Die quälende Unerkennbarkeit der Welt

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Am 12. Juli 2011 startet zum 28. Mal das der zeitgenössischen Bewegungskunst verpflichtete Festival "ImPulsTanz“ in Wien: Frugales und Animalisches

Sommer 1980: Ein junger Mann misst sich einen Anzug aus Banknoten auf den Körper und tapst damit durch ein kleines Theater in Antwerpen. Später wird er sich gierig Banknoten-Bündel in die Tasche stopfen.

Sommer 2011: "The Rea(dy) Makes of the Performance Money” lautet der Titel einer Aufführung in einer Museumshalle in Wien. Urheber: Jan Fabre, der damals junge Mann, der Anfang der 1980er Jahre für jenen - nicht wirklich geschmackvoll betitelten - "Money Holocaust“ verantwortlich zeichnete. Immer wieder verbrannte er die Einnahmen aus den Eintritten auf der Bühne. Die Asche setzte er als Zeichenmaterial ein. Für diese Kritik an der Dominanz des Geldes in der Welt verbrachte er eine Nacht im Gefängnis.

Beim "Re-Enactment“ im Wiener Völkerkundemuseum wird der nunmehrige Star-Choreograf Wim Vandekeybus in die Rolle des Zündlers schlüpfen. Er begann seine Karriere als Tänzer in Fabres - damals schon etablierter - Truppe Troubleyn.

Der Mastermind in seinem "Imperium der Dämmerung“, Jan Fabre, ist bei "ImPulsTanz“ gleich mit vier Werken vertreten. Parallel dazu zeigt das Kunsthistorische Museum "Die Jahre der Blauen Stunde“, eine Ausstellung der bildnerischen Werke des Multitalents. Jan Fabre ist provokant, politisch, unkonventionell. In seiner vollkommenen Hingabe an das Geheimnis der quälenden Unerkennbarkeit der Welt ist er so berührend wie aufrührend.

Im Becken mit einem Karpfen

60 verschiedene Performances an 90 Abenden - diese geballte Masse an Bewegungskunst bei "ImPulsTanz 2011“ ist nicht leicht zu überblicken. Die langjährigen "ImPuls“-Dauerbrenner finden sich jedenfalls wieder: La La La Human Steps, Needcompany, Akram Khan, Marie Chouinard, Mathilde Monnier. Die so temperamentvolle wie perfektionistische - nur scheinbar ein Gegensatz - Anne Teresa De Keersmaeker zeigt in "Elena’s Aria“ fünf junge Frauen auf der Suche nach dem echten Leben. Poltergeist und Krachmacher Wim Vandekeybus lässt für seine neue Arbeit "Monkey/Sandwich“ unter anderem ein riesiges Aquarium auf die Bühne bauen, in dem ein Tänzer mit einem Karpfen schwimmt.

Der bulgarische Radikal-Performer Ivo Dimchev wird in einen bewegten Dialog mit den "Passstücken“ des jüngst bei der Biennale zu Venedig für sein Lebenswerk geehrten Künstlers Franz West treten. Dimchev nähert sich Wests in Gaze und Gips eingepackten Alltagsobjekten in der Soloperformance "I-ON“, die sich zur Gruppenversion "X-ON“ erweitert, sein radikales Dogma bekräftigend, nur seinen, nicht den Körper“ zu benutzen, den inflationären Diskurs über den Körper im Tanz zu beenden.

Die "Österreicher-Schiene“ führt Aushängeschild Chris Haring mit einem ersten Teil des geplanten Zyklus "Perfect Garden“ an. Dafür wird sich der medienaffine Haring samt seinen gern eingesetzten Video-Schnipseln in das Wiener Palmenhaus begeben.

Was zu einem mehrfach auftretenden Phänomen im Aufführungsreigen führt: Frugales und Animalisches sind en vogue.

Blüten und Gemüse

Altmeister Jan Fabre mischt auch da mit: In "Preparatio Mortis“ steht eine Frau von den Toten auf. Leichtfüßig entflieht sie ihrem mit 8.000 frischen Blüten überhäuftem Grab. Als Ode an das Leben werden noch 200 Schmetterlinge durch das Odeon-Theater flattern.

200 Karotten auf der Bühne, fabelhaft verpackt, schenkt uns Marcela Levi. Weiteres Gemüse gibt’s bei Magdalena Chowaniec, Amanda Pina und Daniel Zimmermann. - 50 Jahre nach dem Wiener Aktionismus bringen sie, wie sie schelmisch meinen, in einem "Neuen Wiener Bioaktionismus“ das Blut der roten Rübe ins Theater.

"Mehr denn je ist Kunst ein Medium des Widerstands“, konstatiert die indische Choreografin Padmini Chettur. Ein Hoffnungsschimmer in harten Zeiten.

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