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Das Debakel der Finanzwirtschaft und die Krise der Realwirtschaft heben die Zustimmung zur Europäischen Union. Der Koalition könnte ein Scheitern an ihrer Sollbruchstelle und ein Debakel bei den EU-Wahlen 2009 erspart bleiben.

Also doch Europa, denn die Krise macht es möglich: Die billige, unsachliche und bloß polemisch-aggressive Kritik an der Europäischen Union ist nahezu verstummt. Neue Umfragen zeigen eine große Zustimmung der Österreicherinnen und Österreicher zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung sind dafür, in der Union zu bleiben, zwei Drittel meinen, auch Österreich brauche die EU, um die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise abzufangen. Das Stimmungsbild und die Meinungslage bezüglich der EU haben sich zu ihren Gunsten verändert. Auf den Wankelmut und die Wechselbereitschaft war hierzulande eben immer schon Verlass.

Leider keine Frage des Prinzips

Im Zweifelsfall ringt man sich stets zur jener Ansicht durch, für die sich die Mehrheit voraussichtlich entscheiden dürfte. Um auf der sicheren Seite zu sein, sozusagen. Wie die Auf- und Abwärtsbewegungen des EU-Barometers zeigen, ist für einen zu großen Anteil der Bevölkerung manche politische Frage keine der Prinzipien, der Werte und der Haltung, sondern vielmehr eine solche der Opportunität, der Anpassung, der Hoffnung auf Mehrung des eigenen Vorteils. Man ist manchen seiner Volksvertreter und Meinungsmacher ähnlicher, als es die übliche und belegte Geringschätzung für Politiker und Journalisten vermuten lässt. So ist das eben in einem Land, indem das G'spür stets mehr an Wirkungsmächtigkeit verströmte als der Gedanke. Einfach, weil es wichtig war und ist, auf der jeweils richtigen Seite zu stehen, auf jener der Herrschaft, der Mächtigen, der Brot- und der Lehensgeber.Das nimmt nicht manch berechtigter Kritik im Konkreten an der Europäischen Union ihren Sachgehalt, aber es entwertet ihre landläufige und pauschale Ablehnung ins Bodenlose. Selbst dann, wenn es in den Wechselfällen des Lebens legitim ist, die Entscheidungen nach den Kriterien bloßer Nützlichkeitserwägungen zu treffen. Politik bräuchte mehr, nämlich Grundsätze.

Der jungen Koalitionsregierung könnte mit der neuen, breiten Zustimmung der Österreicher zur EU-Mitgliedschaft ein Scheitern an der Sollbruchstelle ihres Arbeitsvertrages erspart bleiben. Sie hat sich ja Auflösung und Neuwahl für den Fall versprochen, sollte eine der beiden Koalitionsparteien gegen den Willen der anderen für eine Volksabstimmung etwa über EU-Angelegenheiten eintreten. Die SPÖ wünscht mehr an Volksabstimmungen über EU-Agenden und -Beitritte als die ÖVP, die dabei ein Nein befürchtet. Genau auf diese Ablehnung und auf die Spaltung der Regierung setzen ja die Stimmungsmacher der radikalen Opposition und die Blattmacher mancher Zeitungstitel. Sie buhlen mit wüsten Titeln und üblen Tiraden auf der Gasse und in den Gossen um Aufmerksamkeit, die sie dann als ein Ja zu dem von ihnen Verbreiteten darstellen. Schlimm genug, fallen manche Herren der amtierenden Koalitionsregierung auf diesen Trick herein und vermuten eine Mehrheit an Zustimmung eben dort, wo sich lediglich eine Anhäufung an - übrigens verschenkter - Aufmerksamkeit findet.

Oppositions-Plebiszit zu erwarten

Sollte die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten tatsächlich eine Rezeptur finden, um zumindest die Schmerzen der gegenwärtigen, sicher noch stärker werdenden Wirtschaftskrise zu meistern, bleibt der Koalition ein Debakel erspart. Denn ein solches wird für Juni 2009 erwartet, wenn mit der Wahl der Abgeordneten zum Europäischen Parlament voraussichtlich die Opposition wieder Stimmengewinne einfährt. Bei zumindest einem Viertel bis zu einem Drittel der Wähler liegt der Anteil jener, welche die EU ablehnen. Das entspricht dem Wählerreservoir von FPÖ und BZÖ. Will die Koalition nicht zu viele Stimmen an dieses Spektrum verlieren, wird sie sich nicht zuletzt an ihre eigenen Vorhaben zu halten haben. Sie muss ihrem Bekenntnis zum europäischen Einigungswerk und Österreichs Mitwirkung daran Taten folgen lassen. Ein weiterer Leserbrief des Bundeskanzlers wäre nicht viel, aber zumindest ein Anfang.

claus.reitan@furche.at

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