Die Päpste als sozialethische Avantgarde

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Für Ende Juni ist Benedikts XVI. erste Enzyklika zu sozialen Fragen angekündigt. Angesichts der Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrise hoffen viele auf deutliche Worte. Man darf gespannt sein, ob und wie sich dieser Pontifex in die prominente Reihe päpstlicher Lehrer zu Sozialfragen einreihen wird.

Dürfen Katholiken sich zu (Arbeiter-)Vereinen oder gar Gewerkschaften zusammenschließen? Darf der Staat durch Schutzgesetze - etwa einer Sozialversicherung - für die Schwachen sorgen? Fragen, die dem Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts als absurd erscheinen, waren für Katholiken Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht eindeutig beantwortet. Dass Papst Leo XIII. 1891 in seiner Enzyklika "Rerum novarum" solche Fragen positiv beschied, markierte den Startpunkt der "katholischen Soziallehre", welche sich bis heute als das Herzstück eines positiven Images dieser Kirche darstellt.

Diese Positionierungen der Kirche sind unter anderem in den etwa zehn Sozialenzykliken seit 1891 dargelegt. In diesen Überlegungen konnten die Päpste auch als sozialethische Avantgarde reüssieren. Dass sich in den nächsten Tagen auch der derzeitige Papst, der sich zur Soziallehre bislang eher zurückhaltend geäußert hat, in diese Reihe stellen will, wird daher auch außerhalb der katholischen Kirche mit Interesse registriert.

Einst eine "neue Sache": gerechter Lohn

Die "neuen Sachen" (so die Übersetzung von "Rerum novarum"), mit denen sich Leo XIII. anno 1891 beschäftigte, war die Forderung nach einem gerechten Lohn für alle (auch diese Position ist heute längst selbstverständlich) bei gleichzeitiger Betonung des Privateigentums, was die katholische Position grundlegend von der "Vergesellschaftung der Produktionsmittel" der Marx'schen Theorie unterscheidet. Diese Option sieht durch die Bindung des Privateigentums ans Gemeinwohl aber auch wesentlich anders aus als das, was der Liberalismus bis in die jüngste Zeit vorzugeben versucht. Der österreichische Sozialethiker Johannes Schasching hat diesbezüglich immer wieder von der "Sozialpflichtigkeit des Eigentums" als wesentlichem Eckpfeiler der katholischen Soziallehre gesprochen.

Aus heutiger Sicht nicht mehr verständlich sind Auseinandersetzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als fundamentalistische Strömungen in der katholischen Kirche jedwede Zusammenarbeit mit "atheistischen" Gewerkschaften ablehnten und verlangten, dass sich die Arbeiter nur unter der Führung von Priestern zusammenschließen dürften. Doch die Kirchenleitung gab derartigen Tendenzen nicht nach. So entpuppte sich die Soziallehre als jenes Feld, in dem sich die katholische Kirche tief auf die Fragen der Zeit einließ und gesellschaftlich aktuelle Entwicklungen vor dem Hintergrund ihres Verkündigungsauftrags und ihres Verständnisses von Menschenwürde bewertete.

Das implizierte auch das Wissen, dass die Analyse und die in den Lehrschreiben angedachten Lösungen der Zeitbedingtheit und dem Irrtum unterliegen können. Vielleicht ist es eine der am meisten unterschätzten Leistungen der katholischen Soziallehre, dass die unter dem "Stigma" der Unfehlbarkeit leidende katholische Kirche sehr wohl imstande ist, mit klaren Positionierungen aufhorchen zu lassen und gleichzeitig zu konzedieren, dass ebendiese Positionen sich in der Auseinandersetzung zu bewähren haben. Der führende Theoretiker der Soziallehre, Oswald von Nell-Breuning SJ (1890-1991), hat in seinem großen Kommentar zur Soziallehre darauf hingewiesen, dass etwa konkrete agrarpolitische Forderungen, wie sie in Johannes' XXIII. Enzyklika "Mater et Magistra" (1961) oder die Anregungen zu konkreten internationalen Abkommen Pauls VI. in "Populorum progressio" (1967) vorlagen, sich als ökonomisch unhaltbar erwiesen.

Eckpfeiler Subsidiarität

Vielleicht gilt solches auch für den Vorschlag zu einer berufsständischen Gesellschaftsordnung, wie sie Pius' XI. Enzyklika "Quadragesimo anno" (1931) propagierte: Der austrofaschistische Ständestaat berief sich beispielsweise auf diese Enzyklika, obwohl gerade Nell-Breuning diese Interpretation kritisierte. Andererseits hat "Quadragesimo anno" die Subsidiarität als eine der Säulen der katholischen Soziallehre eingeführt. Gemeint ist der Grundsatz: Was der einzelne oder die kleinere Gemeinschaft vollbringen kann, soll nicht von gesellschaftlichen Großgebilden oder Zentralinstitutionen übernommen werden. Dieses Prinzip wurde auch in der Diskussion um die Institutionen der EU stark ins Spiel gebracht. Dagegen muss sich - zumal in den letzten Jahren - die katholische Kirche in ihrer eigenen Verfasstheit die Frage gefallen lassen, wie sie es selber mit überbordendem Zentralismus versus Subsidiarität hält.

Nach dem II. Weltkrieg verstärkten die Sozialenzykliken den internationalen Blick. Johannes' XXIII. "Pacem in terris" (1963) sprach angesichts von Berliner Mauer und Kuba-Krise eine Weltfriedensordnung an und - bahnbrechend für die katholische Kirche - nahm die Menschenrechte als Teil der Lehre auf. 1967 brachte Paul VI. die Probleme des Südens in "Populorum progressio" aufs Tapet; sein Satz "Entwicklung - der neue Name für Friede" hat nichts an Brisanz verloren.

Johannes Paul II. schließlich setzte gleich mit drei Sozialenzykliken Marksteine kirchlicher Verkündigung: 1981 ließ er - auch angesichts der Ereignisse um die polnische Gewerkschaft Solidarno´s´c - in "Laborem exercens" mit einer Auseinandersetzung über die Würde der Arbeit aufhorchen. Er propagierte den "Vorrang der Arbeit vor dem Kapital". In seinem zweiten Sozialschreiben "Sollicitudo rei socialis" (1987) zeichnete er ein düsteres Bild der Entwicklung des Südens und redete einer Option für die Armen das Wort und benannte "Strukturen der Sünde" als Ursache für die Not der Dritten Welt. Nicht wenige haben in dieser Ausrichtung der Sozialenzyklika Aspekte einer "Theologie der Befreiung" entdeckt, der Johannes Paul II. sonst so reserviert gegenüberstand. Die letzte Sozialenzyklika hat dieser Papst 1991 zum 100-Jahr-Jubiläum von "Rerum novarum" veröffentlicht: "Centesimus annus" steht unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des "realen Sozialismus": Der Papst plädiert für eine Marktwirtschaft mit sozialem Gesicht. Kaum ein päpstliches Sozialdokument befürwortet so sehr die Demokratie als politisches System und warnt gleichzeitig vor deren Entartungen.

Wünsche an Benedikt XVI.

18 Jahre später steht nun ein neues päpstliches Sozialschreiben vor der Tür. Die Welt-Unordnung ist in diesen Jahren größer geworden. Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise hat das Erscheinen der Enzyklika bislang verzögert: Benedikt XVI. wolle auch zu diesen Fragen Position beziehen, heißt es aus dem Vatikan.

Markus Schlagnitweit, als Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs Leiter des bischöflichen Thinktanks für sozialethische Fragen, erhofft sich von Benedikt XVI. klare Worte für eine Systemänderung der Weltwirtschaft. Schlagnitweit: "Es geht dabei nicht nur um moralische Fragen, es geht nicht nur um, Gier', die anzuprangern ist. Sondern die Weltwirtschaft hat eine systemische Korrektur nötig!" Außerdem bedürften die Weltordnungsinstitutionen - UNO, Weltbank, IWF, G20 - der Korrektur: Diese spiegelten keine "Weltdemokratie", sondern die aktuellen Machtverhältnisse wider. Schlagnitweit erhofft vom Papst daher ein "deutlicheres Wort in Richtung Weltdemokratie" sowie Aussagen zur internationalen Gerechtigkeit und zur ökologischen Nachhaltigkeit.

Was viele von Benedikt XVI. erwarten: eine Auseinandersetzung damit, dass die globale Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft wie nie und dass in dieser Wirtschaftskrise der Welthunger zunehmen wird wie nie. Man darf gespannt sein, ob und wie sich dieser Papst in seiner Enzyklika auf Themen wie diese einlassen wird.

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