Die Stimme aus dem Innersten

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Vor 100 Jahren wurde einer der größten Söhne Andalusiens, der Dichter und Dramatiker Federico Garcia Lorca, geboren.

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Vor 100 Jahren wurde einer der größten Söhne Andalusiens, der Dichter und Dramatiker Federico Garcia Lorca, geboren.

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Welch ein Dichter! Nie wieder habe ich wie bei ihm Anmut und Genie, ein beflügeltes Herz und eine Stimme wie eine kristallne Kaskade vereint gesehen. Federico Garcia Lorca war der verschwenderische Zauberer, war eine Zentrifuge der Fröhlichkeit, die Lebensfreude in ihrem Schoß barg und ausstrahlte wie ein Planet. Naiv und komödiantisch, kosmisch und provinziell, ein einzigartiger Musiker, ein blendender Mime, scheu und abergläubisch, strahlend und gütig, war er eine Art Zusammenfassung der Zeitalter Spaniens, ein arabisch-andalusisches Erzeugnis, das wie ein Jasminstrauch die gesamte Szene jenes ach so entschwundenen Spanien erleuchtete und mit Duft erfüllte. Mich bestach Garcia Lorcas metaphorische Kraft, mich fesselte alles, was er schrieb. Er hingegen bat mich manchmal, ihm meine letzten Gedichte vorzulesen, und unterbrach mich dann laut: ,Hör auf, hör auf, du beeinflußt mich!' Im Theater wie in der Stille, in der Menschenmenge und in der Zweisamkeit war er ein Multiplikator der Schönheit. Nie habe ich einen Menschen mit so magischen Händen gesehen, nie einen fröhlicheren Gefährten gekannt."

Ein Freundeszeugnis, das des chilenischen Nobelpreisträgers Pablo Neruda, der sechs Jahre jünger als Lorca war. Federico Garcia Lorca war später mit weltberühmten Männern befreundet: dem Filmemacher Luis Bunuel, dem Maler Salvador Dali, dem Komponisten Manuel de Falla, dem Lyriker Rafael Alberti. Sie alle hinterließen Berichte über den bäuerlich-schönen Südspanier, der vor 100 Jahren, am 5. Juni 1898, geboren wurde.

Aber nur Alberti sah auch die Kehrseite des Hochbegabten, der dichtete und Theaterstücke schrieb, ebenso gut Gitarre wie Klavier spielte und eine wunderbare Lebensfreude verströmte. Alberti: "Plötzlich aber fiel ein Schatten über ihn, dann diese seltsamen Schweigepausen und, was mich von Anfang an erstaunte, der Drang, mit einem gewissen Behagen und einer Vertraulichkeit über den Tod zu reden."

Seine Kindheit muß herrlich gewesen sein. Der Vater: ein reicher Gutsbesitzer. Die Mutter: aus dem Bürgertum Granadas, gebildet, musikalisch. Granada: eine der schönsten Städte Spaniens, geschichtstrunken. Die Perle der maurischen Baukunst, die Alhambra, überragt die verwinkelten Gassen; im Süden leuchtet die Sierra Nevada mit schneebedeckten Gipfeln bis weit ins Frühjahr hinein. Hier lernte das Kind spanische Volksdichtung und Volksmusik kennen, Zigeunerballaden und den leidenschaftlichen Flamencotanz.

Die großzügigen Eltern ließen den jungen Mann nach Madrid gehen, wo er das Literaturstudium nicht abschloß, sondern dichtete. Früher Ruhm verdarb ihn nicht.

Aber als seine im Ton der Zigeunerlyrik gehaltenen Balladen in ganz Spanien berühmt wurden und ihm das Schild "Zigeunerdichter" umgehängt wurde, ging er 1929 nach New York. Was dort an Gedichten entstand, beweist, daß er auf der Höhe der damaligen Moderne stand, mit offenen Augen für soziale Not; mit einer harten, brutalen Sprache.

Über das New Yorker Finanzzentrum sagte er: "Wall Street beeindruckt durch Kälte und Grausamkeit. Hierher strömt das Geld aus allen Teilen der Erde, und mit ihm kommt der Tod. Nirgends auf der Welt spürt man so wie hier die absolute Abwesenheit des Geistes; Herden von Männern, die nicht bis drei, und Herden von Männern, die nicht bis sechs zählen können; Mißachtung der reinen Wissenschaft und dämonische Wertung der Gegenwart ... Schreckliches Schauspiel, doch ohne jede Größe. Entsetzlich. Niemand kann sich vorstellen, wie einsam sich dort ein Spanier, vor allem ein Mann aus dem Süden, fühlt. Zum Beispiel, wenn du stürzt, zertrampeln sie dich, wenn du ins Wasser fällst, werfen sie ihr Butterbrotpapier auf dich ..."

Ins republikanische Spanien zurückgekehrt, begann Lorca seine erfolgreiche Laufbahn als Dramatiker und Theaterleiter, der mit Studenten in die Dörfer zog und die großen Werke des spanischen Theaters vorstellte: Calderon, Lope de Vega ...

Er war homosexuell - ein Tabu-Thema im damaligen Spanien. Über seine Veranlagung konnte er nicht reden; so griff er die Tragödie der unterdrückten weiblichen Sexualität auf. Seine Stücke, bei uns völlig mißverstanden als Ausdruck des Ewig-Spanischen, stellen in Wahrheit ein besonders schweres Vergehen gegen die althergebrachten Spanien-Mythen der Frauentugend dar.

Nur ein Beispiel: "Bernarda Albas Haus". Die Trauervorschriften erlegen den fünf Töchtern Bernarda Albas nach dem Tod des Vaters eine achtjährige Zurückgezogenheit auf. Türen und Fenster werden hermetisch abgeschlossen. Doch der Überdruck wird zu groß. Die Jüngste gibt sich heimlich einem Mann hin, die Mutter schießt auf ihn, er entkommt, doch das Mädchen glaubt, er sei tot, erhängt sich und wird als Jungfrau begraben.

Stücke dieser Art, die eine Scheinmoral anprangern, kosteten Lorca schließlich das Leben. In den ersten Tagen des Bürgerkriegs erschossen ihn die Falangisten, die Gegner der Republik. Die genauen Umstände seiner Ermordung wurden nie bekannt. Noch Jahrzehnte nach seinem Tod waren seine Dramen von den spanischen Bühnen verbannt, mit der Begründung, das spanische Volk müsse vor derart vergifteten Machwerken, in denen sich die weibliche Sexualität schamlos austobe, bewahrt werden.

Lorca starb, als seine dichterische Kraft auf ihrem Höhepunkt war. Sein sinnlos abgerissener Lebensfaden trägt zu der Faszination bei, die noch immer von seiner Person ausgeht.

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