Die Stimme als Schauplatz der Tragödie

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Ein Krieg - und eine sich steigernde Abfolge von monologischen Klagen, die zur Empathie einladen, sich aber auch als Warnung verstehen lassen. Reduziert und hochkonzentriert inszeniert Michael Thalheimer Aischylos' Tragödie "Die Perser" am Akademietheater.

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Ein Krieg - und eine sich steigernde Abfolge von monologischen Klagen, die zur Empathie einladen, sich aber auch als Warnung verstehen lassen. Reduziert und hochkonzentriert inszeniert Michael Thalheimer Aischylos' Tragödie "Die Perser" am Akademietheater.

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Aischylos' "Die Perser" ist nicht nur die älteste erhaltene Tragödie, sie stellt auch einen der frühesten Versuche dar, im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung Zeitgeschichte auf der Bühne zu verhandeln. Gegenstand der Tragödie ist der Krieg der Perser gegen die Griechen, an dem auch Aischylos als Soldat auf Seiten Athens teilgenommen hat. Bemerkenswerterweise nimmt er in seinem Stück die Perspektive der Feinde Griechenlands ein. Genau genommen stellt er in drei Teilen die Hoffnungen und Sorgen der Wartenden, den Zustand der Ungewissheit bei den Daheimgebliebenen, die düsteren Vorahnungen sowie dann die Reaktionen auf die unerwartete und verheerende Niederlage des persischen Heeres dar. In einer sich steigernden Spannung ist das Stück eine eigentliche Abfolge von monologischen Klagen.

Michael Thalheimer baut denn in seiner sehr reduzierten und hochkonzentrierten Inszenierung auf der kleineren Bühne des Burgtheaters auch vor allem auf die Stimme als Trägerin des Ausdrucks. Durs Grünbeins behutsame "Übersetzung" (das Programmheft schreibt von Wiedergabe) der Verse in eine heutigere Sprache macht es erst möglich, dass sich Thalheimer ganz auf eine die griechische Tragödie kennzeichnende relevante Geste des Tragischen konzentrieren kann, nämlich auf das Pathos des unermesslichen Erleidens.

Großer, wimmernder Monolog

Den Anfang macht die wunderbare Christiane von Poelnitz als Atossa. Die Mutter des unglücklichen Königs Xerxes steht ganz in Gold mit langem Schleppenkleid wie eine Statue, ein Denkmal ihrer selbst (und der politischen Elite, die sie repräsentiert) ganz vorn an der Bühnenrampe. Sie horcht, selbst von Albträumen geplagt, dem Ältestenchor, den Falk Rockstroh ganz allein repräsentiert. Auf ihrem Gesicht spiegelt sich einerseits Zuversicht und Stolz, als dieser die Größe und Stärke des persischen Heeres rühmt, und es verdüstert sich, als er sich besorgt zeigt über das Schicksal der im Feindesland weilenden Streitmacht, zumal sie selbst durch einen Unheil verheißenden Traum beunruhigt ist.

Thalheimer lässt sie dort die ganzen 90 Minuten über stehen. Erst als der Bote (Markus Hering) die verheerende Niederlage verkündet, entledigt sie sich des Prunks und sinkt zu Boden, wird sie verletzlich in ihrer Kreatürlichkeit. Den Mittelpunkt des Stückes bildet der Auftritt von Dareios (Branko Samarovski), dem verklärten König der guten alten Zeit. Er wurde vom Ältestenchor aus dem Totenreich zurückgerufen, damit er die Gründe für den Untergang persischer Größe darlegt, die er in Übermut, Ehrgeiz, Hybris einerseits sieht, aber auch im Einwirken höherer Mächte, die den menschlichen Anmaßungen Grenzen zu setzen wissen: "Ist einer selbst zu eifrig, trägt ein Gott zum Fall noch bei." Schließlich betritt, nachdem wieder die mächtige Decke wie eine riesige Schwingtür herabgestürzt und mächtig Staub aufgewirbelt hat (Bühne: Olaf Altmann), der durch seinen überbordenden Tatendrang schuldig gewordene König und geschlagene Heerführer Xerxes (fabelhaft: Merlin Sandmeyer) selbst die Bühne. Wie alle Auftritte kommt er langsam in Lumpen zuerst und schließlich ganz nackt und blutend aus der Tiefe des Raumes und hält seinen großen wimmernden Monolog der Agonie.

Man kann diese großartige Inszenierung auf vielfache Weise lesen, als Anrufung zur Empathie, aber auch als Warnung, dass Hochmut, angenommene Überlegenheit und Risiko jäh umschlagen können in tiefstes Leid. Stets ist es die Stimme und ihre Bindung an die Präsenz des Physischen, die im Timbre, im Schrei, als Anruf oder im Jammern die Verfallenheit des Menschen verrät, an Kräfte, die ihm überlegen sind.

Die Perser

Akademietheater, 25., 27., 28. Mai, 9., 24., 26. Juni

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