Die "Provinz" als Avantgarde

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Eichgraben im Wienerwald: Begegnung mit Künstlern im Jugendstil-Saal eines alten Ausflugsgasthauses.

Eichgraben ist ein kleiner Ort ziemlich genau auf halber Strecke zwischen Wien und St. Pölten, dessen "Graben" die Westbahn im kühnen Viaduktbogen übersetzt. Der Bahnhof liegt hoch über dem Ort, und gleich gegenüber steht eines der letzten original erhaltenen Ausflugsgasthäuser aus der Zeit um 1900. Durch eine verglaste, grün gestrichene Holzveranda betritt man ein olfaktorisches Zauberreich. Die Holzbohlen haben all das gespeichert, was lange schon verloren ist. Man riecht die pfnausenden Dampfloks, man sieht die kleinen braunen Kartonfahrkarten, die, einmal "gelöst", die "geheimen großen Tore einer unendlichen blauen Ferne" eröffneten (Joseph Roth), man hört die hellen Signalglöckchen und die ins Weite gehenden Pfiffe - und die ausgelassene Unterhaltung der rauchenden, trinkenden und speisenden Wochenendausflügler. Denn für die gute Küche war der Gasthof in Eichgraben mit seinem imposanten Jugendstil-Speisesaal berühmt.

Einzigartiges Ambiente

Schon diesen Ort unverfälscht erhalten zu haben, ist eine Kulturtat. Aber Elfriede Bruckmeier, die Enkelin des einstigen Gastwirts, hat noch eins draufgesetzt: Seit 1974 betreibt sie hier mit ihrem Mann, dem Maler Lothar Bruckmeier, den "Verein für Kunst und Kultur Eichgraben" und die "Galerie in Eichgraben". Ein Besuch lohnt sich; anreisen sollte man nach Möglichkeit per Bahn, auch wenn die Park and Ride-Anlage vor dem Bahnhof - so nützlich und hässlich wie alle - selbst bei Vernissagen keine Parkplatzprobleme aufkommen lässt, obwohl die Veranstaltungen erstaunlich gut besucht sind.

Das ist die Ernte einer mehr als drei Jahrzehnte langen kontinuierlichen Kulturarbeit, die auch die Frage nach Peripherie und Zentrum, Metropole und Provinz neu stellt. Das Ehepaar Bruckmeier präsentiert hier Musik, Literatur, Bildende Kunst und Performanceveranstaltungen in einer klugen Abmischung zwischen Zugeständnissen an ein regionales Publikum und Innovation - und hat dabei über die Jahrzehnte eine erstaunliche Offenheit für das Neue, noch nicht Etablierte bewiesen.

In der Galerie in Eichgraben waren viele zu Gast, lange bevor sie in den Metropolen breiter wahrgenommen wurden. Herbert Lauermann präsentierte hier 1982 seine Sonate über ein treibendes Jahr, als er noch Musikerzieher am Gymnasium Stockerau war, Jahre vor seinem Wechsel an die Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Jürgen Messensee erhielt hier bereits 1989 eine Ausstellung; dass diese und andere späterhin etablierte Künstler in ihren Lebensläufen und Werkbiografien auf ihre Auftritte in Eichgraben "vergessen", mag Zufall sein, lässt aber doch einen üblen Nachgeschmack zurück.

Kunst, Musik, Literatur

Die beiden Galeristen müssen sich darob nicht grämen. In drei reich bebilderten Jubiläumsbänden - zwei davon sind leider vergriffen - ist festgehalten, wer hier in den ersten drei Jahrzehnten aller zu Gast war. Um mit der Musik zu beginnen: Kurt Schwertsik war seit Anfang der 1980er Jahre immer wieder präsent, Otto Lechner (1988), HK Gruber mit dem Artmann'schen Frankenstein-Projekt (1996); Friedrich Cerhas Eine Art Chansons nach Texten der Wiener Gruppe wurde dem Publikum ebenso vorgestellt wie John Cage oder Christian Muthspiel; dieses Frühjahr war Bertl Mütters Posaunen Varieté zu hören.

Mit Ausstellungen vertreten waren unter vielen anderen Leo Zogmayer (1980), Hans Staudacher (1983), Martha Jungwirth (1986) oder Maria Bilger (1987); Herwig Zens präsentierte seine 1984 begonnenen Goya-Projektionen bereits im Folgejahr, Arbeiten von Linde Waber (1990) und Angelika Kaufmann (1991) waren ebenso zu sehen wie von Franz Ringel und Wolfgang Herzig (1999). Gastspiele gaben das Serapionstheater Wien 1979, das Tanztheater Homunculus 1986 oder 1992 das Kleine Theater Salzburg mit Reinhard P. Grubers Heimatlos.

