Die SPÖ im Leerlauf

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Am 1. Dezember debattiert das SPÖ-Präsidium Klimas-Reformpapier: ein Kampf zwischen Bremsern und Reformern.

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Am 1. Dezember debattiert das SPÖ-Präsidium Klimas-Reformpapier: ein Kampf zwischen Bremsern und Reformern.

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Die Krise in der österreichischen Sozialdemokratie ist kein Personalproblem. Der SPÖ fehlt es nicht an Programmen und Strategien. Auf keinen Fall ist ein weiteres "Papier" von wem auch immer nötig. Das Entscheidende was fehlt, ist der Zorn über ungerechte und unsoziale Zustände im Land.

Wieviel Kraft wurde in den letzten Monaten und Jahren bei den Sozialdemokraten dafür verwendet, ihr politisches Credo in Worte zu fassen? Und kaum ist das "modernste Programm aller Parteien Österreichs" Ende letzten Jahres gedruckt, wird das Land mit einer neuen Strategie überrascht, und erfindet dieses und jenes Papier die Sozialdemokratie neu.

Das Ganze ist ja auch verständlich: Österreichs Rote sind einem europaweiten sozialdemokratischen Ideenwettbewerb ausgesetzt. Wer da nicht mithalten kann, den dritten Weg nicht findet, sich mit der neuesten Mitte womöglich schwertut, darf mit keinem der anderen Helden mehr auf ein Plakat, geschweige denn nach Florenz oder sonst wohin.

Darum wird eifrig an den Strategien gefeilt. Und kaum ist eine fertig, gibt es einen Aufruhr. Der eine zeiht den anderen der Prinzipienlosigkeit und fordert seinen Rücktritt. Der andere hat das dann aber doch nicht so gemeint, und denken und schreiben wird man ja noch dürfen. Und so geht das dahin, und die Reformer schreiben sich ihren Frust von der Leber, und die Bremser tun das Gleiche und meinen das Gegenteil. Gemeinsam wundern sich beide darüber, daß immer mehr Menschen - richtige, nicht die, die zuhauf in den Programmen vorkommen - dieser Politik ihre Zustimmung verweigern.

Wen kümmert's, kann man fragen. Auf und ab, so geht's im Leben und warum nicht auch in einem Parteileben. Wäre nur die SPÖ in der Krise, wäre tatsächlich wenig Grund zur Sorge und viele wird's nach einer elendslangen politischen Durststrecke sogar freuen. Leider kuppelt das ganze Land aus, wenn die Sozialdemokraten im Leerlauf rollen. Wenn sich die roten Bremser und Reformer auf keinen Gang einigen können, und erstere sogar eine Vollbremsung in Erwägung ziehen, ist davon der ganze Staatswagen betroffen. Und da hilft es auch nicht, wenn der richtige Weg schon lange bekannt ist, und die Konkurrenz mit dem noch besseren droht. Einer muß ihn fahren!

Dabei würde doch ein Blick ins Ausland all die schönen Reformpapiere schnell ihres Glanzes berauben, und die ängstlichen Kollegen von der Gewerkschaft beruhigen. "Gerhard, Gerhard", haben die Arbeiter des Baukonzerns Holzmann dem deutschen Bundeskanzler Schröder zugejubelt, als dieser mit viel Engagement die drohende Insolvenz ihres Arbeitgebers noch einmal abwenden konnte.

Die Überraschung ist gelungen. Kein Lafontaine hätte es besser machen können. Dritter Weg, neue Mitte: war nicht alles so wunderbar ausformuliert, so grandios durchdacht? Das Schröder-Blair-Papier: ein Manifest mindestens für die nächsten hundertfünfzig Jahre? Weit gefehlt! Wenn es hart auf hart geht, kommt der Rückfall in den Protektionssozialismus wie das Amen im Gebet. Wenn Schwierigkeiten auftauchen, muß nach wie vor Vater Staat herhalten. Wenn die Konzernleitungen mit steigender Arbeitslosigkeit drohen, scheint jedes Mittel recht.

Nur das Ungerechte, das eigentlich Unsoziale an dieser Art von staatlicher Intervention ist nach wie vor dasselbe geblieben. Deficit spending nützt nur den wirklich Großen, den Kleinen und Mittleren spendet keiner etwas. Und bekommen die ganz Kleinen etwas, müssen sie sich das als Schmarotzertum vorwerfen lassen.

Der Kollisionskurs mit der "Unausweichlichkeit marktwirtschaftlicher Mechanismen" ist nicht für alle gleich gefährlich. Am bedrohlichsten ist er ganz sicher für die, bei denen der Crash still und leise stattfindet. Für diejenigen, die keine Stimme haben, kennt die marktwirtschaftliche Quasi-Dogmatik keine Gnade. Bei den Lauten ist hingegen immer wieder auch ein Dispens möglich.

Aber was hätte Gerhard Schröder denn machen sollen? Hat ihn nicht der eingangs geforderte Zorn über die Zustände in seinem Land gepackt, und ist er nicht zurecht über seine eigenen Programme gesprungen?

Diese Fragen leiten zurück zur Situation der Sozialdemokratie in Österreich. Die Versuchung ist groß, daß sich - so wie vorher die Modernisierer - jetzt die Blockierer in der SPÖ am Kurzzeiterfolg des deutschen Kanzlers aufrichten.

Hoffentlich gehen den SPÖ-Reformern bei solchen Anfragen die besseren Argumente nicht aus. Hoffentlich finden sie die richtigen Worte, um ihre Vorstellungen einer Gesellschaft plausibel zu machen, die trotz aller Sparzwänge nicht in Gewinner und Verlierer zerbricht und dennoch kein Fortbestehen des staatsbürokratischen Sozialismus bedeutet. Wenn das Hoffen umsonst ist, und es den gegensätzlichen Richtungen in der SPÖ nicht gelingt, sich - auf keinen Fall aber in der Mitte - zu treffen, geht das Rollen im Leerlauf für Partei und Land weiter.

Nicht "was zu tun ist", sondern "wer es tun würde, wenn wir es wüßten", nannte vor einigen Jahren der deutsche Soziologe Claus Offe das quälendste aller politischen Rätsel. Noch um vieles quälender wird besagtes Rätsel, wenn eine Partei von sich behauptet, sie weiß, was zu tun sei, und sie weiß auch, daß sie es selbst tun muß und trotzdem tut sie es dann aber nicht.

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