Die Ruhe vor der Kunst

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In Graz ist der Steirische Herbst dieses Jahr auf Beziehungssuche: Ausstellungen, Diskurs, Neue Musik, Film und Performance gehen eine Liaison mit ihm ein.

In diesem Jahr muss man den Steirischen Herbst suchen. Kaum etwas deutet in der Grazer Innenstadt darauf hin, dass eines der ältesten Festivals in Europa für zeitgenössische Kunst von Ende September bis Mitte Oktober wieder auf Kunstliebhaber wartet. Die Intendantin Veronica Kaup-Hasler hat in ihrem achten Jahr das Festivalzentrum an den Rand der Stadt gesetzt, neben Ausfahrtsstraßen und Logistikzentren für Post und Bahn.

Seit sieben Jahren ist das Zollamt stillgelegt, nun fungiert es als Unterkunft für den Herbst. Mit Bar, Diskursräumen und sanft ansteigenden Eingangsrampen hat sich die Fabrikshalle in einen urbanen Aufenthaltsraum verwandelt. Die Intendanz bezeichnet diese architektonischen Ein- und Umbauten als Eingriffe. Die dafür verantwortlichen deutsch-französischen Landschaftsarchitekten vom "atelier le balto“ sprechen da lieber vom Versuch der Verfremdung. Und wirklich, ihre sieben auf zarten Stahlstelzen stehenden, durchsichtigen Häuschen, die sie rund um das Areal aufgestellt haben, verändern in der Tat die Umgebung.

An der Peripherie der Stadt

Es mag sein, dass künstlerische "Harmoniebekundungen“ nur mehr in einem Ex-Gebäude funktionieren. Es mag aber auch sein, dass diese Wahl des Festivalortes dem diesjährigen Herbstmotto zu verdanken ist: "Alliancen, Mesalliancen und falsche Freunde: Liaisons dangereuses“. Verborgen und an der Peripherie lässt es sich eben leichter über gefährliche Verhältnisse nachdenken, der Verdacht selbst welche eingegangen zu sein, scheint in der Abgeschiedenheit abwegiger zu sein. Während sich also alle anderen im Hamsterrad der Welt zu Tode hetzen und funktionieren, Kapital akkumulieren, die Entkernung der Demokratie vorantreiben und die Politik entpolitisieren, indem die wahren Gesellschaftskonflikte unter den Teppich gekehrt werden, betreibt der Steirische Herbst Aufklärung mittels Kunst: Welche Koalitionen und Kompromisse werden geschlossen, um Visionen und Ziele durchzusetzen? Welche Allianzen müssen eingegangen werden, um revolutionäre Begehrlichkeiten umsetzen zu können? Welche Abhängigkeitsverhältnisse tun sich dabei auf?

Wie immer, sagt die Intendantin, hat der Herbst mehr Fragen als Antworten. Jedoch die Vermutung, dass es dem steirischen Festival nicht immer nur um den Versuch geht, Antworten zu bekommen, sondern auch Gewissensreinheit und Selbsterrettung zu generieren, ist groß. Man kann in den kommenden Wochen "Die Dinge in die Hand nehmen“ und mit der Künstlerin Lisa D. Löcher und Risse stopfen oder in einem "Modezirkus“ seine Kleider tauschen.

Doch erst einmal wird geläutert: "Liquid Assets“ heißt die Herbst-Schau im Ex-Zollamt, hinter dessen sprödem Titel sich eine feine, klaräugige, oft schwarzhumorige Auseinandersetzung mit den Tücken, Tricks und Mechanismen der Finanzwelt verbirgt. Den Kuratoren Luigi Fassi aus Italien und Katerina Gregos aus Griechenland war es wichtig, keine Krisenausstellung zusammenzustellen. Sie verstehen die Schau eher als Essay mit Beiträgen von 19 Künstlern, die zum Großteil für den Herbst neu produziert wurden.

So zeigt etwa der in Amsterdam lebende James Beckett in seiner Arbeit "Voodoo Justice for People of Finance“ eine Ahnengalerie erfolgreicher Finanzjongleure, von denen die meisten im Gefängnis sind. Die Spanierin Nuria Güell gibt subversive Ratschläge, wie man seine Schulden der Bank nicht zurückzahlt. Eine sehr berührende Videoarbeit stammt vom irischen Künstlerkollektiv Kennedy Browne. Im Mittelpunkt steht ein Wunderkind in Silicon Valley, das seine Erfolgsstory erzählt. Unterbrochen wird das Heldenepos immer wieder von der kindlichen Rezitation der ersten drei Kapitel der Bergpredigt, die der Junge offenbar auswendig gelernt hat. Auch der Italiener Danilo Correale hat die Zukunft im Blick: "The Future in their Hands“ ("The Visible Hand“) zeigt sechs erhobene Hände von Bankpräsidenten, während einer Eidablegung. In diesen Händen las ein indischer Wahrsager und erstellte ein Persönlichkeitsprofil. Correales Arbeit offenbart auf sehr subtile Weise die unterschiedlichen Facetten der sonst anonym agierenden Finanzmacher dieser Welt.

Produzieren, handeln, betrügen …

In einer Performance (UA) am Eröffnungsabend konnte man sich dann auch noch von Amund Sjølie Sveen über die "Economic Theory for Dummies“ belehren lassen. Dieser als Show getarnte Beratungsvortrag war ein Ritt durch 50.000 Jahre Ökonomiegeschichte. Die Gattung Mensch ist passiert, jetzt muss sie überleben lernen, und das heißt produzieren, handeln, betrügen, Gene weitergeben und den Glauben daran bewahren, der zu sein mit dem größten I-Phone. Der über weite Strecken köstliche Crashkurs verpuffte am Ende im All. Parallel dazu werkte die in Wien lebende Tänzerin und Choreografin Anne Juren auch an einem (uraufgeführten) "Happy End“. Diese im Dom im Berg gezeigte Arbeit setzte sich (völlig unnachvollziehbar) mit Martin Kippenbergers Amerika-Installation zu Kafka auseinander und stellte die Zuschauer mit seinen rezitativen und monotonen Bewegungsmustern ordentlich auf die Probe.

Bereits am Nachmittag machte der Eröffnungsreigen in der Helmut-List-Halle Station: Kris Verdonck und seine belgische Truppe "A Two Dogs Company“ zeigten "H, an incident“. Neun Darsteller bebilderten, vertonten und betanzten Texte des russischen Dichters Daniil Charms. Diese völlig absurde Beglückung dauerte zwei Stunden an. Charms’ Geschichten, die im Stalinismus als eine Form des Widerstands verstanden wurden, sind in ihrer paradoxen Zuspitzung und widersinnigen Eigentümlichkeit Totalitätsentziehungen vom Feinsten. Ein gutes Herbst-Omen!

Steirischer Herbst

bis 13. Oktober

www.steirischerherbst.at

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