Die Musik und ihr Preis

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Der mit 200.000 Euro dotierte internationale Ernst von Siemens Musikpreis 2012, auch als Nobelpreis der Musik bezeichnet, wurde Ende Juni an Friedrich Cerha verliehen. Einige kritische Anmerkungen zum weitläufigen System von Kunstförderungs- und -würdigungspreisen aller Art, privater wie öffentlicher Natur, aus gegebenem Anlass.

Friedrich Cerha [hat] in sehr modernefeindlichen Zeiten in Wien erreicht, dass die avancierte zeitgenössische Musik dort nicht völlig aus dem Bewusstsein der musikinteressierten Öffentlichkeit verschwindet.“ So hat Wolfgang Rihm - als Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, die den Ernst von Siemens Musikpreis zuerkennt - das Wirken des 86-Jährigen gewürdigt. Zur Freude über die Verleihung dieses mit 200.000 Euro hoch dotierten Preises an den Doyen der zeitgenössischen Musik Österreichs kommt aber die Frage: Warum erst jetzt? Verdient hätte Cerha diesen Preis schon längst. Das aber scheint eine der Grundvoraussetzungen zu sein, als preiswürdig erachtet zu werden.

Neben Tantiemen und Auftragshonoraren sind Wettbewerbspreise, Stipendien und Förderungspreise wichtige Einnahmequellen für Komponisten zeitgenössischer ernster Musik. Hochdotierte Würdigungspreise sind dabei natürlich die Ausnahme. Der Unterschied zwischen Förderungs- und Würdigungspreisen beträgt mindestens eine, in der Regel aber zwei Nullen. Der Grund hierfür mag in der Tatsache liegen, dass Komponist als solches nicht als Beruf angesehen wurde und wird. Alle Komponisten aller Epochen mussten für ihr Auskommen auch Einkommen als Lehrer oder Interpreten, in den meisten Fällen beides, dazuverdienen.

Noten und Nöte der Komponisten

Komponistenhonorare umfassen ein weites Feld an Möglichkeiten. Beethoven hat für sein Streichquartett op. 131 von seinem Verleger Schott nach zähen Verhandlungen 80 Dukaten erhalten, umgerechnet ca. 12.000 Euro nach heutigem Goldwert. Obwohl er einer der ersten Spitzenverdiener war und von etlichen Förderern und Mäzenen unterstützt wurde, schrieb er 1820: "Alle Noten bringen mich nicht aus den Nöthen.“ Dass Mozart kein Hungerleider, sondern ein eher wohlhabender Mann war, ist inzwischen Allgemeingut. Aber sein Honorar von 250 Dukaten für "La Clemenza di Tito“ war eine einmalige Zahlung, von der er auch die Reiskosten nach Prag bestreiten musste. Honorare wie das für "Aida“ von Giuseppe Verdi (150.000 Goldfranken) sind die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel. Angesichts der Verkaufszahlen dieser Großmeister heute kommt man beim Thema Preis und Musik ins Grübeln: Kann man Förderungs- und Würdigungspreise auch als späte Wiedergutmachung betrachten?

Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu

Die Geschichte dieser Preise reicht bis ins 19. Jahrhundert. Kunstwettbewerbe sind so alt wie die Kunst selbst, da macht die Musik keine Ausnahme. Der erste Musikpreis als solcher war der Prix de Rome, vergeben von der Académie de France. Ursprünglich von Ludwig XIV. 1666 ins Leben gerufen, wurden Stipendien für Romaufenthalte in den Disziplinen Skulptur, Malerei und Architektur vergeben. Erst 1803 wurde die Vergabe um die Sparte Musik erweitert. Voraussetzungen für die Zuerkennung waren ein Studium am Pariser Conservatoire und die Komposition einer Kantate nach einem vorgegebenen Text. Illustre Preisträger waren Hector Berlioz (1830), Georges Bizet (1857), Claude Debussy (1884) und Henri Dutilleux (1938), der 2005 auch den Siemenspreis erhalten hat. Nicht bekommen hat den Prix de Rome u. a. Maurice Ravel, obwohl er sich fünf Mal beworben hatte, was immerhin 1905 zu einem Skandal und dem Rücktritt des Direktors führte. 1968 wurde die Preisvergabe nach den Studentenunruhen in Paris eingestellt.

