"Die schießen auf Pappkameraden"

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Es war 1964, als die beiden deutschen Hirnforscher Hans Helmut Kornhuber und Lüder Deecke das "Bereitschaftspotential" entdeckten. Ihre Erkenntnis wird - zusammen mit den späteren Experimenten von Benjamin Libet - gern als Hinweis gedeutet, dass der freie Wille illusorisch sei. Eine Fehlinterpretation, wie Kornhuber und Deecke im furche-Gespräch erzählen.

Die Furche: Ihre Entdeckung des "Bereitschaftspotentials" im Jahr 1964 (siehe Kasten) spielt in der Debatte um die Willensfreiheit eine große Rolle. Wie revolutionär war Ihre damalige Erkenntnis aus heutiger Sicht?

Hans Helmut Kornhuber: Die war sehr revolutionär. Der Medizin-Nobelpreisträger Sir John Eccles hat in einem Buch geschrieben, dass das vergleichbar sei mit den Untersuchungen von Galileo Galilei über die Gravitation - weil das Problem so wichtig ist und vorher so wenig darüber bekannt war. Der Mensch wurde vorher zwar als passives System mit Sinnesreizen untersucht, und dann wurden die elektrisch hervorgerufenen Potenziale im Gehirn gemessen. Aber über den Willen war gar nichts bekannt. Darum war das etwas umwälzend Neues. Es hat auch die Psychologen ermutigt, sich wieder mit dem Willen zu beschäftigen. Bis zum Zweiten Weltkrieg war zwar eine lebendige Willenspsychologie vorhanden, aber dann kam 1945 die Psychoanalyse aus Amerika zurück und hat in Europa dazu geführt, dass alle Willensforschung verschwand. Erst nach 1965 fing allmählich wieder eine psychologische Willensforschung an. Und jetzt ist es so weit, dass die amerikanischen Psychologen, Psychiater, Juristen und Soziologen wegen der Verhaltensprobleme der jungen Leute und dem Ausmaß an Gewaltanwendung Alarm schreien: Sie haben eben gemerkt, wie wichtig der Wille und die Willenserziehung in der Kindheit ist.

Die Furche: In Deutschland und Österreich gibt es auch eine gegenläufige Debatte, ausgelöst von den Hirnforschern Wolf Singer und Gerhard Roth, die den freien Willen leugnen ...

Kornhuber: Ja, und das wurde seltsamerweise von der Presse aufgegriffen. Singer argumentiert etwa, dass im Gehirn keine Stelle zu finden sei, wo Entscheidungen fallen. Er denkt wohl daran, dass es im Gehirn keine sogenannten "Großmutterneuronen" gibt, also Nervenzellen, die allein zuständig sind für das Erkennen der Großmutter. Das Gehirn hat natürlich keine solchen spezialisierten Neuronen, sondern es ist ein kooperatives System, in dem sehr viele Neuronen in wechselnden Verbünden zusammenarbeiten, sodass einmal diese und einmal jene Konstellation von Neuronen Entscheidungen trifft. Aber es ist im Leben ja überall so, dass Entscheidungen kooperativ getroffen werden: Im Management ebenso wie in großen Betrieben.

Die Furche: Sowohl Roth als auch Singer berufen sich auch auf die Experimente von Benjamin Libet, der Ihre Versuche erweitert hat - und schließlich feststellte, dass bei Willkürbewegungen die bewusste Entscheidung zur Handlung erst lange nach dem Auftauchen des Bereitschaftspotentials getroffen wird (siehe Kasten). Laut Singer und Roth hat das Gehirn vorweg entschieden, den freien Willen gibt es nicht. Können Sie dieser Logik folgen?

