Die Ruhe vor dem Sturm
Die Schließung aller Konzertsäle und Opernhäuser als Folge der Corona-Epidemie hat große Auswirkungen auf die Musikhauptstadt Wien. Besonders für freischaffende Künstler ist die Situation prekär.
Die Schließung aller Konzertsäle und Opernhäuser als Folge der Corona-Epidemie hat große Auswirkungen auf die Musikhauptstadt Wien. Besonders für freischaffende Künstler ist die Situation prekär.
Ein Sonntag, 18 Uhr, ein milder Abend. Die Straßen sind ruhiger als sonst – und aus Fenstern dringt Musik. Ein Idyll – und doch gespenstisch. Die Regierung hatte gerade alle Konzertsäle, Opernhäuser und Theater geschlossen, Publikumsveranstaltungen generell untersagt. Was viele Musiker an diesem Abend taten, war einfach das, was sie sonst auch Abend für Abend tun: Sie spielten. Nur eben nicht unter güldener Stuckatur in einem der prunkvollen Säle der Stadt, sondern in ihren Wohnungen vor offenen Fenstern. Die Musikhauptstadt Wien hatte den Eisernen Vorhang heruntergelassen. Drei Opern- und zwei Konzerthäuser mit jeweils mehreren Sälen, die allesamt Abend für Abend bespielt werden, eine Reihe kleinerer Veranstaltungsorte für Nischen-, aber auch Touristenkonzerte, zwei Musikunis von Weltrang, vier Orchester von ebensolchem – klassische Musik ist weit mehr als eine Verkaufsstrategie im Schoko-Marzipan-Kugel-Format für Touristen: Sie ist die Seele Wiens – ob man dieses Genre nun liebt oder nicht. Und es sind vor allem die Tausenden Protagonisten abseits des „Walk of Fame“ des Klassikbetriebs, deren Existenzen jetzt an der Kippe stehen.
Katya Wolodarsky ist alleinerziehende Mutter. Und sie ist durchaus stolz auf ihre Karriere. Sie erzählt von Auftritten an der Hamburger Staatsoper, am Tiroler Landestheater, bei den Festspielen in St. Margarethen und davon, wie sie damals beschloss, nach Wien zu gehen. 2011 war das. Aber Wien, das war immer ein hartes Pflaster mit einem Überangebot an Künstlern höchster Güte aus aller Herren Länder und nachdrängenden Studierenden aus aller Welt. Aber das sind alles Erinnerungen. Die Gegenwart ist wenig glamourös. Zuletzt waren es Touristenkonzerte, mit denen sich die Sängerin über Wasser gehalten hat. Immer am Limit, wie sie sagt, und bereits vor Corona über einen Plan B nachdenkend. Kontostand nach einer Woche ohne Engagement: 21 Euro im Minus. Und da beginnt die Rechenmaschine zu rattern im Kopf: Miete, Gas, Wasser, ein wenig Essen für sich und ihre Familie, Sozialversicherungsbeiträge für 2017 sind zu zahlen, das sind 2000 Euro, und die SVABeiträge für 2018 stehen auch aus. Überziehungsrahmen der Bank: 3000 Euro. Sprich: Es ist Feuer am Dach. Es sind freiberufliche Künstler wie sie, die die Absage aller Engagements derzeit trifft wie ein Keulenschlag. Und tragend wird da vor allem der Faktor Touristenkonzerte: schlecht bezahlt, aber bisher eine berechenbare Einnahmequelle. Der Nachteil: In diesem Bereich gibt es keine festen Verträge.
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