Die Mehrheit als Problem

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Der sogenannte "Hexenhammer" war eine inquisitorische Legitimationsschrift, die u. a. auflistete, woran eine Hexe zu erkennen sei. Über die Jahrhunderte erschienen etliche Auflagen dieses Traktats, das der Dokumentarfilm "Anomalie" in der Österreichischen Nationalbibliothek aushebt. Beim "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders", kurz DSM, einem Standardwerk samt Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen, ist derzeit die fünfte Überarbeitung am Markt.

Der Vergleich, den Richard Wilhelmer in seinem Film anstellt, ist, dass beide Spiegel ihrer jeweiligen Gesellschaft sind. Mit seinem Film nimmt er die heutige Normierung des menschlichen Verhaltens und mit ihr die moderne Psychiatrie in Augenschein.

Hauptprotagonist ist dabei der 2017 verstorbene Philosoph Fritz Joachim Rudert, der sich selbst zum "Irren" erklärte. Parallel zu dessen Alltag sucht Wilhelmer teils nüchterne, teils ernüchterte Forscher auf, die erläutern, wie es zum Status quo, zu Pop-Psychologie und Psychopharmaka-Schwemme kam. Psychiatriegegner reden über ihre Erfahrungen im System, ihren Kampf gegen Zwangseinweisungen.

Dagegen hält wiederum die bekannte Psychiaterin Adelheid Kastner: ihre Diagnose für Rudert ist klar und schonungslos. Der Begriff Meinungssynchronisation fällt einmal in "Anomalie". Er selbst ist plural, zeigt die Fallstricke, und wenn er auch formal kaum Akzente setzen kann, regt er doch den kritischen Diskurs an.

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