Lüder Deecke: Nein, das ist eher ein Missbrauch unseres Bereitschaftspotentials. Professor Kornhuber hat sich ja damals in Freiburg schon vor unserem Experiment ausführlich mit der menschlichen Freiheit beschäftigt und dazu ein Seminar für Hörer aller Fakultäten gehalten, wo ich Teilnehmer war. In einem Fragebogen sollten wir entscheiden: Ist ein Schimpanse freier als ein Rhesusaffe und der Mensch freier als ein Schimpanse? Ist der erwachsene Mensch freier als ein Kind? Das geht immer so weiter - bis zum Regenwurm. Wir haben also die Evolution als eine Freiwerdung der Lebewesen bezeichnet. Das kennzeichnet auch schon den Begriff Freiheit, den Kornhuber meinte, nämlich keine Freiheit von etwas, sondern eine Freiheit zu etwas ... Was nun unser Experiment betrifft, so waren wir so frei, einen anderen Zugang zu wählen: Mein Doktorvater Kornhuber hat gemeint, es wäre doch fad, das Gehirn immer nur als antwortenden Apparat auf Reize zu betrachten, wie das bisher war. Spannender wäre doch, zu untersuchen, was im Gehirn vorgeht, bevor wir eine Handlung setzen.

Kornhuber: Das hat aber mit dem Freiheitsproblem nichts zu tun - auch das Experiment von Libet nicht. Die freie Entscheidung eines Teilnehmers zu Libets Experiment - und das ist der Irrtum von Gerhard Roth und Wolf Singer - fällt ja vor dem ganzen Versuch, die fällt nicht vor der einzelnen Fingerbewegung. Diese simplen, stereotypen Aktionen delegiert das Frontalhirn vielmehr an einen stammesgeschichtlich alten Gehirnteil, nämlich die Stammganglien. Dafür ist gar nicht einmal der Cortex, die Hirnrinde, nötig. Erst im letzten Moment, wenn alles schon vorbereitet ist, kommt die Entscheidung zum Cortex hoch - um abzuchecken, ob die jetzige Sekunde richtig ist. Und der Cortex hat noch Zeit genug, vorher nein zu sagen. Es sind ja 200 Millisekunden Zeit zwischen dem Bewusstwerden im Cortex und dem Beginn der Bewegung.

Die Furche: Dass der freie Wille nicht mehr als "Initiator" sondern als "Zensor" auftritt, halten Wolf Singer und Gerhard Roth für Libets verzweifelten Versuch, den freien Willen doch noch zu retten ...

Deecke: Also ich glaube, Libet hat das mit dem Veto richtig herausgearbeitet. Er hat auch in einer ersten Interpretation der eigenen Ergebnisse gesagt: In der Kontrolle der Bewegung sind wir frei, weil wir noch ein Veto einlegen können; aber in der Initiierung der Bewegung sind wir nicht frei. Hierin liegt aber zugleich auch der Trugschluss Libets, der meint, es müsse unbedingt eine ständige Koppelung zwischen Bewusstsein und Willen geben. Er kann sich nicht vorstellen, dass Wille auch unbewusst sein kann. Das Bewusstsein ist ja eine wichtige Errungenschaft der Natur, nur werden viele Filter vorgeschaltet, damit wir nicht in der Gigabyte-Informationsflut ertrinken. Es kommt also nur das Allerwichtigste ins Bewusstsein - wie auch nur die unterschriftsreifen Entscheidungen in die Top-Etage kommen. Das bedeutet auch, dass das Bewusstsein nicht immer zeitlich ganz vorn ist.

Die Furche: Wann kann das auftreten?

Deecke: Wenn wir auf eine heiße Herdplatte greifen, dann ziehen wir den Finger schon in wenigen Millisekunden weg - und erst nach hunderten Millisekunden wird uns bewusst, dass wir überhaupt einen Schmerz empfunden haben. Auch in der Motorik kommt es nicht immer zum Bewusstsein, dass wir eine Bewegung machen wollen, weil das Bewusstsein solche Dinge oft delegiert, wie Professor Kornhuber schon festgestellt hat. In diesem Sinn hat Libet in seinem Experiment natürlich eine künstliche Situation vorbereitet: Er bringt seine Versuchpersonen dazu, so etwas wie Introspektion zu betreiben. Sie sollen sagen, wann sie der Drang, sich zu bewegen, sozusagen ereilt hat. Das ist natürlich etwas Künstliches.

Die Furche: Wenn wir zu "natürlichen" Situationen zurückkehren: Was sind Argumente dafür, dass wir tatsächlich und objektiv frei sind - und uns nicht nur subjektiv frei fühlen, wie Max Planck gemeint hat?

