Die Nürnberger Festwiese findet im Saale statt

Werbung
Werbung
Werbung

Lauter Debüts: Elisabeth Sobotka startet ihre Grazer Opernintendanz mit Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“.

Was deutsch und echt, weiß man in Graz seit altersher. Um diese lokale Misslichkeit zu entschärfen, versucht der junge deutsche Regisseur Alexander Schulin die Quadratur der Krux, dass Wagners neudeutsche Propagandaoper während der Hitlerei zum Reichsparteitagshochamt missbraucht worden war. Kann derlei gelingen?

Also lässt er sich vom Bühnenbildner Alfred Peter eine Nürnberger Meistersingerhalle ins Niemandsland von 1948 bauen (die echte wurde erst später gebaut), halb (tatsächlich 1945 ausgebombte) Katharinenkirche, halb Turnsaal mit Pferd und Ringen. Darin zwingt er die überlebenden Honoratioren auf Schulbänke, erfindet, dass im zweiten Akt Hans Sachs und Veit Pogner mit Leidensgenossen als Ausgebombte darin ein Behelfsnachtlager auf Matratzen teilen. Als schließlich auch noch der dritte Akt in dieses Einheitsbühnenbild gepresst wird, weil dies offenbar der dramaturgische Anlageberater Francis Hüsers empfiehlt und die Festwiese von Schulin wegen Schlechtwetters in den Saal verlegt wird, ist alles interpretatorische Deuteln zum Scheitern verurteilt.

Gut, als Hans Sachs in seiner Schlussansprache zum strittigen Lob deutscher Meister und ihrer heiligen deutschen Kunst ausholt, flüchten Stolzing, Eva, Meistersingerordensbrüder und Volksgenossen aus Saal und Bühne. Aber Augenblicke zuvor entlarvt ein kleines Regiedetail die Distanzierung als gewollte (?) oder ungewollte Pose: Sachs hat für Beckmesser gelbe Schuhe geschustert, so gelb wie es einst der Nürnberger Judenhut und im zwanzigsten Jahrhundert der Judenstern waren.

Musikalische Interpretation rettet Werk

Diese Umwertung vom jovialen Volksdichter zum hinterhältigen Antisemiten hat Sachs nicht wirklich verdient und ist daher weder von Wagnerianern noch kritischen Textkennern leicht zu verdauen.

Gottlob rettet die musikalische Exekution die Werk-„Ausgrabung“: Der junge britische Bassbariton James Rutherford ist ein vokal gelenkiger, pastos bis markiger und nie forcierender Sachs mit feiner Kantilene. Dass er auch den Nachtwächter singen muss, mag als Einfall, der Sachs als den großen Drahtzieher alles Geschehens bis hin zur Prügelfuge zeigen will, durchgehen, scheint aber bei der im Grazer Ensemble verfügbaren Bass-Kapazitäten nur wenig einsichtig.

Ihm kaum nach steht der Steirer Wilfried Zelinka als schlank singender Pogner. Eine viel versprechende Spitzenperformance bietet der neu engagierte Usbeke Alik Abdukayumov als „Kothner“, ein kerniger Bass russischer Prägung, promovierter Germanist, mit vorbildlicher Artikulation und Phrasierung der schwierigen Tabulatur.

Mit wenig angestrengter Leichtigkeit gelingt dem Amerikaner Marlin Miller sein Debüt als quirliger David. Man kann verstehen, dass die aparte und profund singende deutsche Mezzosopranistin Dshamilja Kaiser als Magdalene mehr als ein Auge auf ihn wirft. Als Entdeckung von Elisabeth Sobotka gefeiert wird zu Recht die sehr lyrische, farbreiche Eva, als die die aus Israel stammende Gal James nicht nur im Quintett brilliert. Leider wird sie von der Kostümbildnerin Eva Maria Dessecker plump entstellt.

Vokal sicher disponierte Rollendebüts

Auch die acht weiteren Meister, durchwegs aus dem Ensemble besetzt, liefern, von Schulin darstellerisch gut differenziert, vokal sicher disponierte Rollendebüts. Zwei deutsche Gäste sind dagegen erprobte Meistersinger. Das Duell um Eva geht für den auch schon bei den Salzburger Festspielen erprobten Tenor Burkhard Fritz als Stolzing, dessen lyrische Stimme ideal klingt, in den aufgewuchteten Orchesterwogen nicht ganz so gut aus wie für den Beckmesser,als der Jochen Schmeckenbecher keine Mühe hat, pointengenau zu nuancieren.

Opernchef Johannes Fritzsch feiert sein persönliches Johannistagsfest, schwelgt in Wagners Aufschwüngen, stemmt einen gewaltigen „Wach auf“-Chor und deckt die Sänger nur gelegentlich mit breiten Tempi oder akustischen Magenschwingern ein. Das Grazer Philharmonische Orchester macht seiner Berufsbezeichnung durch einen bis hin zu kammermusikalisch ausgefeilten Finessen partiturgenauen Klang alle Ehre, sollte aber mitunter dynamisch gezügelt werden.

Die Meistersinger von Nürnberg

Grazer Oper, Kaiser Josef Platz 10, 8010 Graz. Termine: 1., 4., 7., 30. Oktober, 7., 13. November. Karten erhältlich unter: 0316/8000.

www.theater-graz.com

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung