Die Reaktionäre kommen im Heute an

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Die Festspiele in Erl bei Kufstein zeigten auch in diesem Jahr wieder ein umfangreiches Programm. Neben Strauss’ „Elektra“ standen Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ und Beethovens „Fidelio“ am Programm. Nebenbei erklärte Intendant Gustav Kuhn 1400 Schülern, was Oper ist.

Gustav Kuhn, dieser Pygmalion der Musikszene, hat sich die Festspiele in Erl erschaffen, um Widerstand zu leisten gegen die Mechanismen des herrschenden Kulturbetriebs. Das Festival, das in dem kleinen Dorf nahe Kufstein am Sonntag nach 25 Tagen zu Ende geht, war heuer von besonderer Vielfalt. Kuhn inszenierte und dirigierte Strauss’ „Elektra“ als Wiederaufnahme, neu waren, in betont konträren Regiekonzeptionen, Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ (noch am 26. Juli) und Beethovens „Fidelio“ (noch am 25. Juli). Sein längst berühmtes, strapazierfähiges Festspielorchester nützte Kuhn wie immer auch für Symphoniekonzerte, es gab fabelhafte Kammerkonzerte mit Uraufführungen von Gernot Schedlberger, Christof Dienz und Bernhard Gander, Klavierrezitals, Liederabende und Specials im Passionsspielhaus, in der Kirche, im Gasthaus, auf dem Inn und auf der Alm. Und mitten im Getriebe zeigte Kuhn 1400 Hauptschulkindern aus ganz Tirol anhand von „Fidelio“-Szenen, was Oper ist.

Jubel um Kuhn und das Orchester

Als Regisseur ist Kuhn ruhiger geworden. Blödeleien werden zu Komik und kleine gesellschaftliche Racheakte werden konzeptuell gestützt. Das Erler Passionsspielhaus, in dem er festspielen darf, hat ihn als Regisseur wohl auch erzogen.

„Die Meistersinger von Nürnberg“ zeigt Kuhn völlig unpolitisch als bürgerliche Komödie, die wunderbare Shakespeare’sche Bühne des Architekten und Bühnenbildners Jaafar Chalabi lässt sich teilen, um Gassen zu imaginieren. Ebenso einfach wie spektakulär durch Lenka Radeckys Kostüme gelöst wird der auf Kunstebene ausgetragene Konflikt zwischen den Reaktionären und Neuerern: Lehnen sie Stolzings Fortschrittlichkeit ab, tragen sie aus farbigem Tüll üppig gefertigte historisierende Gewänder, erkennen sie die Zeichen der Zeit, legen sie mit den Vorurteilen auch die alten Kostüme ab und kommen in unserer Alltagskleidung im Heute an. Auch Gustav Kuhn erweist sich als einer, der die Partitur nicht der Gewohnheit unterordnet, sondern neu aushorcht und dabei in reichem Maß fündig wird. Viel Jubel um ihn und das Orchester, abgestuft der Applaus für Oskar Hillebrandt als Sachs, Franz Hawlata als Pogner, Maria Gessler als Eva, Michael Baba als Stolzing und den Erler Martin Kronthaler als eindrucksvollen Beckmesser.

Zum außerordentlichen orchestralen Ereignis wurde Ludwig van Beethovens „Fidelio“. Da erzeugt Kuhn, immer im Sinn von Beethovens Idealen, aber nie heroisierend, mit enormer dynamischer Bandbreite Herzklopfenmusik von außerordentlicher Spannung und Klangschönheit. Die dritte Leonoren-Ouvertüre, in die das Liebespaar regelrecht hineinschreitet, wurde mit einem Beifallsorkan beantwortet.

Äußerste Reduktion

Das „Meistersinger“-Leading Team arbeitete hier mit äußerster Reduktion. Die graublauen Einheitskostüme werden zur Charakterisierung der Figuren leicht variiert, eine Vertiefung in der leeren, ansteigenden Bühne ist Florestans Verlies. Die Protagonisten sitzen an der Bühnenseite, bis sie wieder in die Handlung eingreifen. Ein streng stilisiertes, formalisiertes Geschehen, auch die Dialoge wurden bis auf Fragmente gestrichen. Aller Raum für Beethovens Musik. Die dichte, imposante Aufführung wird in den Hauptrollen von dem großartigen Jon Villars als Florestan, der lyrisch intensiven Bettine Kampp als Leonore, Carsten Wittmosers jungem, gütigen Rocco, Anett Fritschs etwas steifer Marzelline und Thomas Gazhelis Pizarro getragen.

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