Die Religion starb nicht ab
Nach marxistischer Doktrin waren die Kirchen zum Absterben verurteilt. Doch auch 45 Jahre KP-Herrschaft konnten sie nicht ausschalten.
Nach marxistischer Doktrin waren die Kirchen zum Absterben verurteilt. Doch auch 45 Jahre KP-Herrschaft konnten sie nicht ausschalten.
In fast 45 Jahren entwickelten sich zwischen Staat und katholischer Kirche in der DDR Beziehungen, die beide Seiten prägten," stellt der Historiker Bernd Schäfer zusammenfassend fest. Da die Kirchenführung davon ausgehen mußte, daß man auf Dauer in einem kommunistischen Staat leben würde, blieb das Verhältnis von Staat und Kirche distanziert, "geprägt von Konflikten und pragmatischer Kooperation, von Unvereinbarkeiten und Konvergenzen." Wechselwirkungen führten zu einer gewissen Routine.
Die marxistischen Ideologen glaubten an ein Absterben von Kirchen und Religion. Die Partei mußte sich jedoch mit ihnen als politischen Faktoren auseinandersetzen. So schwankte die Kirchenpolitik der KPD/SED stets zwischen Überwachung und Repression einerseits, Konzilianz und versuchter Instrumentalisierung andrerseits. Die SED wollte verhindern, daß die Kirche Kritik an Politik und Gesellschaft äußerte, drängte aber - meist vergeblich - darauf, daß sich auch höchste Kirchenvertreter den Akklamationen der Massenorganisationen anschlossen.
Im Mai 1945 lebte etwa eine Million Katholiken in der Diaspora der Sowjetzone. Dann strömten Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus dem Osten nach. 1949 lebten fast 2,8 Millionen Katholiken in der DDR, 13,9 Prozent der Bevölkerung, aber bis 1954 waren schon fast 900.000 nach Westen weitergewandert. 1990 waren noch fünf Prozent der DDR-Bürger als katholisch gemeldet.
Seelsorge garantieren Kirchenrechtlich gehörte der größte Teil der DDR-Territorien zu westdeutschen Diözesen. Eigenständig waren nur die Bistümer Berlin und Meißen-Dresden. In Magdeburg, Schwerin, Erfurt, Meiningen saßen Beauftragte der Bischöfe von Paderborn, Osnabrück, Fulda und Würzburg, in Görlitz der vertriebene Kapitelvikar von Breslau. Sie sollten die Aufrechterhaltung der Seelsorge garantieren. Sie bildeten 1950 die "Berliner Ordinarienkonferenz", vom Vatikan offiziell errichtet, ohne damit die Anerkennung zweier deutscher Staaten oder die rechtliche Trennung von den westdeutschen Diözesen zu präjudizieren. Das waren bis zum Ende der DDR zwei der wichtigsten Ziele der SED-Kirchenpolitik.
Nach der Installierung der KP-Führung setzte Ende 1947 der "Aufbau des Sozialismus" ein. Im Oktober 1949 erfolgte die Proklamierung der DDR als Reaktion auf die Gründung der Bundesrepublik. Der 17. Juni 1953, die Niederschlagung des Arbeiteraufstandes, bedeutete die Zäsur in der Frühgeschichte - die DDR konnte nur durch die Sowjetpanzer gesichert werden.
Nun galt das Augenmerk der SED-Führung der Sicherung der eigenen Position. Der Staatssicherheitsdienst wurde ausgebaut, sein Personal von 1953 bis 1955 auf mehr als 10.000 Mann verdoppelt. 1.526 Angeklagte wurden wegen Beteiligung an den Aufständen zu Freiheitsstrafen verurteilt.
Als die Bundesrepublik 1954 der NATO beitrat, zog die DDR mit den Warschauer Verträgen gleich. Im Juli 1955 sprach Nikita Chruschtschow erstmals mit Bezug auf Deutschland von einer "Zweistaatentheorie" - worauf in Bonn mit der "Hallstein-Doktrin" der Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik für ganz Deutschland verkündet wurde.
