Die Oper in der Ostmark

Werbung
Werbung
Werbung

Die Wiener Staatsoper zeigt, wie der "Anschluss" im eigenen Haus "funktionierte".

Sie kommen hier nicht mehr herein." Mit diesen Worten wurde der Geiger Ricardo Odnoposoff, Konzertmeister im Orchester der Wiener Staatsoper, am 12. März 1938 vom Bühnenportier abgefertigt. Es war, wie Carl Zuckmayer die Stimmung in jener Tage beschrieb: "Die Unterwelt hatte ihre Pforten aufgetan und ihre niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen." Wie das "Begräbnis aller menschlicher Würde" (Zuckmayer) im Haus am Ring ablief, zeigt bis 30. Juni die Ausstellung "70 Jahre danach. Die Wiener Staatsoper und der, Anschluss' 1939. Opfer, Täter, Zuschauer" im Gustav-Mahler-Saal des Opernhauses.

Juden sofort entlassen

Binnen Tagen nach dem am 13. März 1938 vollzogenen "Anschluss" folgten die ersten Entlassungen - noch bevor offizielle Listen kursierten oder die Nürnberger Gesetze auch auf dem Gebiet der nunmehrigen Ostmark in Kraft traten. Systematisch wurden jüdische, "jüdisch Versippte" (NS-Jargon) und politisch Andersdenkende ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben und ermordet. Betroffen waren nicht nur berühmte Stars wie Richard Tauber, Lotte Lehmann oder Bruno Walter, sondern der gesamte Betrieb, von der Bühnentechik bis in die Direktionsetage, Ballettschülerinnen ebenso wie Orchestermusiker. Auch Felix Weingartner, immerhin zweimaliger Direktor des Hauses, war persona non grata: Auf einem Brief, in dem er der Direktion seine neue Wohnadresse mitteilte, schrieb ein Mitarbeiter mit Rotstift: "Niemand darauf neugierig!" - trotz seiner relativen Harmlosigkeit ist das eines der erschütterndsten der in der Ausstellung gezeigten Dokumente.

Der künstlerische Aderlass infolge der rassistisch motivierten Entlassungen und "Pensionierungen" war enorm. Das Niveau des Staatsopernchors sank ins Bodenlose, für die fehlenden Solisten wurden unzulängliche Gäste engagiert. Eine Aufführung des "Fliegenden Holländers" musste abgebrochen werden, weil ein Sänger, ein NS-Protegé, eine unterirdische Leistung ablieferte. Sogar NS-Funktionäre beklagten intern den Qualitätseinbruch: "Die Staatsoper ist seit langem nicht mehr in der Lage, mit eigenen Kräften auch nur eine mittelmäßige Aufführung zu bestreiten", hieß es in einem Geheimbericht. So schienen ausgerechnet die bei den Nazis besonders beliebten Opern von Richard Wagner nur noch selten am Spielplan auf, weil keine geeigneten Sänger vorhanden waren.

Heimkehrer abgewiesen

Zahlreiche Angehörige der Staatsoper wurden in Konzentrationslagern ermordet. Nur wenige der vertriebenen Künstler kehrten zurück. Exemplarisch ist die Geschichte von Leopold Föderl: Aufgrund seiner antifaschistischen Einstellung und weil er sich nicht von seiner jüdischen Ehefrau scheiden lassen wollte, wurde der Geiger aus den Wiener Philharmonikern, und damit aus dem Staatsopernorchester, ausgeschlossen. Nach dem Krieg wurde der Heimkehrer sowohl von den Philharmonikern als auch von der Staatsoper schroff abgewiesen.

Zugleich blieben ehemalige Nazis in der Oper in Amt und Würden, andere setzten ihre Karriere nach kurzer Unterbrechung fort. Der Trompeter Helmut Wobisch etwa, NSDAP-Mitglied, SS-Angehöriger und von den NS-Behörden als "gut unterrichteter" Spitzel geführt, wurde zwar 1945 von der Staatsoper entlassen, aber 1950 wieder eingestellt. Im Laufe der Jahre wurde ihm der Professorentitel und das Große Ehrenzeichen der Republik verliehen. Wobisch war Gründer des Carinthischen Sommers.

Noch skandalöser, weil aktuell, ist die Tatsache, dass die Wiener Philharmoniker die Recherchen zur Staatsopern-Schau boykottierten. Der Historikerin Bernadette Mayerhofer, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Ausstellung, wurde die Einsicht ins Philharmoniker-Archiv verwehrt. Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb bestätigt die in Wissenschaftskreisen bekannte "Hinhaltetaktik" der Philharmoniker, wenn es um Einsicht in die Aufzeichnungen aus der Nazi- und der unmittelbaren Nachkriegszeit geht. Philhrmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg nannte die Vorwürfe "absurd und infam". Die Staatsoper beweist mit ihrer Ausstellung jedenfalls, dass es ihr mit der Aufarbeitung der unschönen Seiten ihrer Vergangenheit ernst ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung