Die Pilgerin auf Abwegen

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Die nationalistische, ultraorthodoxe Organisation "Kosmet" organisiert Bustouren zu serbischen Enklaven im Kosovo. Ein Lokalaugenschein.

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Die nationalistische, ultraorthodoxe Organisation "Kosmet" organisiert Bustouren zu serbischen Enklaven im Kosovo. Ein Lokalaugenschein.

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Branka Krneta kauert vor dem Sockel der Gedenkstätte Gazimestan. Sie schließt die Augen und drückt ihre Stirn gegen das poröse Gestein. Alles ist still. Krneta hebt ihren Kopf, schlägt ein Kreuz vor ihrer Brust und blickt über die Ebene in die Morgensonne. Sie strahlt, als wäre sie frisch verliebt. "Es ist eine Ehre, in diesem heiligen Land zu sein", sagt sie.

Die Gedenkstätte erhebt sich wie ein Bergfried über dem Amselfeld. Hier unterlagen die serbischen Fürsten im Jahr 1389 den Osmanen. Die Schlacht ist der wichtigste Mythos und gleichzeitig die größte Kränkung des slawischen Volkes.

Krneta ist mit einer Reisegruppe unterwegs, langsam kehren alle zu den Bussen zurück. Rund 80 Serben wandeln für drei Tage auf den Pfaden der brutalen Vergangenheit ihres Landes. Organisiert wird die Reise von der orthodoxen, nationalistischen Organisation "Kosmet", die mehrere hundert Mitglieder hat. Sie steht für den Hass auf den Westen und alles Liberale. Mitglieder von Kosmet beteiligten sich an gewalttätigen Ausschreitungen gegen die Gay Pride Parade in Belgrad. Viele sind in der Hooliganszene der Fußballvereine von Roter Stern und Partizan Belgrad aktiv oder gehören zu rechtsextremen Gruppen.

Der Bus fährt los. Krneta läuft mit einer Teilnehmerliste die Reihen ab. Sie hilft bei den Touren, die zugleich auch Pilgerreisen sind: Neben noch existenten serbischen Siedlungen im Kosovo werden orthodoxe Kirchen besucht. Hin und wieder stoppt Krneta und umarmt alte Bekannte. Im Gang trifft sie auf Zoran Ciric. Die beiden wechseln ein paar Worte. Der Mitdreißiger mit Igelschnitt ist führendes Mitglied bei Kosmet. Fragt man Krneta nach ihrer Verbindung zu der Organisation, gibt sie sich verschlossen. "Ich bin keine Politikerin und auch kein Mitglied bei Kosmet. Wir sind alle hier, um den Serben im Kosovo zu helfen. Darum geht es mir", sagt sie.

Der Konflikt flaut ab

Inzwischen ist die Gruppe in Prizren angekommen, im Süden des Kosovo. Branka Krneta läuft durch die Straßen. Die große, hagere Frau trägt einen langen schwarzen Rock, der bis zum Boden reicht. Auf ihrem T-Shirt prangt der Umriss des Kosovo, gefüllt mit den Namen von Kirchen in der Region. Die Gruppe hat gerade die orthodoxe Zentralkirche der Stadt besichtigt. Die albanischen Anwohner beäugen die Reiseteilnehmer kritisch. Ein Friseur hängt die Flagge des unabhängigen Kosovo in sein Fenster. Sechs Polizisten sichern die Serben ab, immer mit einer Hand an der Pistole. "Alle haben mir am Anfang davon abgeraten, hierher zu fahren. Sie haben gesagt, es sei zu gefährlich", erinnert sich Krneta.

Zwischen Februar 1998 und Juni 1999 lieferten sich die albanische Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) und die jugoslawische Armee einen Kampf um die Vorherrschaft in der damaligen jugoslawischen Provinz Kosovo. Die Albaner, die in diesem Gebiet eine Bevölkerungsmehrheit stellten, wollten die Unabhängigkeit von dem sich damals im Zerfall befindlichen Jugoslawien. Beide Parteien verübten während des Krieges schwere Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Unter dem Druck der Nato, die Serbien bombardierte, zogen sich die serbischen Truppen aus dem Kosovo zurück. Im Jahr 2008 proklamierte der Kosovo seine Unabhängigkeit. Serbien zählt die Region bis heute zu seinem Staatsgebiet und erkennt den Kosovo nicht an.