Eine andere Regel besagt: Wer einmal einen Würdigungspreis erhalten hat, bekommt noch mehr. Wenn man sich die Liste der Preisträger der diversen Würdigungspreise ansieht, erkennt man sofort eine weitere Regel: Die Ausgezeichneten sind durchwegs jenseits der siebzig. Ein Lebenswerk wird erst gewürdigt, wenn ein Leben auch schon gelebt wurde. Der am höchsten dotierte Preis ist der Kyoto Preis für Wissenschaft und Kunst (ca. 364.000 Euro), gestiftet von dem japanischen Technologiekonzern Kyocera. Allerdings hat, mit Ausnahme von Olivier Messiaen, noch keiner diesen Preis länger als drei Jahre überlebt. Auch der Praemium Imperiale, gestiftet vom japanischen Kaiserhaus (155.000 Euro), der Polar Music Prize des schwedischen Stifters Stig Anderson (110.000 Euro) und der Wihuri-Sibelius-Preis, der einzige nur für Komponisten ausgeschriebene Preis (100.000 Euro), verstehen sich als "Nobelpreis der Musik“, wie in den einzelnen Bekanntmachungen deutlich gemacht wird. Ein Sprichwort sagt: "Jedes Gemeinwesen ehrt seine lebenden Biedermänner und seine toten Störenfriede.“

Neben diesen privat finanzierten Preisen nehmen sich die Würdigungspreise der öffentlichen Hand vergleichsweise bescheiden aus: Der österreichische Staatspreis (30.000), der Bremer-Musikfestpreis (25.000), der Preis der Stadt Wien für Musik (8000) machen das Kraut nicht fett, wenngleich angesichts der generell problematischen Erwerbssituation für zeitgenössische Komponisten jede Unterstützung einen Hoffnungsschimmer darstellt. Aber da wäre es sicher sinnvoller, mehr und besser dotierte Aufträge zu vergeben, also den Bedarf zu erhöhen, als die kleine Gießkanne der Förderungen auszuschütten.

Mehr Freude als Schamgefühl

Und doch kann so eine späte Anerkennung auch etwas bewirken: Karl-Heinz Stockhausen, Siemens-Preisträger des Jahres 1986 (er war damals sechzig), bezeichnete die Verleihung in seinen Dankesworten als "Himmelsgeschenk […] und eine große Erleichterung. Ich hatte nämlich in den letzten Jahren in künstlerischem Leichtsinn viel mehr Geld ausgegeben, als ich besaß: einmal für den Druck meiner Partituren […] und dann auch unter dem Druck der ‚neuen Mannschaft‘ der Deutschen Grammophon, die von mir verlangte, dass ich für die Freigabe der Tonbandaufnahmen meiner Werke die Ablösungshonorare an die Interpreten und Rundfunkanstalten zahlen soll (was ich getan habe, obwohl ich das Geld gar nicht besaß …).“ Etwas subtiler war die Reaktion von György Ligeti 1993, der, sich die Frage stellend, ob er den Preis wohl verdient habe, sagte, "dass die Freude die Schamgefühle mehr als aufwiegt“.

Friedrich Cerha reagierte auf diese Anerkennung mit Freude und Gelassenheit: "Es ist mir eine Ehre, in dieser Gilde zu stehen […]. Die Preisträger sind die führenden Köpfe der zeitgenössischen Musik.“ Allerdings bleibe ein Dilemma: "Man bekommt Preise dann, wenn man sie nicht mehr braucht.“ Die Ehrung nehme er "gelassen entgegen, ebenso wie ich den Angriffen in den 1960er-Jahren gelassen begegnet bin“. Da Cerha ein nach wie vor höchst aktiver Komponist ist - nächstes Jahr stehen mehrere Uraufführungen an - bleibt zu hoffen, dass seine Werkliste noch lange nicht vollendet ist. Und die Liste der Auszeichnungen ebenso.

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