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Die Massenmedien sind heute die primären Instanzen der Vermittlung sozialer Realität. Sie von den Zwängen der Ökonomie zu befreien, bräuchte einen Akt des Gemeinwesens.

Friedrich Schiller mahnte: "Lebe mit Deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf; leiste Deinen Zeitgenossen, aber was sie bedürfen, nicht was sie loben.“ Im Zitat schimmert Hoffnung durch: Belehrung und Haltung könnten die Welt insgesamt und jeden Einzelnen verbessern. Sollen wir uns, wenn wir über die Medien sprechen, an Schiller erinnern?

Beginnen wir mit Grundsätzlichem:

Was wir heute von der sozialen Realität wahrnehmen, ist primär durch Medien vermittelt und geprägt. Die Realität selbst ist tiefgreifenden Entwicklungs- und Ästhetisierungsvorgängen ausgesetzt, die durch unsere Medien, insbesondere televisionäre Medien, bestimmt sind.

TV als Wirklichkeitsspender

Die Wirklichkeit ist zu einem medial vermittelten Angebot geworden, das bis in seine Substanz hinein virtuell, manipulierbar, ästhetisch modellierbar geworden ist. Die Bilder der Medien bieten uns keine dokumentarische Gewähr mehr für die Realität, sondern sie sind weitgehend arrangiert und künstlich - und werden zunehmend dieser Virtualität gemäß präsentiert. Vor dem Wirklichkeitsspender Fernsehen muss unser alter Realitätsglaube definitiv zusammenbrechen. Denn die televisionäre Wirklichkeit ist nicht mehr verbindlich und unentrinnbar, sondern im Gegenteil wählbar, verwechselbar, verfügbar, fliehbar. "Passt einem etwas nicht, schaltet man weiter“, resümierte Wolfgang Welsch schon vor 20 Jahren.

Und was machen die klassischen Printmedien im Konkurrenzkampf mit den televisonären Gewalten? Sie rüsten auf, sie wollen es dem televisionären Unsinn gleichtun - und mitunter sind sie (Murdoch steht dafür) noch schlimmer. Und selbst die "bürgerliche Zeitung“ folgt dem "Trend“ zur Visualisierung, zu sprachlicher Vereinfachung (und Verrohung), zur "Boulevardisierung“, zur Personalisierung der Nachricht.

Dennoch: Die Massenmedien und ihre Zumutungen sind ein notwendiger Bestandteil der Demokratie. Hinter sie führt kein Weg zurück. Gleichzeitig sind sie für alle an Aufklärung, Verständigung und Diskurs Interessierten ein schmerzlicher pain in the neck. So viel Unsinn, so viel Beleidigung der Intelligenz, so viel Zynismus und so viel Verklärung der wirklichen Welt hat es historisch gesehen nie zuvor gegeben. Und eine Befreiung davon ist unmöglich. Wir erinnern uns der grimmigen Beobachtung von Oscar Wilde: "In früheren Zeiten hatten die Menschen die Folter. Jetzt haben sie die Presse. Gewiss, das ist ein Fortschritt. Aber es ist doch noch sehr schlimm und demoralisierend.“

Es wird weitergehen wie bisher - und noch schlimmer werden. Rupert Murdoch zeigte uns erst die Anfänge. Unter kapitalistischen Bedingungen gibt es schlechterdings keine Presse, die an sich selbst den Anspruch stellen würde, dem "öffentlichen Interesse“ zu dienen - Medienunternehmen dienen nur sich selbst und ihren Eigentümern. Und deren Interesse geht nicht ums "öffentliche Wohl“, sondern um die mit möglichst erfolgreicher Anzeigenbewirtschaftung verbundenen Gewinne. Friedrich Schiller hat verloren. Was ist daraus zu schließen?

Die einen setzen auf die "Freiheit der Presse“ und wehren sich gegen jede staatliche Bevormundung. Die anderen rufen nach Kontrolle und Beschränkung. Auf was sollen wir setzen?

Das Postulat der "freien Presse“ ist eine mitunter durchaus demagogische Forderung. Weil Freiheit ein relationaler Begriff ist, wäre vielmehr zu fragen: Freiheit wovon? Freiheit wozu? Das blauäugige Vertrauen darauf, dass das Bestehen einer Vielzahl von Medienunternehmen an sich schon dem öffentlichen Wohl diene, verdient durchaus Kritik. Denn was wäre gewonnen dadurch, wenn es zwar eine Vielzahl von Medien gibt, diese aber alle nur einem verpflichtet sind: dem Verkauf des Publikums an die Anzeigenwirtschaft?

