Sommer 1968. Für viele Katholiken, die drei Jahre nach dem Ende des II. Vatikanums an dessen Umsetzung in den Diözesen arbeiteten, kam die Enzyklika „Humanae vitae“ wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Die Frage, ob Katholiken „künstliche“ Empfängnisverhütungsmittel verwenden dürfen, stand schon länger auf der Agenda der Weltkirche. Papst Paul VI. hatte das Thema allerdings aus den Beratungen des Konzils herausgenommen (wo vermutlich eine Mehrheit der Bischöfe für die „Freigabe“ der Pille votiert hätte). Er beriet sich lange, seine auch von Wissenschafern und Eheleuten beschickten Beratungsgremien hatten längst nahegelegt, für die Empfängnisverhütungsmittel zu votieren.
Doch in dem mit 25. Juli 1968 datierten Schreiben erlaubte der Papst lediglich die später unter dem Begriff „natürlich“ subsumierten Methoden zur Ermittlung von fruchtbaren und unfruchtbaren Tagen der Frau. Die Pille, aber auch Kondome, sind seitdem nach katholischer Lehre verboten.
Sturm der Entrüstung
Selten hat ein päpstliches Dokument einen solchen Sturm der Entrüstung hervorgerufen wie „Humanae vitae“. Nur ein Beispiel: In der Furche vom 10. August 1968 argumentierte der Grazer Pastoraltheologe Karl Gastgeber, die katholische Kirche verstehe sich hier nicht so sehr als Mittler zwischen Gott und den Menschen, sondern als Richter. Sie praktiziere eine Moral, die, „sanft ausgedrückt, väterliche Fürsorge genannt werden kann, mit harten Worten Ausdruck von Herrschaft und Macht ist“. Gastgeber stellte in seiner Analyse auch ein von Befürwortern der rigorosen Haltung des Papstes gebrauchtes Argument in Frage: „Heißt es nicht auch in der Genesis: Machet euch die Erde untertan …? Ist unser modernes Leben in der Technik, Medizin, Landwirtschaft, Erziehung eine fortdauernde Manipulation der Natur?“
In den weltweiten Protesten gegen das „Pillenverbot“ ging unter, dass Paul VI. in „Humanae vitae“ durch die Betonung der (ehelichen) Liebe bei der Sexualität über die vorkonziliare kirchliche Anschauung, der Sexualakt sei bloß zur Fortpflanzung gerechtfertigt, hinwegging. Dennoch wurde die Frage der Empfängnisregelung ein heißes Eisen der Kirchenkritik. Zahlreiche Bischofskonferenzen versuchten nach der Veröffentlichung der Enzyklika, ihren Gläubigen lebbare Wege aufzuzeigen. Österreichs Bischöfe verabschiedeten am 22. September 1968 unter Federführung von Kardinal Franz König – der aus seiner Enttäuschung über die päpstliche Entscheidung zeitlebens nie ein Hehl machte – die „Mariatroster Erklärung“: Dort wird dem einzelnen Katholiken zugestanden, nach reiflicher Gewissensüberlegung zum Urteil zu kommen, die päpstliche Lehre nicht annehmen zu können. Die Mariatroster Erklärung beruft sich darauf, dass „Humanae vitae“ kein „unfehlbares Glaubensurteil“ darstelle. Allerdings haben sich die Päpste seither bemüht, den Verbindlichkeitscharakter des „Pillenverbots“ weiter und weiter zu bekräftigen.
Verfestigte Lehre
Insbesondere Johannes Paul II., einer der „Väter“ von „Humanae vitae“ (vgl. nebenstehende Erinnerungen von Johannes Huber), wurde nicht müde, die Lehre zu verfestigen (etwa in den Lehrschreiben „Familiaris consortio“ 1981, „Donum vitae“ 1987, „Veritatis splendor“ 1993 oder „Evangelium vitae“ 1995). Auch Benedikt XVI. bekräftigt die päpstliche Lehrmeinung bis zum heutigen Tag.
Die Mariatroster Erklärung ist aber nie widerrufen worden, auch wenn sie von konservativer Seite als Ungehorsam gegenüber dem Papst gebrandmarkt wurde und es im österreichischen Episkopat in den letzten 20 Jahren Versuche gegeben hat, hinter die Erklärung zurückzugehen; gerade derzeit, heißt es, werde über eine „Verschärfung“ der „liberalen“ Kirchenlinie Österreichs nachgedacht (vgl. dazu auch den Leitartikel auf Seite 1) Otto Friedrich
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