altmann auf, eine dunkle Wand schließt wie ein hölzerner Vorhang die Bühne ab, nur ein winziger, schräg von links oben nach rechts unten verlaufender Vorsprung ist darin eingelassen. In dieser Holzschafte harrt Elektra (Christiane von Poelnitz) über eine Stunde lang aus. Hier spitzen sich ihre Seelenqualen um den verlorenen Vater aufs Äußerste zu. Dazwischen besuchen sie dunkle Traumgestalten, die ächzend aus dem Spalt hervorkriechen. Ihre Schwester Chrysothemis (Adina Vetter), die Mutter Klytämnestra (Catrin Striebeck) und mit zwei Kürzestauftritten die beiden Männer Orest (Tilo Nest) und den todgeweihten Ägisth (Falk Rockstroh).

Die antike griechische Erzählung ist in Hofmannsthals psychologischer Ausdeutung von zeitloser Brisanz, zeigt er doch unterschiedliche Wege der Vergangenheitsbewältigung auf. Elektra als leidenschaftlicher Racheengel, wahnsinnig vor Trauer um ihren Vater, will Vergeltung. Klytämnestra als große Verdrängerin und Chrysothemis, die durch Überanpassung versucht Normalität in ihr Leben zu bringen. Die Männer sind nur Statisten, bei Thalheimer bekommen sie nicht einmal ein vollständiges Kostüm, Orest muss den Muttermord in Hemd und Jacke bewerkstelligen, Ägisth hat sich seinen Mantel nachlässig übergeworfen.

Gewaltig ist wohl der Ausdruck, der das Schauspiel der drei Protagonistinnen am besten beschreibt. Flehend, flüsternd, schreiend, mit vollem Stimm- und Körpereinsatz schleudern sie die wuchtigen Sätze ins Publikum. Bühnenpräsenz pur, schockierend und einprägsam. Diese Hysterikerinnen, mit ihren weiß geschminkten Gesichtern und dunklen Lidern, leiden lautstark, mit aufs Äußerste gespannter Körperhaltung, verdrehten Händen und verzerrten Mündern. Gestik und Mimik erinnern an die Bilder von Patientinnen Jean-Martin Charcots. Die düstere Atmosphäre wird noch zusätzlich verstärkt durch düstere Elektroklänge von Bert Wrede und die schmerzerfüllte Stimme der jungen österreichischen Musikerin Soap&Skin. Zum Schluss, die Rache ist vollbracht, blutüberströmt hat Chrysothemis vom Mord an der Mutter und Ägisth berichtet, klettert Elektra kopfüber aus ihrem Verschlag. Das Bühnenlicht wirft ihren Schatten als riesiges Schlussbild auf die Holzwand, es zeigt eine Frau, die endlich von der Last der Vergangenheit befreit ist.

Reduziert auf die Rachetat

Sicherlich hat Thalheimer eine konsequente und eingängige Lesart der "Elektra“ gefunden, einiges an Interpretationsspielraum lässt er dabei aber außer Acht. Seine Fassung reduziert das Stück auf die geplante Rachetat, tiefer gehende Ängste und Beweggründe gehen verloren. Insgesamt wirkt das Konzept trotz beeindruckender Stringenz in Darstellung und Dramaturgie, zu gewollt. Die mythologischen Figuren, in denen sich doch die Urtriebe und Konflikte des Menschen widerspiegeln sollen, bleiben einem völlig fremd. Thalheimer versteht es zweifellos den historischen Bühnenstoff in eine zeitgemäße Form zu bringen, zugänglich macht er ihn aber nicht.

Weitere Termine

2., 6., 10., 11., 19. November

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