Die Selige und ihr Seligsprecher

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Am 16. Oktober jährt sich Johannes Pauls II. Papstwahl zum 25. Mal. Drei Tage später spricht er Mutter Teresa selig: Kaum eine andere Gestalt kann so als Symbol dieses Pontifikats gelten wie die albanische Ordensfrau aus Kalkutta.

Der Papst wolle mit der Seligsprechung von Mutter Teresa vom Trubel um seine Person ablenken. Solche Stimmen waren in den letzten Wochen zu hören - immer öfter, je näher das 25. Pontifikatsjubiläum Johannes Pauls II. rückte. Die öffentliche Aufregung hat(te) natürlich auch mit den päpstlichen Leiden zu tun, die Tag um Tag offenbarer wurden. Doch abseits aller Ablenkungs-Mutmaßungen erfüllt sich der Papst mit der Erhebung Mutter Teresas zur Ehre der Altäre einen Herzenswunsch: Mutter Teresa ist die "logische" Selige dieses Pontifikats, Johannes Paul II. könnte mit keinem anderen Zeichen das Jubiläum so begehen wie mit diesem. Fortsetzung auf Seite 2

Johannes Paul II. hat kein Geheimnis daraus gemacht, wie tief er die vor fünf Jahren verstorbene Ordensfrau verehrt: "Wie können wir sie vergessen?" meinte der Papst etwa im September 2000, ihrem 3. Todestag, vor Freunden und Mitarbeitern der Initiativen Mutter Teresas: "Im Lauf der Jahre wird die Erinnerung an sie lebendiger denn je. Wir erinnern uns an ihr Lächeln, ihren tiefen Blick, ihren Rosenkranz. Es scheint, als ob sie wir immer noch in der Welt herumfahren sehen, um nach den Ärmsten der Ärmsten zu suchen, immer bereit, neue Felder der Nächstenliebe zu öffnen, jeden willkommen zu heißen wie eine wirkliche Mutter..."

Seligsprechung Nr. 1.371

Johannes Paul II. hat oft so von Mutter Teresa gesprochen.Und die Tatsache, dass auch dem Papst die Seligsprechung nicht schnell genug gehen konnte - weil ein Seligsprechungsverfahren erst fünf Jahre nach dem Tod eingeleitet werden kann, erteilte er eine Ausnahmegenehmigung -, ist ein weiteres Zeichen für diese Wertschätzung. So begann der mehrstufige Prozess schon im März 1999, und nachdem vor Jahresfrist auch das notwendige Wunder da war (eine 30-jährige Inderin wurde auf Mutter-Teresa-Fürsprache von Magenkrebs geheilt), stand der 1.371. Seligsprechung dieses Pontifikats nichts im Weg.

Abgesehen von der persönlichen Verehrung des Papstes für die albanische Schwester aus Kalkutta gibt es gemeinsame Züge zwischen dem Pontifex und der künftigen Seligen: beide charismatische Persönlichkeiten, die mit starkem Willen Überzeugungen und Ideen durchsetzten. Beide konnten - auf je eigene Weise - eine globale Gemeinschaft in den Bann ziehen, und beide stehen für ein ähnliches Bild vom Menschen und seiner Würde. Dass Mutter Teresa sich für jedes ihr unterkommende "weggeworfene" Leben von Sterbenden in den Straßen der indischen Großstadt - später dann als Helfende für die Ärmsten an vielen anderen Orten der Welt - einsetzte, war eine Offenbarung für gleichgültige Gesellschaften und entspricht exakt der Botschaft, die auch dieser Papst verkündet. In einer neu aufgelegten Mutter-Teresa-Biografie des italienischen Autors Renzo Allegri (Neue Stadt-Verlag, München) erzählt sie: "Während seiner Indienreise hat Johannes Paul II. auch das Haus der Sterbenden besucht. Er ist lange dort geblieben. Er wollte einige alte Leute füttern und ist drei Personen beim Sterben beigestanden. Während der ganzen Zeit, die er dort blieb, ist es ihm nicht gelungen, auch nur ein Wort zu sagen. Er war so bewegt, dass ihm die Tränen kamen..."

