Die Quadratur der wahren Gefühle

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Liebe kann man nicht erklären, lautet eine Binsenweisheit. Als exakteste aller Wissenschaften trägt die Mathematik dann doch einen Teil dazu bei, die schönste Sache der Welt einigermaßen zu erklären. Prognosen über das Gelingen von Beziehungen sind möglich, müssen aber nicht eintreten.

Liebe besteht zu drei Viertel aus Neugier, hat Giacomo Casanova geschrieben. Damit wollte der venezianische Freigeist sicherlich keine exakte Quantifizierung vornehmen. Die moderne Mathematik traut sich das schon eher zu. Ihre Formeln und Gleichungen sind maßgeschneidert für die Analyse veränderlicher, voneinander abhängender Größen. Universell anwendbar auf so unterschiedliche Phänomene wie den Lauf der Gestirne oder das Wachstum eines Zehennagels. Warum also nicht auch auf die verschlungenen Pfade der Liebe?

Ein Klassiker in Liebesdingen ist die Frage, wie man den oder die „Richtige“ erkennt. Die Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass man nie weiß, welche Bekanntschaften man im Laufe seines Lebens noch machen wird. Wann soll man sich also festlegen? Glücklicherweise ist dieses Dilemma ein Spezialfall eines bekannten Problems aus der Entscheidungstheorie. Die Lösung nennt man „37-Prozent-Regel“ und funktioniert wie folgt:

Referenzgröße für Liebeswert

Man testet 37 Prozent aller möglichen Lebenspartner (bei angenommenen 100 Personen wären das also genau 37) und weist jedem von ihnen einen Liebeswert zu. Die Person mit dem höchsten Wert fungiert als Referenzgröße. Danach sucht man weiter, bis man an die erste Person gerät, deren Wert höher ist als die Referenz. Diese ist dann mit 37-prozentiger Wahrscheinlichkeit die optimale Wahl. Wirklich praktikabel ist diese Strategie zwar nicht. Doch die Mathematik hat noch andere Tricks auf Lager. So haben der amerikanische Psychologe John Gottman und der Oxford-Mathematiker James Murray eine Theorie entwickelt, mit der sie das Scheitern einer Ehe voraus sagen können. Dazu ließen die beiden 700 Ehepaare 15 Minuten lang miteinander über kontroversielle Themen wie Geld, Sex oder Hausarbeit plaudern. Auf Basis der dabei gezeigten Gefühlsregungen (Lachen, Weinen, Schimpfen, etc.) ordneten die Wissenschaftler jeder Äußerung einen positiven oder negativen Wert zu. Diese Werte trugen sie in zwei Gleichungen ein. Als zusätzliche Größe wurde je eine Funktion eingeführt, die angibt, wie stark ein Partner im Gespräch die Stimmung des anderen zu beeinflussen vermag. Verhalten und Wertverlauf dieser Funktionen zeigt, ob die Ehe glücklich verlaufen wird oder Kurs auf den Scheidungsrichter nimmt.

Zutreffende Vorhersagen

Das überraschende Ergebnis: 94 Prozent der Scheidungsvorhersagen des Modells trafen nach spätestens vier Jahren tatsächlich ein. Die restlichen sechs Prozent der Ehen hielten zwar, waren aber – nach eigenen Aussagen – unglücklich. „Offen gestanden war ich selbst überrascht über die Treffsicherheit unseres Modells”, sagt Murray. Er glaubt zwar grundsätzlich, dass sich Menschen frei entscheiden können. „Aber vieles von ihrem Verhalten ist vorhersehbar.“

Auch der Wiener TU-Professor Felix Breitenecker hat das Modell einer Liebesbeziehung erstellt. Es orientiert sich an der historischen Person Francesco Petrarcas und stellt seine Gefühle für Laura nach, der er einen Großteil der Gedichte aus dem Canzoniere gewidmet hat. Grundannahme des Modells ist das unterschiedliche Verhalten der beiden. So ist Petrarca recht einfach gestrickt. Wird er geliebt, liebt er ebenfalls. Auf Liebesentzug reagiert er mit Verzweiflung. Laura zeigt ein deutlich differenzierteres Verhalten. Fühlt sie sich von Petrarcas Liebesschwüren bedrängt, zieht sie sich zurück. Seine darauf folgende Trauer macht ihn aber wieder interessant für die Venezianerin.

Zur Verfeinerung dieses Modells haben die Wiener Forscher neun Parameter eingeführt. Etwa die gegenseitige körperliche Attraktivität oder wie schnell erlittenes Herzeleid vergessen wird. Das Verhalten dieses Systems zeigt ein permanentes Auf und Ab der Gefühle. Mathematiker nennen das einen stabilen Grenzzyklus. Durch Veränderung der Parameter kann man unterschiedliche Beziehungstypen simulieren. Demnach führen zwei in etwa gleich attraktive Partner eine zwar stabile, aber leider schrecklich langweilige Beziehung. Dass sich mithilfe des Modells der Ausgang von Partnerschaften prognostizieren lässt, verneint Breitenecker vehement. „Wir wollten nur zeigen, was sich mittels Simulation heute alles machen lässt.“

Nicht wenig offenbar. Laut Galilei ist das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben. Vielleicht wurde ein weiteres Kapitel darin gerade erst aufgeschlagen.

Alles ist Zahl – Taschners neues Buch

Der Titel ist Programm. Österreichs bekanntester Mathematiker begibt sich wieder einmal auf die Suche nach der Mathematik in der Welt und überhaupt. Unnötig zu betonen, dass er dabei mehr als fündig wird. Gespickt mit kleinen Anekdoten der großen Rechenmeister beantwortet Taschner tiefgründige Fragen. Etwa, warum sich ein Würfel denkbar schlecht als Fußball eignet. Wie man sich bei der Polizei verhält, wenn man beim Einbruch erwischt wurde. Und wie man in nur 200 Jahren zum Millionär wird. Das letzte Kapitel widmet sich dem Verhältnis von Mathematik und Religion. Dabei erfährt der Leser unter anderem, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben. Fürchten muss man sich vor dem Buch übrigens nicht: Es enthält keine einzige Formel. (R.L.)

Rechnen mit Gott und der Welt

von Rudolf Taschner, Ecowin Verl. 2009. 207 S., geb., e 22,–

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