Dante Domenico di Michelino - © Foto: Santa Maria del Fiore in Florenz , Italien

Dantes "Commedia": Die Schönheit des Paradieses

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Kurt Flasch, emeritierter Ordinarius für Philosophie in Bochum, hat eine neue Prosaübersetzung von Dantes "Commedia“ samt Kommentar und einer "Einladung, Dante zu lesen“ vorgelegt.

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Kurt Flasch, emeritierter Ordinarius für Philosophie in Bochum, hat eine neue Prosaübersetzung von Dantes "Commedia“ samt Kommentar und einer "Einladung, Dante zu lesen“ vorgelegt.

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"Nel mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura,
ché la diritta via era smarrita.
Ahi quanto a dir qual era è cosa dura
esta selva selvaggia e aspra e forte
che nel pensier rinova la paura!
Tant’è amara che poco è più morte;
ma per trattar del ben ch’i’ vi trovai,
dirò de l’altre cose ch’i’ v’ ho scorte.“
Inferno, canto I, 1-9

"In der Mitte unseres Lebensweges
fand ich mich wieder in einem dunklen Wald,
weil ich den rechten Weg verloren hatte.
Ach schwer wär’s zu sagen wie er gewesen,
dieser wilde Wald, so hart und so gedrängt,
dass im Gedenken sich die Angst erneuert!
Die große Bitterkeit gleicht fast dem Tode;
doch um des Guten, das ich dort gefunden,
sag ich die andren Dinge, die ich schaute.“

Dantes "Commedia“, von späteren Herausgebern mit dem Beinamen "divina“ zur "göttlichen Komödie“ geadelt, schildert in Ichform eine spirituelle Reise durch die jenseitige Welt: vom Inferno (Hölle), ein gewaltiger, unterirdischer Trichter zum Mittelpunkt der Erde, in dem die Seelen der Sünder bis in alle Ewigkeit in neun Kreisen ihre verschiedenen Strafen erleiden, übers Purgatorio (Läuterungsberg, nicht ident mit dem christlichen Fegefeuer), ein kegelförmiger Berg mit dem irdischen Paradies am Gipfel, auf dem die Seelen der Büßer durch Durchwandern der sieben Läuterungskreise Vergebung erlangen können, zum Paradiso (dem himmlischen Paradies) mit den neun Himmelssphären, über denen die gerechten Seelen im Empyreum im Anblick Gottes ewige Seligkeit genießen.

Dante unternimmt diese Reise im höheren Auftrag: Beatrice (die "Seligmachende“), seine himmlische Geliebte, schickt ihm den Dichter Vergil, der ihn durch das Jenseits führen soll um ihn, den Verirrten, vor der Verdammnis zu retten. Auf dieser Pilgerfahrt durchleidet er alle Gemütszustände beim Zusammentreffen mit einzelnen Seelen und erkennt nach und nach die wahren Hintergründe der Gerechtigkeit und die Tiefe der Liebe Gottes.

Zwischen Antike und Bergpredigt

Dante schöpft aus dem Reichtum der europäischen Dichtung und Philosophie und schafft in seinem Werk eine Verbindung zwischen der Ethik der Antike und der Ethik der Bergpredigt, ist somit Sammlung und Quelle zugleich. Er gilt als einer der letzten Universalgelehrten und als einer der größten Spracherneuerer: Die "Commedia“ ist nicht im damals für derart hohe Themen gebräuchlichen Latein geschrieben, sondern in toskanischer Volkssprache. Regionale Dialekte, angereichert durch Latinismen, Neologismen und französische Wörter - das bildete, weitergetragen von Petrarca und Boccaccio, die Grundlage des modernen Italienisch. Dantes Werk ist die auswählende Zusammenfassung der Menschheitsgeschichte. Er schuf damit einen gesamteuropäischen Vorrat an Topoi, der bis in die Gegenwart reicht, und wurde zum Stifter der europäischen literarischen Identität. Er hat weltgeschichtliche Bedeutung, nicht nur italienisch-literarhistorische, wie Kurt Flasch emphatisch meint.

Das Inferno ist nicht alles

Die "Commedia“ gilt allgemein als schwieriges Werk, bei dem viele Leser vorzeitig aufgeben müssen. Selbst Bert Brecht sagte, Dante sei Klassiker nur durch das Inferno, was mehr über Brecht aussagt als über Dante. Kurt Flasch geht in seiner "Einladung, Dante zu lesen“ gleich von Anfang an auf diese Schwierigkeiten ein. Er fordert den Leser auf, einen spontanen Zugang zu suchen und zunächst die antiquarischen und sprachlichen Hürden zu überspringen. Dazu stellt er drei Episoden vor: die berührende Francesca-da-Rimini-Szene (Inf. V, allgemein bekannt durch musikalische Adaptionen von Tschaikowsky und Rachmaninow), die faszinierende Odysseus-Szene (Inf. XXVI) und das schaurige Schicksal des Ugolino della Gherardesca, der als Verräter im tiefsten Grund der Hölle von seinem schrecklichen Ende im Hungerturm erzählt (Inf. XXXIII).

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