"Die mit den Schuhen"

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Das Museum für Angewandte Kunst zeigt erstmals in Wien eine Einzelausstellung von Birgit Jürgenssen, einer multimedialen Pionierin der Hinterfragung weiblicher Rollen.

Es gehört zu den traurigen Mechanismen im Kunstbetrieb, dass die Qualität und Bedeutung von Künstlern häufig erst posthum erkannt wird. Bei weiblichen Kunstschaffenden scheint dies verstärkt der Fall zu sein - zumindest war es im 20. Jahrhundert noch so. Obwohl viele Frauen der Avantgarde konsequent ihre Visionen umsetzten, standen sie stets im Hintergrund. Zum Erfolg gehören schließlich auch im Kunstmarkt nicht nur qualitätsvolle Arbeit, sondern auch Ellbogentechnik und Netzwerke.

Die Österreicherin Birgit Jürgenssen scheint dieses Schicksal der Spätentdeckung zu ereilen. Der im September des Vorjahres mit nur 54 Jahren Verstorbenen widmet das MAK jetzt als erstes Wiener Museum eine Einzelausstellung. Zwar hat Jürgenssen unermüdlich in der Galerie ihres langjährigen Lebensgefährten Hubert Winter ausgestellt, war stets bei heimischen und internationalen Gruppenausstellungen vertreten, prägte die Kunstszene auch durch ihre Lehrtätigkeit an der Akademie - der große Durchbruch gelang ihr im Unterschied zu Valie Export aber nie. Erst 1998 wurde eine breitere Öffentlichkeit durch eine Retrospektive im Oberösterreichischen Landesmuseum auf sie aufmerksam.

Befreiung des Körpers

Sieht man sich das Werk an, so verwundert dies. Denn bereits in den 70er Jahren hat Birgit Jürgenssen wie Valie Export in ihrer Kunst Themen behandelt, die heute unter jungen Künstlerinnen international noch immer en vogue sind. Vor allem ging es ihr um die gesellschaftliche Rolle der Frau, um weibliche Identität und Fremdbestimmtheit innerhalb einer weitgehend noch männlich dominierten Umwelt. Den Aktionisten verwandt und doch ganz anders zeigt Jürgenssen gesellschaftspolitische Unterdrückung am eigenen Körper auf. Eine Befreiung aus den vorgegebenen Bahnen kann demnach nur über eine Befreiung des Körpers gehen. Nie wirken die Arbeiten von Jürgenssen dabei belehrend, vielmehr zeichnet sie immer ein Hauch von Ironie und Leichtigkeit aus. In der Fotoarbeit "Küchenschürze" zeigt sie den Herd als Teil der "Hausfrauen"-Kleidung, in der Zeichnung "Bügeln" ist die Frau selbst zu einem Teil der Bügeldecke geworden.

Nicht nur durch ihre die Geschlechterrolle hinterfragenden Themen, sondern auch durch die mediale Vielfalt wirkt das Werk von Birgit Jürgenssen ausgesprochen gegenwärtig und erinnert an spätere, international renommierte Künstlerinnen wie Cindy Sherman, Rosemarie Trockel oder Silvie Fleury. In den 70er und 80er Jahren war es jedoch nicht wie heute von Vorteil, in unterschiedlichen Medien zu arbeiten, wie Jürgenssen zu verstehen gab. "Was ich nicht als Zeichnung umsetzen konnte, habe ich als Objekt umgesetzt, und wenn beides nicht passend schien, fotografiert. Es ist eigentlich unfassbar, dass es lange Zeit für mich ein Problem war, in einer Galerie gleichzeitig Zeichnung und Fotografie zu zeigen."

Auch in der MAK-Schau ist diese mediale Vielfältigkeit auffällig. Allerdings hat man sich hier auf einen kleinen, lange Zeit in Vergessenheit geratenen Werkkomplex konzentriert: Auf Birgit Jürgenssens "Schuhwerk". Die Werkgruppe mit Schuh-Zeichnungen und Schuh-Skulpturen entstand zwischen 1973 und 1976. Bereits in ihrer Studienzeit an der Hochschule für angewandte Kunst begann Jürgenssen ihre Faszination an dem Fetisch Schuh, die sie mit vielen Frauen teilt, in ihrer künstlerischen Tätigkeit zum Ausdruck zu bringen: "Ich suchte nach einem neutralen Gegenstand, der jedem vertraut war. Schuhe schienen mir die geeigneten Objekte zu sein, um meinen erotischen und zynischen Fantasien und allen anderen Interpretationsmöglichkeiten freien Lauf zu lassen." Das Beenden der Arbeit an diesem Werkkomplex fällt mit einer Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg zusammen, bei der Jürgenssen bewusst wurde, dass sie immer mehr als "die mit den Schuhen" bezeichnet wurde. Dieser Festschreibung wollte sie sich entziehen und packte die Objekte in Schachteln, wo sie bis zur MAK-Schau lagerten.

Eigenleben eines Schuhs

Die homogene und feine Ausstellung gibt gerade an diesem einen Thema einen guten Einblick in die Arbeit von Birgit Jürgenssen. Auf spielerische Weise - gewissermaßen die surrealistische und dadaistische Tradition aufgreifend - wird dem Schuh ein Eigenleben zugestanden. Er kann unterschiedliche menschliche Zustände und Gefühle ("Schwangerenschuh") repräsentieren, mit anderen Gegenständen oder Lebewesen verwachsen ("Bettschuhe", "Vogelschuh") oder überdimensional aufgeblasen zu einem "Möbel" ("Schuhsessel") mutieren. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Titel und das Wortspiel. So ergibt sich der Sinn eines Objekts erst durch die Kombination aus dem Dargestellten und der sprachlichen Formulierung. Etwa wenn Jürgenssen einen Schuh aus Brot formt und ihn "Unser täglich Brot" nennt oder einen "Relikteschuh" aus Zähnen, Fußabdrücken und einem Seidenpolster bastelt, der Assoziationen an die christliche Tradition des Reliquienkultes wachruft.

Birgit Jürgenssen: Schuhwerk

Subversive Aspects of "Feminism"

Bis 6. Juni im MAK, Stubenring 5, 1010 Wien, Mi-So 10-18 Di bis 24 Uhr

www.mak.at

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