"Die Nato im Kosovo: das war völkerrechtswidrig"

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Nun ist die Nato auch in Mazedonien im Einsatz - allerdings ist ihr Eingreifen im Kosovo immer noch nicht wirklich aufgearbeitet, kritisiert der Friedensforscher Lutz. Da habe einfach der Stärkere diktiert und damit das Völkerrecht von 24 auf 0 Uhr zurückgedreht.

die furche: Gibt es Parallelen Kosovo 1999 - Golfkrieg 1991?

Dieter Lutz: Der Krieg gegen den Irak war noch ein Mandat der UNO, aber schon ein erster Schritt zu ihrer Schwächung, da die USA ihren Willen durchgesetzt hatten. Deutschland hat sich im Irak nur finanziell an Außeneinsätzen beteiligt. Damit hat man aber der Bundeswehr die Tür für militärische Einsätze "out of aerea" geöffnet. Heute ist die Beteiligung für Außeneinsätze der Bundeswehr - siehe die Nato-Luftangriffe in Serbien und im Kosovo - nahezu selbstverständlich.

die furche: Wie sehen sie die Rolle der Medien im Krieg am Balkan ?

Lutz: Viele Zeitungen in Deutschland, allen voran die FAZ, waren einseitig antiserbisch. Wir haben versucht, dagegenzuhalten und objektive Beiträge bringen können - nicht in der FAZ natürlich. Aber andere Zeitungen waren da doch offen. Es gab aber vor und während des Kosovokriegs bei den meisten Medien eine selbstauferlegte Gleichschaltung. Es gab keine Zensur, aber den psychologischen Effekt, dass die meisten auf eine gemeinsame Richtung hin schrieben, ein Solidarisierungselement, wie in den Weltkriegen: Den eigenen Soldaten fällt man nicht in den Rücken, das ist unmoralisch! Also: Mund halten und Kritik erst nach Kriegsende vorbringen. Solche Argumente haben mich erschüttert. Ich dachte, die wären überholt.

die furche: Wie beurteilen Sie den Nato-Angriff völkerrechtlich?

Lutz: Er war und ist völkerrechtswidrig. Das Völkerrecht hat sich über Jahrhunderte entwickelt, im Kosovokrieg ist es plötzlich sozusagen von 24 auf 0 Uhr zurückgedreht worden. Wenn wir nicht aufpassen, beginnt es, sich in sein bisheriges Gegenteil zu verkehren. Auch zukünftig muss gelten: An die Stelle des Rechts des Stärkeren muss die Stärke des Rechts treten! Im Übrigen wurde durch den Krieg auch das deutsche Grundgesetz verletzt. Unsere Verfassung ist im Sinn der Friedenserhaltung einmalig. Sie verbietet uns alles, was geeignet ist, den Frieden zu stören, insbesondere Angriffskriege zu führen. Wie kann man rechtlich den Frieden noch mehr in der Verfassung absichern? Aber unsere Regierung hat sich über alle rechtliche Bedenken hinweggesetzt!

die furche: Man wollte weitere Gräuel verhindern...

