Die spinnen nicht, die Leser

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Die Zeit, als Comics generell als "Schund" abqualifiziert werden konnten, ist vorbei. Die Bildgeschichten sind gesellschaftsfähig geworden.

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Die Zeit, als Comics generell als "Schund" abqualifiziert werden konnten, ist vorbei. Die Bildgeschichten sind gesellschaftsfähig geworden.

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Einst werde man "über das, was man eben noch ignorierte, aufs subtilste klugscheissen" meinte H. C. Artmann schon vor Jahren, und er dürfte damit recht behalten haben, denn immerhin war es heuer zum ersten Male, dass auf der Frankfurter Buchmesse auch Comics vertreten waren. Eine - späte - Würdigung für ein Medium, das immerhin schon über hundert Jahre existiert. "Trivialliteratur", "Bildidiotismus" oder ähnliche Abqualifizierungen kann man auch heute noch hören, auch wenn sich in der Zwischenzeit längst Soziologen, Pädagogen, Psychologen, Kunstkritiker und Medienforscher ernsthaft mit Comics als eigenständigem Medium befassen; einem Medium, dessen Charakteristikum (analog zum Film) die dynamisierte Einheit von Wort und Bild ausmacht.

Als der geniale Schöpfer der "Peanuts" Charles Schulz im Februar dieses Jahres starb, konnte man auch in seriösen Publikationen umfangreiche Nachrufe lesen. Immerhin hat der Zeichner in fast 50 Jahren an die 17.000 Cartoons geschaffen. Der Strip, der in 2.500 Zeitungen erschien (beziehungsweise noch immer erscheint) hat täglich geschätzte 350 Millionen Menschen erreicht. Der seit 1985 erscheinende Comic Strip "Calvin und Hobbes" bringt es immerhin auf über 1.800 Tageszeitungen täglich, während die Gesamtauflage der Abenteuer von Asterix und Obelix bereits Rekorde aufstellt.

Begonnen hat dies alles im Jahr 1897 in den USA, als der Deutsch-Amerikaner Rudolph Dirks die "Katzenjammer Kids" erfand. Die vielfach unternommenen Anstrengungen, Vorläufer der Comics in altägyptischen Tempelmalereien, dem Teppich von Bayeux oder mittelalterlichen Fresken zu suchen sind Unfug. Sie sind Beispiele für das Bemühen, ein relativ junge Medium in einen möglichst lückenlosen Traditionszusammenhang zu stellen. Realistischer ist es, die engagierten politischen Karikaturen des 19. Jahrhunderts (vor allem in England) als Vorbild zu sehen. Der beinharte Konkurrenzkampf im amerikanischen Zeitungswesen sorgte aber schon vor 100 Jahren dafür, dass jede Zeitung versuchte noch bessere, originellere Comics zu bringen.

Eigene Genres In den Zwanziger Jahren tauchen dann die ersten Geschichten auf, die nicht mehr "komisch" sind, obwohl der Name Comics erhalten blieb. Und auch in diesem Bereich gibt es "Klassiker", wie etwa die genialen "Tarzan"- und "Prinz Eisenherz"- Geschichten von Hal Foster oder "Flash Gordon", "Mandrake" oder "Phantom".

Die ersten Comic-Hefte erscheinen dann in den Dreißiger Jahren. Was als kommerzielle Auswertung der Zeitungs-Strips begann, entwickelte sich rasch zu einem eigenständigen Geschäft und es entstanden eigene Genres. Krimis und Western, Liebes-und Abenteuerromane wurden in Comicform auf den Markt geworfen. Als dann 1938 mit "Superman" die Ära der Superhelden beginnt, steigen die Auflagen sprunghaft an.

In den meisten dieser Produkte wurde die Aktion zum Selbstzweck. Kitsch und Abenteuerromantik, Horror und Brutalität, später auch Sex, feiern fröhliche Urständ'. Groschenhefte haben ein ganzes Medium ob ihres trivialen Niveaus und ihrer sprachlichen Verkümmerung in Verruf gebracht. Und deshalb wurden Comics auch oft pauschal verurteilt.

Dabei wird jedoch übersehen, dass vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Comics mit brillanten Leistungen aufwarten können. So hat sich zum Beispiel insbesondere in den angelsächsischen Ländern die Tradition der Bildgeschichte als politische Glosse erhalten. Walt Kellys "Pogo" (seit 1949 in den USA) kommentierte jahrzehntelang mit "einer an James Joyce geschulten Sprache" die amerikanische Innenpolitik. Heute besorgt dies der Amerikaner Gary Trudeau mit seinem sarkastischen "Doonesbury" (seit 1970), der dafür immerhin bereits einen Pulitzer-Preis abräumen konnte. Auch in England bringen Qualitätszeitungen nach wie vor politische Satire in Comic-Form und als sich heuer in der Familie des Premierministers Nachwuchs einstellte, kamen mehrere Zeitungen mit "Leo Blair"-Strips heraus, in denen das "First Baby" die Innenpolitik aus seiner Sicht beleuchtet.