Grenzüberschreitungen

Wenig verwunderlich, dass Mutter Teresa ihrerseits den Lebensbeschwörungen dieses Papstes beisprang: Sie propagierte ebenso wie Johannes Paul II. die - heile - Familie als christliches Ideal, und sie erhob gleich leidenschaftlich wie er ihre Stimme gegen die Abtreibung. Keine Frage, dass für beide der Glaube eine der tiefen Verbindungen war sowie ein ähnliches, konservatives Kirchenbild.

In diesem Pontifikat gab es umstrittene Kanonisierungen: Die Seligsprechung Pius IX. oder die Heiligsprechung von Opus-Dei-Gründer Josemaría Escrivá stießen viele katholische Gläubige vor den Kopf. Bei Mutter Teresa ist das anders. Sie wird heute in der ganzen katholischen Welt verehrt - aber auch weit darüber hinaus: Von der (innerkirchlich auch mit Naserümpfen betrachteten) Freundschaft mit Lady Di, die wenige Tage vor Mutter Teresa starb, bis zu Staatsmännern zog die neue Selige viele in ihren Bann. Auch dass sie - eine Christin! - mit einem indischen Staatsbegräbnis bedacht wurde, zeigt, dass Mutter Teresa, die Grenzgängerin, auch eine Grenzüberschreiterin war. In diesem Punkt ist ebenfalls Seelenverwandtschaft mit Johannes Paul II. zu entdecken: Haben manche seiner Grenzüberschreitungen zu anderen Konfessionen oder Religionen hin nicht auch vatikanisches Naserümpfen hervorgerufen?

Eine letzte Parallele zwischen der Seligen und dem Seligsprecher mag sein, dass beide, von Kritik nicht verschont, unbeirrbar blieben. Bei Johannes Paul II. mag das sichtbarer sein: Kirchenreformer oder Befreiungstheologen etwa haben unter diesem Pontifikat keinen leichten Stand. Bei Mutter Teresa waren und sind die Töne leiser: Sie sei zu einer Ikone stilisiert worden, heißt es etwa, die weltweite Verehrung von ihr sei nur die Projektion des schlechten Gewissens der Mächtigen. Und schärfer: Sie habe sich nicht um Veränderung ungerechter Strukturen gekümmert, um das Elend, dem sie mit ihrer konkreten Nächstenliebe begegnete, an der Wurzel anzupacken. Einiges an dieser Kritik hat Berechtigung - wird der Verehrung aber kaum Abbruch tun. Schwester Nirmala, Mutter Teresas Nachfolgerin, hat einmal auf solche Kritik repliziert: "Wenn jemand jetzt vor Hunger stirbt, gehen wir nicht kritisieren, sondern helfen ihm sofort. Da hilft im Moment keine Strategie, es hilft nur eines: Gib ihm Essen, sofort." Solch zupackende Spiritualität mag nicht die ganze Wirklichkeit im Blick haben. Aber alles andere als Nichtstun ist es allemal.

Mutter Teresas Nacht

Mitten im Seligsprechungsprozess gab es Aufregung, als ruchbar wurde, dass Mutter Teresa schwere seelische Krisen durchlitten und jahrelang in "innerer Finsternis" gelebt habe. Ein sonderbares Raunen im Medienwald: Immerhin leitet sich Mutter Teresas Ordensname von Thérèse von Lisieux ab, für die die "schwarze Nacht des Glaubens" Bestandteil des Lebens war. Diese "innere Nacht" hat der Seligsprechung Mutter Teresas aber keinen Abbruch getan. Im Gegenteil könnte dieser, in den gängigen Biografien ausgesparte Zug der neuen Seligen dazu beitragen, sie von der Ikone, von der Überhöhung als "Engel der Armen" (so ein Biografie-Titel) wieder mitten unter die Menschen zu holen, die ihrer gedenken.

Johannes Paul II. erfüllt sich an seinem Lebensabend einen Herzenswunsch. Kaum jemand wird ihm das verdenken.

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