Die Start-up-Revolution in der Arabischen Welt

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Der Publizist und Unternehmer Christopher M. Schroeder beleuchtet in seinem Buch "Startup Rising“ den Aufstieg von Startups im Nahen und Mittleren Osten.

Gut zwei Jahre ist es her, dass die arabische Welt eine Revolution erlebte. Viel ist über die politischen Folgen diskutiert und geschrieben worden. Die ökonomischen Folgen des Arabischen Frühlings blieben weitgehend unbeleuchtet. Der US-Entrepreneur Christopher M. Schroeder hat nun ein hellsichtiges Buch zu diesem Thema vorgelegt.

Der Aufruhr in der arabischen Welt, argumentiert der Autor, hat ungeheure unternehmerische Kräfte freigesetzt. Jahrzehntelang lag das Unternehmertum in den staatskapitalistischen Systemen brach. Das größte Hindernis war "wasta“, ein verworrenes Beziehungsgeflecht aus Vetternwirtschaft und Kungelei. Wer ein Unternehmen gründen wollte, brauchte die richtigen Kontakte - das heißt, das Placet der Herrscherfamilie oder eines einflussreichen Clans.

Die Revolten haben diese starren Strukturen aufgebrochen. Das Kapital fließt frei, wenn auch (noch) nicht in dem Maße wie in den Boom-Regionen Asiens. Die arabische Bevölkerung hat mit 350 Millionen Einwohnern ungefähr die doppelte Größe Brasiliens und - man staune - ein doppelt so hohes Pro-Kopf-Einkommen wie China. Das verfügbare Einkommen ist in den letzten drei Jahren um 30 Prozent auf eine Billiarde US-Dollar gewachsen. "Es ist ein junger Markt“, konstatiert Schroeder, "mit über 100 Millionen Menschen unter 15 Jahren, die ihre Vernetzung und Mobilfunkgeräte lieben.“ Die Zahl der Internetnutzer wächst im "Middle East“ schneller als in jeder anderen Region der Welt, die Dichte sozialer Netzwerke ist um 125 Prozent angestiegen. "Und diese Generation ist hungrig“, schreibt Schroeder.

Hungrig auf Freiheit und Wohlstand, möchte man hinzufügen. So sehr der Demokratisierungsprozess in der Region ins Stocken geraten ist, so unaufhaltsam schreitet die wirtschaftliche Entwicklung voran. Es ist ein Prozess, den man bei all dem politischen Chaos gerne übersieht, den Schroeder aber sehr gut herausarbeitet. Der Autor - er war CEO mehrerer Unternehmen - kennt die Region aus zahlreichen Besuchen. Anschaulich berichtet er über die Transformationsprozesse und seine Begegnungen mit lokalen Unternehmern. Ahmed Zahran etwa, der Gründer der Solarfirma KarmSolar, der an der American University of Cairo studierte und sich gegen Machthaber Mubarak engagiert hat. Er sagt: "Das Fehlen der Imagination war die größte Altlast des Mubarak-Regimes. Das wäre der größte Wandel, der hier stattfinden müsste.“ Zu Zeiten des Pharaos herrschten Cliquen, Monopolisten teilten den Markt unter sich auf. Unternehmerisches Denken war unerwünscht. Mit dem Arabischen Frühling wurde das Unterste zuoberst gekehrt. Der Umsturz hat innovativen Ideen Auftrieb gegeben.

In Alexandria, Kairo, Amman und Beirut schießen Start-ups wie Pilze aus dem Boden. Hochqualifizierte Harvard-Absolventen kehren in ihre alte Heimat zurück und machen sich mit innovativen Geschäftsideen selbstständig. Die jungen Unternehmer sind bestens vernetzt.

Innovative Ideen aus Nahost

Der Autor differenziert zwischen drei Typen von Start-ups: Den Improvisers, Problem Solvers und Global Players. Zu der Gruppe der Problemlösern gehört das Startup "Bey2ollak“ (arabischer Slang für "Wort auf der Straße“), das eine Verkehrsmelderapp für Kairos verstopfte Straßen entwickelt hat. Die Metropole ist ein wahrer Moloch, die Staus kosten jährlich vier Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Dienst lotst den Nutzer durch das Gewirr der Straßen und informiert in Echtzeit über Staus. Gamal Sadek gründete das Start-up 2010 mit vier Verwandten. Mittlerweile hat die Firma 30 Mitarbeiter und 700.000 registrierte Nutzer. Bey2ollak ist der Renner in Ägypten. Eine Lokalzeitung kam zu der Bewertung, die App sei für den Verkehr "essentieller als Ampeln“. Das Start-up ist crowdfinanziert und verdient sein Geld hauptsächlich mit Werbung. Mit dem Telekommunikationskonzern Vodafone wurde kürzlich ein Kooperationsvertrag geschlossen.

Schroeder erzählt in seinem Buch von vielen kreativen Konzepten. Da ist etwa das Start-up "WeatherHD“ aus Alexandria, das die mit fünf Millionen Downloads meistverkaufte Wetterapp der Welt entwickelt hat. Und da ist die Geschichte des Mostafa Hemdan, einem Ingenieurstudenten an der Tanta University, zwei Stunden von Kairo entfernt. Tanta ist eine trostlose Arbeiterstadt, die im Müll erstickt. Hemdan machte aus der Not eine Tugend. Als er einen Film über "Green Environment“ sah, beschloss er, aus Elektroschrott Metallteile zu recyceln. Mit alten Klassenkameraden und Kommilitonen gründete er das Start-up RecycloBakia. "Ich hatte keine Ahnung von Recycling“, sagt er. Doch Hemdan lernte schnell hinzu.

Chancen und Herausforderungen

Von der Solarenergie bis hin zur Abfallwirtschaft - an innovativen Lösungen mangelt es in Ägypten nicht. Die vielen Beispiele ergeben das Bild einer jungen, dynamischen Volkswirtschaft. Gewiss, man sollte die Start-ups nicht überbewerten. Und der Nahe Osten steht vor gewaltigen Herausforderungen: Die politische Instabilität, die hohe Arbeitslosigkeit, das Heer der Habenichtse, das vor den Toren der Megacitys kampiert, bedrohen den sozialen Frieden. Doch die Geschäftsideen können wichtige wirtschaftliche Impulse geben. Schroeder resümiert: "Diese Anstrengungen hingen nicht von einer zentralen Planung ab. Sie wurden zu Durchlauferhitzern selbstständiger Gemeinschaften. Aggregiert, wurden diese individuellen Einflüsse groß. Und sie erleichtern die Vernetzung zwischen den Communities, die vorher geografisch unmöglich waren.“ Die digitalen Technologien, so die zentrale These des Buchs, erhöhen nicht nur Transparenz und Konnektivität, sondern schaffen auch Zugang zu Kapital und Märkten. Zuerst wurden über soziale Netzwerke die politischen Proteste orchestriert. Jetzt wird das Internet zum Marktplatz für junge Unternehmensgründer. Die Start-up-Revolution steht erst am Anfang.

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