„Die Religion ist nicht unschuldig“

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Zurzeit wird religiös motivierter Terrorismus fast ausschließlich mit dem radikalen Islam identifiziert. Ein Fehler, meint der Religionspsychologe James W. Jones, der sich mit religiösen wie psychischen Ursachen von Terrorismus beschäftigt: Im Lauf der Geschichte waren alle Religionen mit Gewalt in Verbindung. Das Gespräch führte Otto Friedrich

Er ist anglikanischer Geistlicher und Professor für Religionspsychologie an der Rutgers University in New Jersey. Nicht zuletzt mit seinem jüngsten Buch „Blood That Cries Out From The Earth“ hat James W. Jones sich mit der Psychologie des religiösen Terrorismus auseinandergesetzt. Beim dieser Tage an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien stattfindenden Internationalen Kongress für Religionspsychologie hielt er den Eröffnungsvortrag.

Die Furche: Herr Professor Jones, noch vor zehn Jahren waren in der Diskussion über religiösen Terrorismus viele Religionen präsent: die buddhistische Aum-Sekte, die christliche extreme Rechte in den USA etc. Aber seit 9/11 wird als Religion fast ausschließlich der Islam in Verbindung mit Terrorismus gebracht.

James W. Jones: Das ist ein verhängnisvoller Fehler. Denn im Laufe der Geschichte waren alle Religionen mit Gewalt in Verbindung. In den USA werden auch nicht alle aktuellen Vorkommnisse berichtet – etwa dass im Juni ein Abtreibungsarzt in Kansas von militanten rechten Christen ermordet wurde. In den USA steigt das Interesse an extremen christlichen Identitätsbewegungen, darunter auch Neonazi-Gruppierungen wie die Aryan Nations („Arische Nationen“). Es ist also nicht nur der Islam.

Die Furche: Sie sind Psychologe: Wann wird jemand ein Terrorist?

Jones: Da spielen drei Faktoren zusammen: 1. Man braucht eine Gemeinschaft von Menschen, die sich erniedrigt, an den Rand gedrängt fühlen. Dann braucht man 2. eine Gruppe, die diese Menschen für Gewalt organisieren kann – einzelne Entwurzelte werden keine Terroristen, und 3. muss eine religiöse Ideologie da sein, die Gewaltakte rechtfertigt. Denn es gibt einen psychologischen Widerstand dagegen, Angehörige der eigenen Art zu töten. Man muss den Einzelnen einimpfen, dass die anderen gefährlich sind. Um eine Person zum Terroristen auszubilden, muss eine breite theologische Rechtfertigung für Gewalt da sein. Es handelt sich also nicht um einen einsamen Wolf, der auf eine verrückte Weise handelt.

Die Furche: Was macht Menschen für den Terrorismus empfänglich?

Jones: Ein wichtiger psychologischer Faktor sind Gefühle der Scham und der Erniedrigung. Der entscheidende Augenblick bei der Anwerbung ist, wenn ein Einzelner eine Verbindung findet zwischen seiner individuellen Erfahrung von Erniedrigung und der einer Gruppe, mit der er sich identifiziert. Ein anderes psychologisches Kennzeichen ist die Tendenz, die Welt in feindliche Lager von Gut und Böse einzuteilen. Auch hier gibt es bestimmte psychologische Korrelationen: So legt die Forschung nahe, dass Menschen, die die Welt so sehen, auch eine bestimmte kognitive Rigidität entwickeln, sie sind nicht offen, um alternative Sichtweisen zu überlegen. Und sie tendieren zu einem Unvermögen, sich in andere einzufühlen.

Die Furche: Die Attentäter von 9/11 waren aber Angehörige der Mittelklasse, Intellektuelle: Das waren doch keine Leute, die von der Erniedrigung direkt betroffen waren.

Jones: Ja und nein. Armut, keine Bildung, das trifft auf diese Menschen nicht zu. Die Attentäter von 9/11 haben im Westen gelebt, aber sich dort nicht willkommen gefühlt. Der iranisch-französische Soziologe Farhad Khosrokhavar hat das „Erniedrigung durch Stellvertretung“ genannt; er hat damit gemeint: Man muss selber nicht die Erniedrigung erfahren haben, aber durch die Medien oder das Internet wird man mehr und mehr bombardiert mit Botschaften, die sagen: Euer Volk, eure Leute werden erniedrigt, sie müssen leiden.