Lutz: Die vielen "dirty secrets" sind nach wie vor nicht geklärt, diese angeblichen Gräuel, die Massaker. Bei "Racak" zum Beispiel frage ich mich: War das ein Massaker oder nicht? Wieso darf ich als ziviler Wissenschafter den Autopsie-Bericht der zivilen finnischen Leiterin der Untersuchung nicht einsehen? Warum ist er sofort vom damaligen EU-Ratspräsidenten, Bundeskanzler Gerhard Schröder, unter Verschluss genommen worden? Was steht da drinnen, was man nicht einsehen darf? Inzwischen wissen wir ja zumindest in Teilen, dass das, was uns gesagt wurde, so den Berichten nicht zu entnehmen ist. Noch eindeutiger gilt dies für das "Massaker" von Rugovo. Es ist besser aufgeklärt: Ich kenne den deutschen Polizeioffizier der OSZE im Kosovo - ein äußerst glaubwürdiger Mensch. Er hat mir alles mehrfach berichtet, ich habe alle Fotos gesehen. Er war der Erste dort, hat alles fotografiert, die Toten, ihre Schusswunden, wie sie gelegen sind: Zweifelsfrei alles Kämpfer der UÇK, die im Kampf gefallen waren. Das war kein Massaker an Zivilisten. Der Polizist hat dies alles Verteidigungsminister Rudolf Scharping geschrieben. Er, der Augenzeuge vor Ort war, bekam keine Antwort und im nächsten Pressegespräch hat Scharping wieder von einem Massaker gesprochen. Wie kann das sein? Offensichtlich ging es darum, die Nato-Angriffe zu rechtfertigen. Ähnlich undurchsichtig ist die Geschichte mit dem "Hufeisenplan", nach dem - so Scharping - die Serben angeblich alle Albaner aus dem Kosovo vertreiben wollten. Beim Forum Alpbach habe ich 1999 selber erlebt, wie Minister Werner Fasslabend gesagt hat, so einen Plan gäbe es gar nicht. Dieser Widerspruch müsste endlich aufgeklärt werden... .

die furche: Der Gerichtshof in Den Haag soll die Nato-Angriffe doch auch völkerrechtlich prüfen?

Lutz: Wir müssen unterscheiden: Es gibt das Strafgerichtstribunal mit Chefanklägerin Carla del Ponte, da soll es einen Antrag geben. Diese wird aber sicher nichts machen. Das andere ist der Internationale Gerichtshof in Den Haag, wo die Nato wegen des Bombardements von Serbien verklagt wurde. Da können aber nur Staaten angeklagt werden, die unterschrieben haben, sich einem Urteil des Internationalen Gerichtshofes zu unterwerfen. Die Deutschen und die Amerikaner haben da aber nicht unterschrieben und können nicht gegen ihren Willen nach Den Haag zitiert werden. Andere Nato-Staaten haben unterschrieben und könnten also verklagt werden. Daher sollte man das Verfahren durchführen. Es wird hochinteressant, ob und wie das abgeblockt wird... .

die furche: Wie sehen Sie die Auslieferung von MiloÇsevi´c nach Den Haag?

Lutz: Ich finde, er gehört zu Recht nach Den Haag. Die serbische Regierung hätte ihn aber nicht für Geld, für eine Milliarde US-Dollar, "verkaufen" dürfen, jetzt wo in Serbien ein Rechtsstaat im Entstehen ist! Übrigens: Mit dem Geld, das Jugoslawien jetzt bekommt, wäre der Krieg wahrscheinlich zu verhindern gewesen. Der neue jugoslawische Präsident Kostuni´ca ist vor kurzem deshalb gewählt worden, weil sein Wahlkampf mit zweimal 20 Millionen US-Dollar von der EU und den USA unterstützt worden ist - wenig im Vergleich zu den Kriegskosten. So wenig hat gereicht, um MiloÇsevi´c zu stürzen!

die furche: Gibt es ein Sicherheitssystem, das ein zweites Kosovo vermeiden könnte?

Lutz: So ein System wäre die OSZE. Sie ist eine zivile - keine militärische! - Einrichtung und umfasst 55 Staaten: baltische, zentralasiatische, Kanada, die USA, die Ukraine oder Russland. Die OSZE wäre die Basis für eine funktionierende Sicherheitsordnung. Man müsste sie umstrukturieren, ausbauen und ihr mehr Finanzen sowie international anerkannte Rechtsgrundlagen geben. Auch müsste man eine obligatorische internationale Gerichtsbarkeit einführen. Letztere gibt es zwar schon in Den Haag. Aber was heute dort besteht, ist sehr selektiv, auf bestimmte Staaten hin orientiert. Es muss aber für alle Staaten gleiches Recht gelten. Jeder Staat soll seine Rechte bei einer zivilen Entscheidungsinstanz einklagen können. Hält sich einer nicht an die Entscheidung, braucht es für die Teilnehmer dieser Rechtsordnung kein Mandat der UNO, denn alle Teilnehmer haben sich ja verpflichtet, auch gegen sich selbst zu agieren und jeder weiß, das dies den Einsatz von Zwangsmitteln beinhaltet.

die furche: Gibt es Ansätze zu einer solchen Präventionspolitik?