Nicht die Tagespolitik, sondern der intellektuelle Wortwitz ist das Markenzeichen der "Peanuts". Das Unvermögen des Charlie Brown und seiner Freunde, sich in die Rollenerwartung der Gesellschaft zu integrieren, wird meisterhaft dargestellt. Wo andere mühsam Kierkegaard, Tillich oder Barth zitieren müssen, sagt Schulz mit ein paar Worten worum es geht. Bill Wattersons "Calvin and Hobbes" schließt erfolgreich an diese Tradition an. Scott Adams "Dilbert" amüsiert seit Jahren vor allem Erwachsene mit treffenden Satiren über den Büroalltag.

Es fällt auf, dass in den frühen Jahren der Comics vor allem die USA dominieren; erst langsam kommt auch in Europa eine eigenständige Comic-Kultur in Gang, wobei die Pioniere im französischsprachigen Bereich angesiedelt sind. Der geniale Herge schuf bereits in den Dreißiger Jahren seinen "Tintin" ("Tim und Struppi") aber mit Asterix (seit 1959) beginnt eine Erfolgsstory der besonderen Art. Da im gaullistischen Frankreich der Fünfziger Jahre amerikanische Comics verpönt waren, gingen die Kreativen auf die Suche nach einer bodenständigen, identitätsstiftenden Bilderserie, deren Grundmuster simpel ist: die verschmitzten, lebenslustigen und unbeugsamen Gallier (=Franzosen) lehnen sich stets erfolgreich gegen die Fremdbestimmung durch die Römer (=Amerikaner) auf (Das Gallier-Motto "Die spinnen, die Römer" ist beinahe zum geflügelten Wort geworden).

In den damaligen Geschichten waren zudem auch zahlreiche köstliche Anspielungen auf die französische Innenpolitik versteckt, die dem ausländischen Leser meist verborgen bleiben musste. In liebenswürdiger, wenn auch unterschwellig durchaus chauvinistischer Manier, wird über alles hergezogen, was ungallisch ist: Römer, Briten, Wikinger, Belgier, Ost- und Westgoten (damals noch Ost-und Westdeutsche, beide selbstverständlich mit Pickelhaube) und auch die biederen Helvetier werden durch das Käsefondue gezogen.

Intellektueller Witz Der enorme Erfolg des gallischen Heldenepos beruht auf dem einfachen Trick, dass diese Geschichten auf mehreren Ebenen funktionieren: Während sich die Erwachsenen an dem intellektuellen Wortwitz, den köstlichen Anspielungen und den guten Zeichnungen erfreuen, begeistern sich Kinder einfach daran, dass die Römer wieder einmal kräftig verdroschen werden. Seit dem Tod von Rene Goscinny, dem genialen Konzeptionisten der Geschichten ist das intellektuelle Niveau allerdings stark gefallen, dafür werden die alten Geschichten mit großem kommerziellen Erfolg heute in Mundart-Übertragungen angeboten, wobei eine der Fassungen aus der Feder H.C. Artmanns stammt, der damit seinen eingangs zitierten Ausspruch zur self-fulfilling-prophecy werden ließ.

Die Entwicklung der Comics im deutschsprachigen Raum der Nachkriegszeit ist einerseits von Importen - allen voran die anhaltend erfolgreichen Erzeugnisse aus den Disney-Studios - geprägt, andererseits gibt es aber interessante Eigenkreationen: im Bereich der "funnies" die Fix und Foxi-Familie als deutsche Antwort auf die Micky Maus, im Bereich der Abenteuercomics vor allem die damals - wider alle Verbote - unter unzähligen Schulbänken heimlich gelesenen "Sigurd"-, "Falk"-, "Nick"- oder "Tibor"-Hefte. Gegen die internationale Konkurrenz und Entwicklung hatten all diese Produkte jedoch letztendlich keine Chance.

Ausgehend von Frankreich und Belgien sind in den letzten Jahren großartige Comic-Alben entstanden, die sich nicht nur äußerlich von den Zeitungsstrips beziehungsweise den früheren "Schundheftln" unterscheiden, sondern auch inhaltlich zum Teil Außergewöhnliches transportieren. Aus der Fülle des interessanten Angebots sei nur der Band "Maus" des Amerikaners Art Spiegelman herausgegriffen, in dem der Holocaust in einer ungewöhnlichen Form behandelt wird: Der Autor, der für dieses Werk den Pulitzer Preis erhielt, legt das Unaussprechliche Tieren in den Mund - die Juden als Mäuse, die Deutschen als Katzen, die Polen als Schweine. Spiegelman verzichtet bewusst auf drastische Bilder und Wertungen, er berichtet, sachlich bis an die Schmerzgrenze, dokumentarisch exakt - mit Namen und Daten.

Werke dieser Art zeigen, was gute Comics transportieren können. Und so wie es gute und schlechte Filme oder Bücher gibt, gibt es eben auch gute und schlechte Comics; wer so an dieses Medium herangeht wird positive Überraschungen erleben.

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