Kornhuber: Max Planck war ein großer Mann - aber in diesem Punkt hat er sich vollständig geirrt. Denn wenn objektive und subjektive Freiheit total auseinanderfallen würden, dann wäre ein solches Lebewesen nicht lebensfähig und hätte auch die Selektion nicht überstanden. Dass wir tatsächlich frei sind, zeigen jedenfalls schon die Kulturen: Sie sind Zeichen von schöpferischer Tätigkeit und von Freiheit. Das zweite Argument ist die Wahrheit. Die Leute, die behaupten, es gibt keine Freiheit, meinen, dass diese Aussage wahr sei. Zur Wahrheit gehört aber Freiheit und die Fähigkeit, Lüge und Irrtum zu erkennen, und dazu braucht man Forschung und Einsicht. Und das setzt Freiheit voraus. Bei Tieren gibt es keine solche Forschung. Wir merken auch, ob wir frei sind oder nicht: Wenn wir etwa ganz müde sind, merken wir, dass wir unfreier werden. Unsere Freiheitswahrnehmung setzt aber immer voraus, dass unser Gehirn erstens gesund ist und dass wir zweitens nicht von Drogen oder Alkohol beeinträchtigt sind. Freiheit gibt es aber sicher nur in Graden. Absolute Freiheit gibt es nicht, in der Natur gibt es nichts Absolutes. Und letzten Endes erwartet auch das Recht von uns, dass wir Zustände von Freiheit nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen Leuten unterscheiden können. Wenn etwa ein Freund uns um unseren Autoschlüssel bittet und wir sehen, dass er angetrunken ist, dann sagt das Recht: Wir dürfen ihm den Schlüssel nicht geben.

Die Furche: Apropos Recht: Nirgendwo sonst könnten sich Zweifel an der prinzipiellen Willensfreiheit des Menschen so niederschlagen wie in der Rechtsprechung ...

Deecke: Das ist tatsächlich der Kern des Ganzen und führt eigentlich auch das Denken von Singer und Roth letztlich ad absurdum: Wolf Singer geht ja so weit zu sagen, dass der Mensch so determiniert ist, dass er auch keine Verantwortung haben kann für sein Tun. Deswegen kann man einen Verbrecher, der etwas getan hat, eigentlich auch nicht verantwortlich machen für sein Handeln. Es gibt tatsächlich solche Triebtäter, aber für die trägt das Gesetz bereits Rechnung, indem sie als unzurechnungsfähig oder geisteskranke Rechtsbrecher eingestuft werden. Natürlich will auch Singer, dass die Gemeinschaft vor Kriminellen geschützt wird - aber nicht wegen Schuld und Sühne, wie es bei Dostojewskij heißt. Dieser Raskolnikow, der bei Dostojewskij seine Wirtin umbringt, weil sie Wucherpreise von ihm nimmt, musste sie nach Singer wohl töten, weil seine Hormone in diese Richtung drängten. Aber ich glaube, er hätte es auch unterlassen können.

Kornhuber: Die Gerichtspsychologen haben punkto Zurechnungsfähigkeit jedenfalls schon sehr viele Kriterien erarbeitet: Wenn einer Pläne macht und schon das Band kauft, mit dem er seinem Opfer den Mund verkleben will, und wenn einer imstande ist, abzuwarten, bis die Situation optimal ist, und wenn einer gezielt Spuren verwischt, dann sind das Zeichen von Steuerungsfähigkeit - also von Freiheit. Die Gerichtspsychiater sind hier nicht so naiv, wie unsere Kollegen annehmen.

Deecke: Wenn man außerdem unter den Kriminellen keine Freiheit zulässt, wie das Wolf Singer tut, dann darf man natürlich auch in anderen Bereichen keine Freiheit zulassen - etwa bei Größen wie Albert Schweitzer: Die können dann auch nichts dafür, dass sie in Lambarene ein Spital gebaut und viele gescheite Bücher geschrieben haben, sondern sind auch nur von ihren Hormonen getrieben worden. Es würde also auch keinen Verdienst geben: Mit einem solchen deterministischen Denken würde unsere menschliche Kultur zusammenbrechen. Wenn Freiheit eine Illusion wäre, dann wäre nicht zuletzt vieles andere eine Illusion: etwa das Farbsehen. Die Zauberwelt der Farben besteht ja aus nichts anderem als kleinen Wellenlängenunterschieden des Lichtes, und das Gehirn macht dazu einen Farbkreis. Das ist eine wundervolle neuronale Kreation - aber physikalisch gesehen natürlich eine Illusion.

