Die Sehnsucht nach dem Richtigen

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„Arabella“ am Tiroler Landestheater: Regisseurin Brigitte Fassbaender belässt die Oper in der Mitte des 19. Jahrhunderts, auf der Gefühlsebene aber wird sie in die Zeitlosigkeit gehoben.

Der alte Graf Waldner stolpert à la „Dinner for one“ über den Bärenkopf des Sofavorlegers und ist in aller Brüchigkeit des verarmten adligen Spielers samt seiner Frau Adelaide, die sich auf ihre Weise durch die Misere des familiären Scheins schlägt, komödiantisch grundiert. In der gleichermaßen durchschlagenden scharfen Gesellschaftskritik von Regisseurin Brigitte Fassbaender und den düster-eleganten Bühnenbildern Dietrich von Grebmers verbleibt „Arabella“ am Tiroler Landestheater in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wird in dieser Neuinszenierung aber durch einzelne Kostüme und Requisiten, durch Fassbaenders emotionale Dosierung und Christoph Poppens musikalische Leitung auf der Gefühlsebene in eine Zeitlosigkeit gehoben.

Die „Arabella“-Klischees stürzen ab. Dass einst Arabella ihren „Gebieter“ unter den Auspizien des Dritten Reiches (Uraufführung: 1933) erwartete, die Sentimentalität, mit der die alternden Herren Strauss und Hofmannsthal ihre Titelheldin umgaben, die Dramaturgie der Liebesgeschichte und die Skizzenhaftigkeit des Fiakerballes führten schon oft in Sackgassen, die den alten Operettenvorwurf bedienten. In Innsbruck glaubt man an das Stück, schärft Charaktere und Partitur.

Klare und starke Orchester-Präsenz

Christoph Poppen bringt die Musiksprache des fast siebzigjährigen Richard Strauss straff strukturiert, gleichsam mitinszenierend in Fassbaenders Regie ein. Das Tiroler Symphonieorchester gibt ihm klar und in starker Präsenz, was Strauss hier an weit entwickeltem Konversationston einbringt, an Farben sprühen lässt, in Zitaten und Vieldeutigkeit mitteilt und melodisch aufblühend von den Seelenzuständen der Figuren verrät. Poppen lässt den Musikern ihren Anteil, es wird ausmusiziert, und das bei aller dynamischen Flexibilität oft gefährlich laut. Aber Fassbaender lässt den Text mitlaufen. So werden die Stimmen ins Orchestergeschehen eingebunden, und die Instrumente dürfen mitsingen, kommentieren, malen, die Sprache aushorchen und ironisieren, ohne dass dem Zuhörer Text und Zusammenhang verloren gingen.

In der geräumigen Schäbigkeit von Zimmer Nummer 8, der letzten Waldner’schen Hotelzuflucht im imperialen Wien, im düsteren Nebenraum eines Ballsaales – es ist Faschingsdienstag – und in der Hotelhalle an der Ringstraße zieht Brigitte Fassbaender den Schleier weg von einer verklärten Zeit. Mit Graf und Gräfin Waldner ist ein äußerlich elegantes, in Wahrheit wenig feines Paar vertreten, legitimiert nur durch die Töchter, die lodernde Zdenka und Arabella mit dem klaren Blick und Traum vom idealen Leben, mit ihrer Sehnsucht „ja nach was denn auf der Welt“. Das Fragmentarische des Fiakerballes beantwortet Fassbaender gleichermaßen, und da wird alles deutlich. Im Halbdunkel ziehen Maskenschemen vorbei, in bewusster Verfremdung setzt die Koreanerin Anna Kim als Fiakermilli ihre Koloraturen aggressiv zur Animation der Ballgäste und zur Verteidigung gegen Männerhände ein. Da offenbaren die drei Grafen Elemer, Dominik und Lamoral – Brenden Gunnell, Daniel Shay und Marc Kugel – ihre Groteske, da hält sich die endlich einmal nicht keifende, sondern warm singende Mutter Adelaide – imposant: Anne Pellekoorne – schadlos, da erprobt Günter Missenhardt, der den Grafen Waldner mit Stil und gekonnten Austriazismen aufwertet, ein letztes vergebliches Mal seine Autorität.

Überzeugende Darsteller

Im Mittelpunkt steht Juliane Banse als Mädchenfrau Arabella, stimmlich weiter gereift und befreiter leuchtend, ein schönes, unnachahmlich elegantes Geschöpf voll klugem Eigensinn, voller Hoffnung auf das wahre Glück abseits der degenerierten Gesellschaft. Mandryka scheint ihr der Richtige dafür, Bernd Valentin singt ihn, ohne zu protzen, mit Haltung, edler Note und virilem Timbre, ein starker, und wie sein Begleiter in Bärenmaske zeigt, verletzlicher Mann.

Anja Scholz hat in der Zdenka eine ideale Partie gefunden, zutiefst verunsichert ist dieses zarte Mädchen, das ein Bub sein muss, das mitunter knabenhafte Timbre der Stimme unterstreicht die Rolle. Der markante, sichere Tenor von Mark Adler passt als Matteo punktgenau.

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