Lutz: Nach dem Kosovo-Krieg hieß es, in Zukunft werden wir Präventionspolitik betreiben. Aber es passiert nichts in diese Richtung! Auch das Versprechen, dass nach dem Krieg die Aufarbeitung beginnt - vor allem die Diskussion über das Völkerrecht im Fall der Nato-Angriffe auf Serbien und Kosovo, ist nicht eingehalten worden.

die furche: Wie sollte Präventionspolitik ausschauen?

Lutz: Die Nato-Staaten geben rund 500 Milliarden US-Dollar für die Rüstung aus, über 60 Prozent der Ausgaben für Rüstung weltweit. Würde man nur einen Teil dieser Mittel für die Prävention verwenden, würde es, so glaube ich, zu keinem Krieg mehr kommen. Für wie wenig Geld kann fruchtbare Friedensarbeit geleistet werden! Im übrigen müssen Sie immer bedenken, dass wir auf Kriege in viel größeren Dimensionen zusteuern: Uns drohen existenzielle Gefahren etwa durch die Umweltzerstörung. Der Anstieg des Meeresspiegels bewirkt riesige Katastrophen. Die reichen Länder können sich mit Deichbauten schützen. Bangladesh aber kann sich das nicht leisten. Kommt es dort zu großen Überschwemmungen mit vielen Opfern, kann das Gewaltszenarien auslösen, Rache an den reichen Verursachern, die sich abschotten. Da führen dann nicht Staaten, sondern kleine Gruppen Kriege, machen Anschläge mit biologischen oder chemischen Waffen. Da spielt dann das Militär kaum eine Rolle.

Daher muss das gegenwärtige Sicherheitssystem vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Prävention verlangt immer auch die Beschneidung der Militärausgaben und die Erhöhung der Mittel für den zivilen Bereich. Die Milliarden, die noch in den militärischen Sektor fließen, sind wesentlich besser angelegt in der Lösung der Probleme der Armut, der Gesundheit, der Umwelt. Sie dienen damit unmittelbar dem Abbau von Spannungen und der Verhütung kommender Konflikte.

Das Gespräch führte Peter Schmidt.

Zur Person: Steile Karriere in der Friedensforschung

Univ. Prof. DDr. Dieter Lutz ist 1949 geboren und hat in Tübingen, Zürich, Den Haag, London Politik- und Rechtswissenschaften studiert. Promoviert hat er in Tübingen und Nimwegen. Das Thema seiner Habilitationsschrift: "Defensive Verteidigung".

1976 wurde er mit nur 26 Jahren zum stellvertretenden Leiter des "Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik" der Universität Hamburg bestellt. Dieses war 1971 von General Graf Baudissin, der in der Deutschen Bundeswehr das Konzept "Staatsbürger in Uniform" propagiert hatte, gegründet worden. Einer seiner Nachfolger war Egon Bahr, der die Ostpolitik Willy Brandts entscheidend geprägt hat. Seit 1994 ist Dieter Lutz Leiter des Instituts und Professor an der Universität Hamburg.

Unter anderem leitete er ein Fellowship-Programm für ehemalige Ostblock-Offiziere zum Thema: "Wie verhält sich ein Militär in einer demokratischen Gesellschaft?". Bei der Internationalen Sommerakademie in Burg Schlaining hielt er heuer den Festvortrag zum Thema: "Trends 2001 - Der Friede als Ernstfall".

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