Die Furche: Nach Roth und Singer sind auch Geist und Seele illusorisch ...

Kornhuber: Diese Kollegen schießen auf Pappkameraden, die sie selber aufgebaut haben. Natürlich gibt es Leute, die meinen, der Geist muss etwas ganz anderes sein als das Gehirn. Das sind Leute, die sich nicht vorstellen können, dass der Geist vom Gehirn hervorgebracht wird. Aber dass der Geist nicht hinter dem Gehirn steht, sondern im Gehirn drinnen sitzt, sieht man schon daran, dass ein Patient bei bestimmten Hirnläsionen, etwa einem Ausfall der optischen Sehrinde auf beiden Seiten, zwar nicht sehen kann - es aber nicht merkt. Und Frontalhirnpatienten merken oft ein ganzes Leben lang nicht, dass ihnen die Moral abhanden gekommen ist. Aber selbst der große Geist Leibniz, der so viel von Computern verstand, konnte sich nicht vorstellen, dass das Gehirn den Geist hervorbringt. Er meinte deshalb, das müsse etwas Einiges sein - eine Monade. Wir verstehen bis heute nicht genau, wie das Gehirn funktioniert, aber das ist wie in jedem kooperativen System: Ein einzelnes Neuron ist dumm. Aber die Zusammenarbeit vieler Neuronen kann eben zum Schluss intelligent sein.

Deecke: Der schon genannte Sir John Eccles, der unser Bereitschaftspotential mit großem Interesse aufgegriffen hat, war im Gegensatz dazu ein Dualist. Er hat gemeint, dass der Geist oben in das Gehirn eindringt. Dann hat er noch gemeinsam mit Wiener Physikern eine zweite Schnittstelle gefunden - die synaptischen Bläschen. Aber dieses Denken hat sich selbst ad absurdum geführt. Die moderne Wissenschaft ist non-dualistisch.

Kornhuber: Übrigens war nicht nur Eccles, sondern auch Benjamin Libet ein Dualist: Umso enttäuschter war er, als seine Experimente etwas ganz anderes zeigten, als er erwartet hatte. Deshalb hat er zur Erklärung seine Neinsage-Theorie entwickelt: Der freie Wille sei zwar kein Initiator, aber ein Zensor. Der Dualismus funktioniert jedenfalls nicht - aus mehreren Gründen. Erstens verletzt er die bekannten Naturgesetze, etwa das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Energieübertragung funktioniert nur in einem physikalischen System. In einem rein spirituellen System funktioniert das nicht. Der Energiefluss ist also eine solche Grundlage, an der ein purer Geist schon scheitern würde. Zweitens stellt sich auch die Frage: Was soll das Ganze? Was soll ein Geist, der außerhalb der natürlichen Ordnung steht? Um irgend etwas zu bewirken, müsste er ja sofort wieder physikalisch werden.

Die Furche: Hat also Wolf Singer Recht, wenn er sagt: "Ich bin mein Gehirn"?

Kornhuber: Ja, aber er sagt eben auch dazu: Mein Gehirn ist Physik, in der Physik gibt es keine Freiheit - folglich gibt es keine Freiheit. Das ist der Trugschluss. Ich würde sagen: Das Gehirn ist Biologie. Man kann die biologischen Ordnungen nicht einfach auf die physikalischen reduzieren. Das Leben ist schon noch etwas ganz Besonderes.

Die Furche: Sie haben zu Beginn gemeint, dass es bemerkenswert sei, dass Singer und Roth mit ihren Theorien von den Medien so interessiert rezipiert werden. Worauf führen Sie diese Lust an der Leugnung der Willensfreiheit zurück?

Deecke: Wir können nur vermuten, was dahinter steckt: Es muss in der Gesellschaft ein starkes Bestreben geben, dass der Mensch unfrei und determiniert sei. Das ist ja vielleicht auch eine Entschuldigung des Menschen. Es gibt so einen herrlichen, österreichischen Ausdruck: Man kann sich abputzen! Wenn man sagt: Es ist ja über mich gekommen, dann kann man sich entschuldigen. Vielleicht ist das das menschliche Bestreben dahinter. Aber ein richtig mündiger homo sapiens ist ohne Willen nicht denkbar.

