Die Schärfe dem Klamauk geopfert

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Elfriede Jelineks Bearbeitung von Oscar Wildes "Ein idealer Gatte“ am Wiener Akademietheater: nur mittelmäßig ideal - Regie und Schauspieler werden der Jelinek’schen Kraft kaum gerecht.

"Sind Sie am Ende etwa Pessimist?“ empört sich Lady Chiltern. Muss doch der aufstrebende liberale Politiker hoch gesetzten Normen und Idealen folgen. Gerade das macht ihn ja so ideal. Doch was sich unter dem scheinbar Idealen verbirgt, ja sogar zum Idealen führte, das muss streng verborgen bleiben.

Oscar Wildes gesellschaftspolitisch brisantestes Stück "An Ideal Husband“, unter dem Titel "Der ideale Mann“ von Karin Rausch neu übersetzt und von Elfriede Jelinek bearbeitet, hat heute mindestens solche Aktualität wie zur Zeit seiner Londoner Uraufführung 1895. Scheinheiligkeit, Korruption und Erpressung haben nichts an Dreistigkeit eingebüßt, und was bei Wilde an Geldern durch die dunklen Finanzkanäle argentinischer-Gesellschaften zum Bau des Suezkanals fließt, das wird bei Jelinek durch den "Hyper-Alpenkanal“ transferiert. Unverwechselbar pointiert formuliert Jelinek ihre Kritik an den Spekulationsgeschäften der High Society, deren idealer Mann der Emporkömmling Robert Chiltern ist.

Perfekt gestylte Charity-Lady

Der Staatssekretär mit der rot-weiß-roten Schleife unter dem Smoking hat nur leider Dreck am Stecken, gab er doch eine Vertraulichkeit gewinnbringend an einen einflussreichen Spekulanten weiter und baute auf dieser Geschäftsbeziehung seine Karriere auf. Chilterns scheinbar makellose Integrität wird durch die Ehe mit der mustergültigen, perfekt gestylten Charity-Lady Gertrude untermauert. Doch der neue Geldadel schillert nur nach außen im Licht des Guten und Reinen: Während Gertrude einen Teil des auf miesen Spekulationsgeschäften angehäuften Vermögens medienwirksam für wohltätige Zwecke ausgibt, muss das üble Innenleben zwanghaft beschönigt werden.

Elfriede Jelinek hat aus Wildes Vorlage eine scharfsinnige Satire auf aktuelle Verhältnisse geschrieben. Voll von Freud’schen Fehlleistungen desavouiert die Sprache diese skrupellosen Nutznießer eines Systems, das auf der Ausbeutung vieler zu Gunsten weniger funktioniert, die allerdings an der Macht sind und mafiös zusammenhalten. Jelinek geht es nicht um Anklage oder Moral, sie eröffnet Denkräume durch Verknappung, Verdichtung, Verwirrung und gleichzeitige Entlarvung. Mit Wortwitz und treffsicherem Blick sorgt die Nobelpreisträgerin für Aufklärung: Die Verhältnisse sind hausgemacht, und wir alle schauen zu. Bis plötzlich das Lachen im Halse stecken bleibt und Raum für Erkenntnis schafft.

Der Mittelscheitel sitzt

Barbara Frey inszeniert in der Uraufführung am Akademietheater an dieser Kraft vorbei. Im fixen Bühnenbild (Bettina Meyer), welches vor allem aus einer (Burgtheater-)Festtreppe für die Auf- und Abstiege der (politischen) Akteure besteht, konzentriert sich die Regie auf die Komödiantik der Burg-Stars. Da ist einerseits Freys Fokus auf den Klamauk. Jede Pointe wird ausgespielt, jeder noch so banale Gag ausgekostet. Andererseits hat es Frey mit starken Schauspielern zu tun, die alle auf ihren individuellen Erfolgskurs setzen: Michael Maertens ist als KHG-Parodie mit der Ausstellung eitler Attitüden treffsicher; etwa wenn er im Dialog mit seiner kristallfunkelnden Frau Gertrude (Katharina Lorenz verblüffend echt die Jetset-Lady nachahmend) im Spiegel den Mittelscheitel kontrolliert und gar nicht bemerkt, dass Gertrude längst das Weite gesucht hat, oder wenn er seinen (einzigen) Freund Lord Goring (Matthias Matschke) dankbar auf den Mund küsst, dann unterhält Maertens vorzüglich.

Doch im Zusammenspiel liegt der (künstlerische) Hund begraben: So wirkt der Castorf-Schauspieler Matschke, welcher über körperliche Verrenkungen und äußerliche Zurschaustellung diesen Wohlstandsverwahrlosten Lord entlarvt, wie ein Kasperl inmitten eines Ensembles, wo jeder das macht, was er für komisch hält. Caroline Peters als erpresserische Mrs. Cheveley setzt Strategien des René-Pollesch-Theaters ein; der ansonsten durch Reduktion und schlichtes Augenbrauen-Spiel erfolgreiche Johann Adam Oest bleibt seltsam blass, und Peter Mati´c liefert als Butler verschrobene Pantomimen. Dafür ist Kirsten Dene (als Lady Markby) in ihrem Element und sorgt zusammen mit Maria Happel als heiratswütige Mabel Chiltern für jene Augenblicke, wo alles passt.

Dennoch: Jelineks Sprache bedarf einer schneidenden Schärfe, welche die Schraube an Wildes Doppeldeutigkeiten noch einmal in die Höhe der Erkenntnis dreht. Vor lauter schnellem Boulevard-Ton, den Frey zweifelsohne beherrscht, kommt diese Kraft zu kurz.

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