Nach dem Ungarnaufstand flohen im ersten Quartal 1957 fast 230.000 Menschen nach dem Westen, vorwiegend über Berlin. Die "Republikflucht" führte in der DDR zu Produktionsausfällen und Arbeitskräftemangel. Um sie zu stoppen, errichtete die DDR am 13. August 1961 die Mauer zwischen Ost- und Westberlin.
Innere Erosion Die Jahre von 1961 bis 1971 sind eine Zeit der inneren Straffung, des Kampfes gegen ideologische Abweichler. Beim Einmarsch der Sowjettruppen in die CSSR im August 1968 sind auch DDR-Einheiten beteiligt. Erst die neue SPD-FDP-Koalition in der Bundesrepublik unter Willi Brandt bringt auch die Beziehungen zwischen Bonn und Ostberlin in Bewegung. Bis zum Ende 1989 bemüht sich die Führung der souverän gewordenen DDR um internationale Anerkennung, während gleichzeitig die innere Erosion fortschreitet. Die Ostverträge der Bundesrepublik zur Anerkennung der Oder-Neiße-Linie und der "Grundlagenvertrag" DDR/BRD sind die Voraussetzung dafür, daß 1973 beide deutsche Staaten in die UN aufgenommen werden.
Die Helsinki-Konferenz 1975 setzt als Preis für die Festschreibung der Grenzen die Anerkennung der Menschenrechtspassagen fest. Gerade diese aber geben Bürgerrechtsbewegungen die Grundlage, gegen die Ideologie aufzumucken. Als das starr gewordene Regime Michael Gorbatschows "Perestroika" und "Glasnost" nicht wahrnehmen will, bricht die DDR zusammen.
Diese Jahrzehnte waren aber auch in der katholischen Kirche der DDR von sehr differente Phasen - von außen wie von den führenden Persönlichkeiten - geprägt. Am Anfang dieser Zeit steht der Berliner Kardinal Konrad Graf Preysing - er vertritt einen strikt antibolschewistischen Westkurs - ihm gegenüber der Bischof-Koadjutor von Meißen, Heinrich Wienken, als Sprecher der Bischöfe während der NS-Zeit erfahren im Umgang mit ideologischen Feinden. Nun versucht er, wieder die Kontakte zu pflegen. Erst 1950 erhält er die Unterstützung seiner Amtsbrüder.
Geistlichen war politische Betätigung verboten, in den ersten Jahren gab es aber Aktivitäten katholischer Laien bei der Gründung der CDU, selbst der SED, und der Massenorganisationen - mit Billigung ihrer Pfarrer und Bischöfe, in der Absicht, "Schlimmeres zu verhüten und für die Kirche etwas herauszuholen" - solange die SED-gelenkten Institutionen noch daran interessiert waren.
Während Kardinal Preysing in Westberlin jeden direkten Kontakt mit den neuen Machthabern ablehnte, mußten die in der DDR residierenden Bischöfe zur Aufrechterhaltung der Seelsorge einen modus vivendi mit dem Staat und der SED finden. 1951 folgte der Magdeburger Weihbischof Wilhelm Weskamm dem verstorbenen Kardinal nach, Wienken wurde Bischof von Meißen - "eine Weichenstellung für eine Entwicklung der Kirche, die schließlich zur ,Kirche in der DDR' wurde." (Schäfer).
Weskamm verhandelte mit Ministerpräsident Otto Grotewohl über die Aussiedlungen an der Zonengrenze, den Berliner Katholikentag 1952, die neue Priesterhochschule in Erfurt und die politische Neutralität der Kirche. Er berichtete an Kardinal Frings in Köln: "Es trat deutlich der Wille zutage, der Kirche gegenüber jede Rücksicht zu beenden und sie die ganze Wucht staatlicher und polizeilicher Maßnahmen spüren zu lassen. Der autoritäre Staat zieht seine Kreise enger."
