frau - © The Missing Image - Gaffende Menge in wien, März 1938

Filmfragment über straßenwaschende Juden: Die Rückkehr der GRINSER

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Ruth Beckermann zeigt das ersti Filmdokument über eine "Reibpartie" straßenwaschender Juden in ihrer Installation "The Missing Image".

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Ruth Beckermann zeigt das ersti Filmdokument über eine "Reibpartie" straßenwaschender Juden in ihrer Installation "The Missing Image".

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Der straßenwaschende Jude, genauer: die Bronze-Skulptur, mit der Alfred Hrdlicka (1928-2009) die Darstellung eines ebensolchen vorgab, gehört zum täglichen Vorbei-Blick eines FURCHE-Redakteurs. Denn die Räumlichkeiten der FURCHE liegen unmittelbar hinter jenem, heute Dr.-Helmut-Zilk-Platz benannten Areal vis-à-vis der Albertina, wo sichdas "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus" befindet. Bald nach der Aufstellung des "Hrdlicka-Denkmals" (schon der Volksmund entkoppelte das "Mahnmal" schnell von seiner Intention) im Jahr 1988 war die Bronze-Skulptur der größte Stein des Anstoßes. Nachdem sich immer wieder Touristen darauf gesetzt hatten, "ummantelte" Hrdlicka das Objekt mit bronzenem "Stacheldraht". Aber diese Adaption brachte auch noch keine "praktische" Lösung, konnte man, seltener als zuvor, aber immer noch, wurstsemmelmampfende Wienbesucher entdecken, die das Mahnmal zur Jausenstation degradierten. Ein vernichtenderes Urteil über den Hrdlicka'schen Skulpturenpark als diese Realität ist kaum denkbar.

Dabei ist auch für Juden von heute die Darstellung des "Straßenwaschers" eine Demütigung. Die "Stacheldrahtabwehr" hat an der Problematik der Darstellung nichts geändert, meint die Filmemacherin und Autorin Ruth Beckermann. Denn sie lasse unwillkürlich an die Dornenkrone denken -und diese Assoziation enthält für Juden gleichermaßen den demütigenden Beigeschmack, fußt doch das klassisch-christliche antijüdische Stereotyp auf einer jahrhundertelangen Auslegung der Passionsgeschichte, in der den Juden die Rolle der "Gottesmörder" zukam.

Nicht auf dem Bauch liegend

Beckermann, die Dokumentarfilmerin und Chronistin gerade des jüdischen Lebens, hat der verbreiteten jüdischen Kritik an der Hrdlicka-Skulptur von Anfang an eine Stimme gegeben. Schon in ihrem 1989 erstmals aufgelegten Buch "Unzugehörig. Österreicher und Juden nach 1945" schrieb sie gegen Hrdlicka an: Da nahm einer die Photos der knienden Juden ,die mit Zahnbürsten zur Belustigung der Wiener die Straßen waschen mussten, zur Hand, in die andere Hand die Schere und schnitt die Grinser, die ganz Unpolitischen in ihrer Alltagskleidung ohne Abzeichen und die in den Kniebundhosen mit den weißen Stutzen, die schnitt er weg. Der ewige Jude wurde zum ewigen Opfer anonymer Gewalt. Ein auf dem Bauch liegender bärtiger alter Jude, der eine Zahnbürste in der Hand hält schrieb Beckermann und merkte dazu noch an, dass das nicht einmal richtig beobachtet war: Nicht auf dem Bauch liegend, auf Knien haben sie den Boden gerieben .

Unmittelbar nach dem "Anschluss" wurden in Wien Juden zu den so genannten "Reibpartien" gezwungen. Mit Bürsten und Zahnbürsten und mit scharfen Laugen mussten sie die Parolen der Schuschnigg-Regierung zur Volksabstimmung für eine staatliche Unabhängigkeit Österreichs entfernen. Umringt von einer grinsenden Menge fanden diese Aktionen statt. Die Reibpartien waren eine "Erfindung der Wiener", sagt Ruth Beckermann. Nirgendwo sonst im Deutschen Reich gab es derartige Aktionen. Für die Filmemacherin stellt deshalb der bronzene Jude auf der Erde ohne die gaffenden Zuschauer bis heute eine Provokation dar. 1989 hat sie dazu auch angemerkt: Wo ist das grinsende Publikum geblieben? Soll das Publikum, das das Denkmal betrachtet, die Szene vervollständigen? Falls das die Absicht des Bildhauers gewesen ist, so gelang ihm damit nicht mehr als ein zynischer Straßentheater-Effekt. Die rundherum stehen und antisemitische Bemerkungen machen, die Kinder, die auf den Rücken des Juden klettern, der mit seiner hündischen Haltung dazu auch einlädt, die Hunde, die an seine Wade pissen, sind nicht die von damals.

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