Die sanfte Strategie der Giraffen

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Marshall Rosenberg begründete die "Gewaltfreie Kommunikation". Das Lebenswerk des kürzlich verstorbenen Psychologen erscheint gerade heute aktuell.

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Marshall Rosenberg begründete die "Gewaltfreie Kommunikation". Das Lebenswerk des kürzlich verstorbenen Psychologen erscheint gerade heute aktuell.

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Wenn Marshall Rosenberg seinen Ansatz der "Gewaltfreien Kommunikation" verdeutlichen wollte, spielte er gern seine Fähigkeiten als Puppenspieler aus: Dann ließ er Wolf und Giraffe miteinander sprechen, zauberte gelegentlich eine Babygiraffe hinter dem Wolf hervor, oder setzte sich abwechselnd Wolfsund Giraffen-Ohren auf den Kopf. Er spielte mit Bildern, deren Symbolkraft sich unmittelbar erschließen soll: hier der aggressive Wolf mit der großen Schnauze, dort die weitblickende Giraffe, das Landtier mit dem größten Herzen. Für Rosenberg sind das die beiden Pole menschlicher Kommunikation. Nie wurde er müde darauf hinzuweisen, dass hinter jedem Wolf eine kleine Giraffe verborgen ist: Sie versteht sich auf die "Sprache des Herzens", fern von Missbilligung, Urteilen und Wertungen, geprägt von gefühlsmäßiger Offenheit, Anteilnahme und Empathie.

inspiration durch carl rogers

Dass der US-amerikanische Psychologe sein Lebenswerk in den Dienst der Gewaltfreiheit stellte, ist unmittelbar mit seiner eigenen Geschichte verknüpft. Der Arbeitersohn und Enkel russisch-jüdischer Einwanderer war in einem brutalen und antisemitischen Umfeld in Detroit aufgewachsen und hatte 1943 als Neunjähriger schwere Ausschreitungen mit Dutzenden Toten in seiner engsten Nachbarschaft miterlebt. In seiner Schulzeit wurde er fortan immer wieder mit Gewalt konfrontiert. Er wählte sein Studium, um der Feindseligkeit auf den Grund zu gehen, die ihm entgegengeschlagen war.

Anfang der 1960er-Jahre arbeitete er als klinischer Psychologe und traf Carl Rogers, den Begründer der Person-zentrierten Psychotherapie, die auf bedingungsloser Wertschätzung, Empathie und Wahrhaftigkeit basiert. Der Funke sprang über; inspiriert von Rogers verließ Rosenberg seinen "Full-time"-Job an der Klinik und begann als Taxifahrer zu arbeiten, um seinen Ansatz der "Gewaltfreien Kommunikation" zu entwickeln. Rückblickend wird er sagen, dass er Carl Rogers' humanistischer Psychologie den entscheidenden Impuls für sein Werk verdankt. Rosenberg zählte aber auch politische Galionsfiguren wie Mahatma Ghandi und Martin Luther King zu seinen Einflüssen, und tatsächlich ragt sein Werk weit über die Grenzen der Therapie hinaus. Seit den 1960er-Jahren arbeitete er als Mediator nicht nur in Alltagskonflikten, sondern auch in Regionen mit politischen Unruhen und kriegsartigen Situationen, etwa in Palästina, Israel, Malaysien oder im ehemaligen Jugoslawien.

"Zeigt eure Verletzlichkeit!"

"Er war überzeugt, dass sich sein Ansatz in großen Konfliktfeldern genauso anwenden lässt wie auf die zwischenmenschliche Ebene, die in den Seminaren im Vordergrund steht", berichtet der deutsche Friedens-und Konfliktforscher Reiner Steinweg. "Auf Vertreter aktueller Methoden der Konflikttransformation wirkt Rosenbergs Ansatz mitunter zu einfach. Aber jeder, der mit der 'Gewaltfreien Kommunikation' arbeitet, merkt, dass diese Methode in Wirklichkeit sehr umfassend ist, auch wenn sich alles immer wieder auf wenige Grundprinzipien zurückführen lässt."

Es sind vier Schritte, die laut Rosenberg den Kern einer konstruktiven Konfliktbearbeitung ausmachen: die Mitteilung des Problems sowie der damit verbundenen Gefühle; sodann die Äußerung der frustrierten Bedürfnisse, die den Gefühlen zugrunde liegen, und zuletzt das Aussprechen einer konkreten Bitte. All das wäre die Sprache der Giraffe, die den Wolf herausfordert, sein unwirtliches Land zu verlassen. "Zwei Sätze von Rosenberg, die ich zunächst eher erstaunt zur Kenntnis genommen habe, klingen mir noch heute in den Ohren: 'Macht euch verletzlich!' und 'Zeigt eure Verletzlichkeit!'", erinnert sich Steinweg, der diese Form der Kommunikation als neuartige "Grammatik der Gefühle" beschreibt.

Im deutschen Sprachraum fand Rosenberg erst nach der Übersetzung seines Hauptwerks "Gewaltfreie Kommunikation"(2001) zunehmende Beachtung. Am 7. Februar ist er mit 80 Jahren im Kreis seiner Familie in Albuquerque, USA, aufgrund einer Krebserkrankung verstorben.

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