Zwischen 1953 und 1957 verstärkte die SED die Bespitzelung und Überwachung kirchlicher Funktionäre und Organisationen. Die Kontakte nach dem Westen sollten gebremst werden. Andrerseits führten in der Kirche der wachsende Mentalitätsunterschied zwischen DDR und BRD wie die schwindende Hoffnung auf Einheit zu einer allmählichen Anpassung an die Umwelt, aber auch zu einem neuen Gemeinde- und Kirchenbewußtsein in der DDR.
Einreise verweigert Einer der Hauptkonflikte zwischen Staat und Kirche betraf die Jugendweihe, die die Jugendlichen eng an Staat und Partei heranführen sollte. Der Widerstand des neuen Bischofs von Berlin, Julius Döpfner, dagegen führte dazu, daß ihm die Einreise nach Ostberlin und in die DDR verweigert wurde. Das verschärfte aber auch die Spannungen zwischen dem in Westberlin amtierenden Döpfner und den DDR-Ordinarien.
Im Juli 1961 wurde Döpfner nach München abgezogen. Das Berliner Domkapitel wählte den in Ostberlin residierenden Weihbischof Alfred Bengsch zum Nachfolger, der seine Ernennung aus Rom am 16.August erhielt - drei Tage nach dem Mauerbau.
Bengsch verfolgte einen Kurs der politischen Abstinenz der Kirche und eines Mindestmaßes an Loyalität gegenüber dem Staat, in dem er auf kritische öffentliche Äußerungen verzichtete. Er hatte wieder Zugang nach Westberlin und damit die Verbindung nach Bonn und zum Vatikan. Mit dem Bau der Mauer aber hatte die Republikflucht aufgehört, auch in den katholischen Gemeinden wuchs das Gefühl einer neuen Akzeptanz der Lage.
Strikte Ablehnung In diesen Jahren verstärkte die SED die Bemühungen, zwischen "willigen" Priestern und Laien an der Basis und der Kirchenführung zu "differenzieren". Hierzu sollten die Ost-CDU wie die "Berliner Konferenz der Katholiken für den Frieden" mithelfen. Die Kirchenführung verhielt sich strikt ablehnend.
Die Staatsführung urgierte im Vatikan eine Neuordnung der Kirchenterritorien und fand Gehör bei Kardinal Casaroli. Bengsch und die westdeutschen Bischöfe opponierten, einige DDR-Bischöfe erhofften sich eine Aufwertung ihrer Positionen. 1973 unterstellte Paul VI. die Administratoren von Erfurt, Magdeburg und Schwerin direkt dem Vatikan, ein erstes Entgegenkommen an die Wünsche der DDR. Seit 1975 wurde über die Errichtung eigenständiger Diözesen beraten. Die Wahl Johannes Pauls II. beendete diese Initiativen.
Auf Bengsch folgte 1980 der Erfurter Weihbischof Joachim Meisner. Die Rücksichtnahme der DDR-Führung auf die Beziehungen zur Bundesrepublik wie ihr Interesse an den Devisen, die die Kirche aus dem Westen erhielt, bremste die Lust zur Repression. Das Katholikentreffen in Dresden 1987 brachte erste Schritte zur Überwindung der politischen Abstinenz der Kirche. 100.000 Teilnehmer diskutierten kirchliche und gesellschaftliche Probleme - "Initialzündung verstärkten katholischen Selbstbewußtseins". An den Massendemonstrationen des Herbst 1989 waren Katholiken wie Protestanten beteiligt.
Aber noch nach dem Fall der Mauer gratulierte der neue Berliner Bischof Georg Sterzinsky Hans Modrow zur Wahl zum Ministerpräsidenten. Der für Anfang 1990 ins Auge gefaßte Papstbesuch in der DDR fand dann bereits im wiedervereinigten Deutschland statt.
Buchtip Staat und katholische Kirche in der DDR.
Von Bernd Schäfer, Böhlau-Verlag Wien-Weimar-Köln 1999, 499 Seiten., öS 496.-/E 36,05