Kornhuber: Insgesamt glaube ich, dass unsere moderne Welt viel zu hedonistisch, ja dekadent ist, weil sie sich nicht genügend anstrengt, weil sie nicht genügend an Eigenverantwortung denkt. Das ist ihr Defekt. Und was Singer und Roth selbst betrifft: Singer denkt einfach physikalisch. Er fragt sich: Wie kommt Wahrnehmung zustande? Wenn Singer aber sagt: Es gibt keine Stelle, wo Willen stattfindet, dann gibt es auch keine Stelle, wo Wahrnehmung stattfindet. Aber einen totalen Leugner von Wahrnehmung habe ich noch nicht getroffen - in der ganzen Philosophiegeschichte nicht. Bei Gerhard Roth steckt hingegen die Psychoanalyse dahinter, die eben total deterministisch ist. Bei Freud war das Ich eine ganz schwache Instanz zwischen Es und Über-Ich.

Deecke: Freud hat den Menschen eben auf ein Primitivwesen reduziert, das nur Trieben ausgeliefert ist. Auch dem Kind hat er keine Entfaltung zugebilligt.

Kornhuber: Wie Gerhard Roth, der glaubt, dass die menschliche Persönlichkeit mit drei Jahren fertig ist. Aber das stimmt nun wirklich nicht: Der Wille braucht viel länger als jede andere menschliche Fertigkeit. Die Sprache ist vielleicht mit drei Jahren weit gediehen, aber der Wille braucht 20 Jahre und länger, und kann sich später auch noch entscheidend ändern und vertiefen. Der Wille ist das komplizierteste am Menschen. Er kommt in dem Moment in die Welt, in dem das Ich kommt - wenn ein Kind nicht mehr sagt: "Dominik will noch nicht ins Bett", sondern: "Ich will noch nicht ins Bett". Dann kommt das Trotzalter, wo sich der Wille durch Neinsagen äußert. Und dann muss das Kind noch Selbstkritik und Selbstdisziplin lernen, um schulfähig zu werden.

Die Furche: Freiheit ist eben mühsam - Determinismus ist bequemer ...

Kornhuber: Ja. Aber das Leben würde auch schrecklich primitiv und uninteressant werden ohne Willen und Freiheit. Es gäbe kein Verdienst mehr, keine Leistung mehr, keine Treue mehr. Es wäre einfach ein gleichförmiger Ablauf. Das Gehirn wäre im Grunde nichts anderes als eine Darmbewegung. Dabei gibt es einen Riesenunterschied: Das Gehirn ist ja ein Informationsverarbeitungssystem, verbunden mit der ganzen Welt, der ganzen Kulturvergangenheit, mit einem immensen Wissen. Mich wundert es immer wieder, dass unsere Kollegen auf solche Gedanken kommen.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Generalist

Geboren 1928 in Königsberg, studierte Hans Helmut Kornhuber nach der Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft in München, Göttingen, Freiburg, Heidelberg und Basel Medizin - und Philosophie bei Guardini, Hartmann, Heidegger, Löwith und Jaspers. Nach der Promotion beim Psychiater Kurt Schneider in Heidelberg arbeitete er an der Neurologischen Klinik in Freiburg, wo er mit Lüder Deecke das "Bereitschaftspotential" entdeckte. 1966 wurde er Professor für Neurologie an der neu gegründeten Universität Ulm, wo er später ein Studium generale etablierte.

Hirntopograph

1938 in Schleswig-Holstein geboren, studierte Lüder Deecke Medizin an den Universitäten Freiburg (Breisgau), Hamburg und Wien. 1966 promovierte er in Freiburg bei seinem Mentor Hans Helmut Kornhuber, mit dem er das "Bereitschaftspotential" entdeckt hatte. Nach seiner Habilitation für Neurologie und Neurophysiologie 1974 und einem Aufenthalt in Vancouver wurde er 1985 Vorstand der Neurologischen Universitätsklinik Wien. 1992 gründete Deecke das Ludwig Boltzmann Institut für Funktionelle Hirntopographie. Im Oktober dieses Jahres ist er emeritiert.

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