Die Furche: Gibt es diese Mechanismen auch bei Nicht-Muslimen?

Jones: Etwas Ähnliches findet man bei den extremen Christen in Amerika – bis Anfang dieses Jahres, dem Ende der Ära Bush, hatten sie ja die Macht, hatten Zugang zum Weißen Haus, ihr Glaube wurde in den Medien präsentiert. Und trotzdem haben sie sich entwurzelt und erniedrigt gefühlt wegen der Freizügigkeit gegenüber Homosexuellen oder wegen der Evolutionstheorie, die immer noch gelehrt wird. Religion kann wirklich eine Erfahrung der Erniedrigung kreieren. Das ist ein völlig ideologiegetriebenes Gefühl, aber es munitioniert Menschen auf, Gewalt auszuüben.

Die Furche: Ist diese Entwicklung der Religion immanent?

Jones: Die Religion ist hierbei nicht unschuldig. Religion ist wie jedes menschliche Verhalten multidimensional und multideterminiert. Es gibt nicht nur einen Grund für religiöses Verhalten. Ähnlich gibt es auch nicht bloß einen religiösen Grund für den Terrorismus. Es gibt Menschen, die psychologisch prädisponiert sind, die auf eine bestimmte Art denken und dann einige Instrumente nutzen, die eine Religion bereithält. Jede Religion hat ein riesiges Lager an Symbolen, die gewalttätig interpretiert werden können. Andererseits aber haben Leute wie Gandhi, der Dalai Lama, Martin Luther King auch mit Menschen gearbeitet, die Erniedrigung erfahren haben, die aber die Demütigung in Demut gewendet haben, die also damit auf konstruktivere Weise umgegangen sind. Und auch dabei ist Psychologie im Spiel – eine Psychologie, die ihr Augenmerk auf Vergeben, Einfühlungsvermögen legt. Religion ist in diesem Sinn ambivalent: Sie kann Erniedrigung in Gewalt transformieren oder in etwas Konstruktiveres.

Die Furche: Haben die Neuen Medien den Terrorismus verändert?

Jones: Al Kaida ist da eine gute Fallstudie: Bis zu 9/11 war Al Kaida eine hierarchische Organisation mit Bin Laden an der Spitze und klaren Kommunikationskanälen. Nach 9/11 wurden 99 Prozent ihrer Infrastruktur zerstört. Ironischerweise wurde genau zu dieser Zeit das World Wide Web wirklich weltweit. Chatrooms, Al Jazeera, Internet-News-Sendungen … führten zur Ausbreitung der Kommunikationskanäle. Al Kaida und andere Gruppen veränderten sich von straffen Organisationen zu selbstrekrutierenden, selbstradikalisierenden Zellen in verschiedenen Ländern. Prominentestes Beispiel dafür sind die Anschläge von Madrid im März 2004. Die Attentäter wollten in den Irak gehen, hatten das Geld dafür aber nicht, und auf einer der Webseiten lasen sie: Macht den Dschihad dort, wo ihr seid. So haben sie es getan.

Die Furche: Und auch diese Phänomene sind nicht auf den islamistischen Terror beschränkt?

Jones: Ein muslimischer Dschihadist in den USA kann auf die Website der Aryan Nations gehen und herausfinden, wo man am besten Handfeuerwaffen kauft. Ein christlicher Attentäter gegen Abtreibungsärzte kann einer islamistischen Website entnehmen, wie man eine Sprengfalle zusammenbastelt. Ein Kollege von mir hat entdeckt, dass ein Aufsatz eines Mitglieds der Aryan Nations von einem ägyptischen Dschihadisten übersetzt und auf arabischen Webseiten verbreitet wurde; dort fand ihn eine christliche US-Gruppe, übersetzte ihn zurück und stellte ihn in ihr Netz. Und einer der radikalen Christen in den USA, der für die Ermordung von Abtreibungsärzten eintritt, beschwor auf seiner Website eine „Allianz der Völker des Buches“, dass sich also Christen, Muslime und Juden zusammentun sollten, um Bomben auf Abtreibungskliniken oder Schwulenbars zu werfen. Das wäre in den 60er-, 70er-Jahren nicht möglich gewesen.

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