"Es ist ruhiger geworden, der Konflikt ist im Laufe der Jahre abgeflaut", sagt Krneta. "Früher haben sie uns mit Steinen beworfen oder sogar unseren Bus geklaut." Verstehen kann Krneta solche Reaktionen nicht. "Wir sind hier, um zu helfen. Es macht mich traurig, wenn ich den Hass in den Blicken der anderen erkenne", sagt sie. Und doch ist es für sie kein Widerspruch, gleich darauf zu erklären: "Natürlich gehört der Kosovo zu Serbien! Das Problem ist nur, dass niemand im Westen verstehen will, dass wir Slawen seit Jahrhunderten Europa gegen die Moslems verteidigen."

Der Bus hält in Staro Gracko, der Heimat von einigen Dutzend serbischen Familien. Vor sieben Jahren wurden hier 14 serbische Bauern auf dem Feld totgeschlagen, mutmaßlich von UÇK-Kämpfern. Die Täter wurden nie gefasst. Viele Verbrechen der albanischen Seite blieben nach dem Rückzug der serbischen Truppen im Jahr 1999 ungesühnt. Die Vorfälle sind Teil der nationalistischen, serbischen Legendenbildung rund um den Kosovo-Konflikt geworden. Beinahe alle serbischen Anwohner warten vor dem Sportplatz der Enklave auf die Gäste aus Belgrad. Doch die Kinder haben nur Augen für Krneta und ihre Freundinnen, die sie schon von unzähligen Besuchen kennen. Während die Frauen mit den Kindern auf dem Basketballfeld herumtollen, hält der Dorfvorsteher unter Tränen einen Vortrag vor einer erst vor wenigen Wochen zerschlagenen Gedenktafel. An der Wand prangt ein Graffiti der UÇK.

"Ich kann die Heiligen riechen"

Danach übergibt Krneta Plastiktüten mit Spenden. Diesmal sind es vor allem Lehrmaterialien für die Grundschule. "Wir werden von unseren Bekannten unterstützt und versuchen mitzubringen, was gerade benötigt wird", erklärt sie. Nach einer halben Stunde wird sie von tätowierten Männern von Kosmet zum Bus geleitet. Der Zeitplan ist eng. Neben den Besuchen in den Enklaven werden zwölf orthodoxe Kirchen besichtigt.

Hier blüht Krneta auf. Wenn Sie das Kopftuch unter ihrem Kinn verknotet und durch das Portal in die Dunkelheit des Gotteshauses tritt, taucht sie in eine andere Welt ein. Die Liturgie, das Küssen der Ikonen, das Berühren der alten Mauern und die Gespräche mit den Priestern sind ihr Lebenssinn. Krneta wiederholt diese Pilgerfahrt alle sechs Wochen. "Ich habe die Religion vor fünf Jahren für mich entdeckt", sagt sie. Krneta stammt aus einer religiösen Familie, die ihren Einsatz unterstützt.

Im Patriarchenkloster in Pec´, dem einstigen Zentrum der serbisch-orthodoxen Kirche, kauert sie auf den kalten Steinen und schiebt schließlich langsam ihren gesamten Oberkörper unter die Sarkophage mit den Gebeinen der Erzbischöfe und Patriarchen. "Manchmal kann ich die Heiligen riechen. Sie passen auf mich auf", sagt Krneta.

Jung und fromm

Die junge, schüchterne Frau hat Betriebswirtschaft in Belgrad studiert, arbeitet aber als Verkäuferin in einem Schuhgeschäft. "Ich wollte nicht in die Wirtschaft gehen. Ich möchte kein Mensch sein, der anderen Schaden zufügt, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen", erklärt sie. Krneta führt ein Leben, das ihren 25 Jahren nicht gerade entspricht. Die Touren in den Kosovo sind ihr Lebensmittelpunkt. Andere Hobbys oder einen Freund hat sie nicht. Mit ihrem Kopftuch und dem langen Rock orientiert sie sich an der Kleidung älterer traditionsbewusster Frauen. Auch in der religiösen serbischen Gesellschaft ist sie ein Sonderling, der auf der Straße auffällt. Doch hier im Kosovo ist Krneta akzeptiert und Teil, wenn nicht gar der Mittelpunkt einer Gruppe. Wie viele junge Menschen sucht Krneta Anschluss. Im Kosovo hat sie ihn gefunden.

Am Ende der Tour halten die Busse vor dem Kloster von Devic´. Krneta geht mit schnellen Schritten in die Krypta und deutet energisch auf den steinernen Reliquienschrein mit den Gebeinen des Erzbischofs: "Die Albaner haben Autoreifen in der Kirche entzündet, die Fresken zerschlagen, die Knochen der Heiligen geschändet. Wer tut so etwas?" Ihre Augen sind weit aufgerissen. Für einen Moment scheint es, als wäre sie wütend. Dann erblickt sie eine der Nonnen. Krneta hockt sich neben die Alte und hält ihre Hand. Zum Abschied verspricht sie, bald wiederzukommen.

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