Allenthalben wird eine per se demokratiefördernde Wirkung eines plural organisierten Mediensektors unterstellt. Tatsächlich entspricht eine derartige Haltung dem demokratietheoretischen Common Sense, wie er die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte.

Genauer besehen, kann man von dieser demokratie- und auch persönlichkeitsfördernden Wirkung der Medien aber nur dann ausgehen, wenn den Medien eine bestimmte Funktion unterstellt wird. Diese liberale Unterstellung beruht darin, dass in der durch Medien gewährleisteten öffentlichen Debatte am ehesten der Bezug aufs fiktive und ungewisse Gemeinwohl unterstellt und präsent gehalten werden kann.

Aber ist dem wirklich so?

Die Probleme mit dieser Unterstellung sind offensichtlich:

Demokratie ist darauf angewiesen, dass immer mehr Personengruppen in den Prozess öffentlicher Debatten einbezogen werden (Inklusion). Historisch gesehen haben Medien eine entsprechende Inklusionsleistung vollbracht. Heute leisten Massenmedien einen gravierenden Beitrag dazu, große Teile der Bevölkerung vom Verständnis der politischen Mechanismen und von politischer Einflussnahme auszuschließen.

Medien bewirken ihrer Intention und ihrer Wirkung nach Öffentlichkeit. Die Medialisierung von Politik würde es an sich erlauben, kritische Betrachtungen und externe Kontrolle von Herrschenden sowie die Selbst-Beobachtung von Gesellschaft zu gewährleisten (Medien als sog. "vierte Gewalt“). Es ist durchaus zweifelhaft, dass Medien dies heute noch in einem relevanten Umfang leisten können. Viel eher ist zu vermuten, dass in dem Umfang, in dem sich die Politik den Medien andient, die Kontroll- und Reflexionsleistung der Medien stark nachlässt.

Schließlich: Demokratie ist nichts anderes als eine bestimmte Form institutionell verfestigter Partizipation der vielen an dem, was man als das Gemeinsame erkannt hat. Die Mitwirkung an politischen Entscheidungen darf sich freilich, wenn sie dem Kriterium echter "Teilnahme“ entsprechen soll, nicht nur auf den Konsum der Medien beschränken, vielmehr wäre die Nutzung der Medien erst die Voraussetzung eines aktiven Engagements von Bürgerinnen und Bürgern. Mediennutzung dient heute aber weniger denen, die von politischen Entscheidungen ausgeschlossen sind, vielmehr kommt die Nutzung der Medien fast nur jenen zugute, die ohnehin schon im politischen Entscheidungsprozess tätig sind. Eine partizipationsfördernde Wirkung haben Medien bestenfalls für diejenigen, die ohnedies schon partizipieren - für alle anderen wird oft nur das politische Schauspiel zur Darstellung gebracht.

Verantwortungsvolle Medien schaffen

Kommt dieser Einschätzung Realität zu, dann ist mit der Forderung nach privater Medienvielfalt und Medienwirtschaftspluralismus nichts gewonnen. Die kommerziellen Zwänge führen ja nicht nur dazu, dass alle Medien immer mehr vom immer Gleichen präsentieren, sie führen vor allem dazu, dass das, was sich unter dem Zwang beständiger Verwertbarkeit nicht als Auflagen steigernd und Reichweiten erhöhend darstellt, als "Nachricht“ nicht mehr veröffentlichenswert scheint. Eine am öffentlichen Wohl orientierte Presse müsste zuerst von diesen Zwängen befreit werden. Es ist nicht absehbar, dass dies anders als durch einen gemeinsamen politischen Akt des Gemeinwesens selbst garantiert werden könnte, für einen derartigen "öffentlichen Akt“ gibt es aber nicht einmal Ansätze.

Heute ginge es darum, der kommerziell getriebenen Vermachtung des öffentlichen Raums wirkungsvolle Korrektive entgegenzusetzen. Der politische Witz der Sache besteht freilich darin, die Freiheit der Medien nicht zu beschränken, sondern öffentlich verantwortliche Medien erst wieder zu schaffen. Nick Davies, der Reporter der englischen Zeitung Guardian, ist gewiss der Mann der Stunde, weil er Murdochs News of the World zu Fall brachte. Aber er ist ein völlig anachronistischer Typus.

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