Die Praxis beglaubigt das Dogma

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Kurz vor Weihnachten verstarb der niederländische Theologe und Dominikaner Edward Schillebeeckx. Der ehemalige Konzilsberater, Professor und Autor zahlreicher Bücher zählt zu den bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts und wartet auf seine Wiederentdeckung.

„Schillebeeckx?“, fragte die junge Buchhändlerin am Computer. „Wie schreibt man den?“ Nachdem ich den Namen buchstabiert hatte, kam das Ergebnis: „Es ist nur ein Buch lieferbar, und das haben wir nicht.“ Einen Tag vor dem Heiligen Abend war der Dominikanertheologe Edward Schillebeeckx im Alter von 95 Jahren gestorben. Nun muss sein Tod daran erinnern, dass einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts auf seine Wiederentdeckung wartet.

Schillebeeckx wurde in Antwerpen als sechstes von 14 Kindern geboren. Mit 20 Jahren trat er in den Dominikanerorden ein. Er studierte in Gent, Löwen und Paris. 1957 ging er nach Nijmegen in den Niederlanden, wo er bis 1982 den Lehrstuhl für Dogmatik und Theologiegeschichte innehatte.

Orthopraxis gefährdet Orthodoxie

Kardinal Alfrink nahm Schillebeeckx 1962 als Konzilsberater nach Rom mit. Der Kardinal und sein Theologe erwiesen sich als Sprengstoff gegen die kurialen Versuche, das Konzil auf die vatikanischen Ansichten festzulegen. Gemeinsam mit Karl Rahner sorgte Schillebeeckx für die Neufassung wichtiger Texte. Kardinal Alfrinks spektakuläre Vorstöße gegen traditionelle Auffassungen hatten starken Einfluss auf die Bischofsversammlung und waren zumeist von Schillebeeckx entworfen worden.

Der niederländische Katholizismus stand damals an der Spitze der theologischen Entwicklung und bekannte sich zu einer Art europäischer Befreiungstheologie. Schillebeeckx war in seinen Pariser Jahren den französischen Arbeiterpriestern begegnet. Seit damals lautete sein Bekenntnis: In der Orthopraxis steht die Orthodoxie auf dem Spiel. Das bedeutete für ihn, den profunden Kenner des Thomas von Aquin, in „kreativer Treue“ das zeitgemäße Wort zu finden. Er arbeitete am Holländischen Katechismus von 1966 mit; was dort zu Papier gebracht wurde, war in Schillebeeckx’ eigenen Schriften deutlicher nachzulesen. Die Sakramente verstand er als eine unter anderen Formen christlicher Gottesbegegnung. „Unser christliches Leben ist das Dogma in der Tat seiner Ausübung selbst.“ Das heißt: In der praktischen Menschenbegegnung erweist sich, was vom christlichen Glauben zu halten ist. Der Vorstellung einer „Transsubstantiation“ von Brot und Wein in der Eucharistiefeier setzte er den Begriff der Transsignifikation entgegen: Nicht die Substanz wandelt sich, sondern die Bedeutung.

Der Zentrale zunehmend suspekt

Über tausend Bücher und Aufsätze stammen aus seiner Feder. Sein zweiteiliges Buch über Jesus, den Christus, kann als sein wichtigstes Werk gelten. Er schrieb über Jesus „die Geschichte eines Lebenden“ und „verflüssigte“ spätere dogmatische Festlegungen nach dem Beispiel der Evangelien durch eine narrative Theologie. Damit wurde Schillebeeckx der römischen Zentrale zunehmend suspekt, noch mehr, als er den hierarchischen Aufbau der Kirche kritisierte; dieser nämlich sei von der Bibel in keiner Weise gedeckt. 1968 klagte die Glaubenskongregation den Theologen an. Deutsche Traditionalisten forderten mit einer Plakataktion in Essen: „Weg mit Kardinal Alfrink und seinesgleichen aus dem Bischofsamt!“ Noch zweimal, 1976 und 1984, musste sich Schillebeeckx in Rom verantworten, zuletzt vor Joseph Ratzinger. Dieser schien der Argumentation des Holländers nicht gewachsen und so kam es niemals zu einer Verurteilung. Ratzingers eigenes Jesus-Buch ist vielleicht die späte Rechtfertigung des Papstes gegenüber seinem genialen niederländischen Kollegen.

Schillebeeckx erkannte bald, dass die Kurie die Ergebnisse des Konzils in ihr Gegenteil verkehrte. Sein Engagement konzentrierte sich nun auf die Niederlande. Er war einer der Redner der kritischen „8. Mai Bewegung“, die 1985 entstand, als Papst Johannes Paul II. die Niederlande besuchte. Die Versuche, Hierarchie abzubauen und die Liturgie nach den Entwürfen des Amsterdamer Studentenpfarrers Huub Oosterhuis zu reformieren, verliefen im Sand: Rom setzte konservative Bischöfe ein und die Menschen kehrten der Kirche den Rücken. 1970 waren noch 40 Prozent der Niederländer katholisch, 2009 nur mehr 26. Schon 2003 hatte sich die Protestbewegung des 8. Mai aufgelöst.

Für gemeinsames Abendmahl

Schillebeeckx trat offen für das gemeinsame Abendmahl der christlichen Konfessionen ein, denn die Unterschiede zwischen ihnen seien viel geringer als die Unterschiede zwischen den vier Evangelien, die als Basis der einen Kirche unbestritten sind. Auch hatte er keine Berührungsängste mit der feministischen Theologie. 1994 ließ sich eine Niederländerin aus der dominikanischen Laiengemeinschaft zur anglikanischen Priesterin weihen und Schillebeeckx hielt ihr die Primizpredigt.

Seither ist es um Edward Schillebeeckx still geworden. Seine Bücher sind in alle Sprachen übersetzt, aber nicht mehr auf dem Markt. Hingegen wächst die Zahl der Dissertationen, die sich mit ihm beschäftigen. Und es ist wohl kein Zufall, dass es die niederländischen Dominikaner waren, die vor zwei Jahren ein Dokument für die Lockerung des Zölibats und die Priesterweihe für Frauen herausgaben. Das sind Anzeichen einer Wiederentdeckung des großen Dominikanertheologen, in einer Zeit, in der die Proteste gegen den römischen Traditionalismus zunehmen und nach theologischer Fundierung suchen.

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