Auch in der Literatur ist der Bogen weit gespannt. Hans Weigel war geladen (1984), sehr früh schon Peter Henisch (1979), Ernst Kein, Adolf Holl, Ilse Tielsch, Jeannie Ebner, Julian Schutting oder Alois Vogel, der im zehn Kilometer entfernten Neulengbach jahrelang den Literaturkreis "Podium" leitete. Heimito von Doderer, der dem "Eichgraben" in seinem Werk mehrmals seine Reverenz erwies, waren über die Jahre immer wieder Abende gewidmet.

Wer eine der anregenden Veranstaltungen in der Galerie in Eichgraben besucht, wird von der lebendigen Atmosphäre überrascht; der einstige Speisesaal des Gasthofs "Zur Post" eröffnet durch die hohen Fenster auf der einen Seite den Blick ins Weite und lässt auf der anderen die bezaubernde Kulisse des Innenhofs herein; schon die Architektur übt gleichsam ein ins Schauen, macht die Sinne aufnahmebereit und entfaltet das Ambiente eines luftigen Denk- und Begegnungsraumes.

Lebendige Atmosphäre

Wer hierher kommt, kommt um der Künstler willen; hier werden nicht Garderobe und Sozialverhalten der Besucher in Augenschein genommen, sondern die Bilder oder Skulpturen, hier geht es nicht um Szenetratsch, hier hört man den Autoren und Musikern zu. Dass sich davor und danach lebendige Gespräche entwickeln, liegt am Ambiente wie an der dezenten Art, mit der das Ehepaar Bruckmeier die Abende, nein nicht leitet, aber von den Rändern her behutsam begleitet.

Dieser Eindruck entsteht schon beim Eintreten: Als Neuling wird man die Organisatoren nicht gleich ausmachen. Die Veranda, tapeziert bis obenhin mit Fotografien und Arbeiten von Künstlern, die im Lauf der Jahre hier eingeladen waren, zeigt, wo der Akzent liegt: auf den Künstlern, die hier zu Gast sind, und auf den Besuchern, die sie kennen lernen wollen. Der leichte Wein, der gereicht wird, unterstützt den kommunikativen Aspekt dabei ebenso wie das einfach Büfett, bei dem man die hausgemachten Aufstriche selbst in beliebiger Dicke auf die Brotschnitten verteilen darf.

Flair von weiter Welt

Mit Bevormundung haben es die beiden Veranstalter nicht. Die Menschen sollen untereinander ins Gespräch kommen und das tun sie zumeist auch. Allenfalls beiläufig und unauffällig wird koordinierend und vermittelnd eingegriffen. Das schafft eine zwanglose und offene Atmosphäre, bei der es keinen Eindringling gibt, der sich - im Gefühl, alle anderen würden einander seit langem kennen - schnell unwohl fühlt.

Auch diese Präsentationsform, so könnte man sagen, hat ein Flair von weiter Welt, das zur Frage nach Metropole und Provinz zurückführt. Das wahrhaft Provinzielle rund um die "Galerie in Eichgraben" ist die Tatsache, dass bislang quasi alle Formen der Würdigung auf das Land Niederösterreich beschränkt blieben; 1992 erhielt das Ehepaar Bruckmeier den "Förderungspreis des Landes Niederösterreich für Organisation kultureller Veranstaltungen", einige Würdigungsartikel sind in der Zeitschrift Morgen erschienen - als die tatsächlich noch eine Kulturzeitschrift aus Niederösterreich war.

Die Wiener haben mit der Wellness-Welle zwar ein wenig an die alten Sommerfrischetraditionen angeknüpft und suchen die Wienerwaldgemeinden fleißig per Auto, Mountainbike oder Motorrad heim; was sich hier, und sei es schon seit mehreren Jahrzehnten, an kultureller Begegnung tut, interessiert sie kaum. Dafür brausen die Fernzüge der Westbahn mit immer höheren Geschwindigkeiten durch. Auch das ist ein kultureller Fortschritt; ein größerer vielleicht, dass es die Regionalverbindungen noch gibt: in 29 Minuten ab Wien Westbahnhof kann man dort sein. Vorher sollte man sich vielleicht über das aktuelle Programm informieren.

Verein für Kunst und Kultur Eichgraben

Kirchenstraße 15, 3032 Eichgraben

Info: www.vkk-eichgraben.at

Ausstellung: Ellnamaj, Radierungen und Loredana Scapin, Aquarelle

Bis 30. 9. Fr-So 10-18 Uhr

oder tel. Vereinbarung: 02773/46301

Konzert: "Narish"

Samstag, 15. 9. 19.30 Uhr

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