Die Suche nach dem kostbaren Schatz

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Beide sehen die Natur als Kostbarkeit und verstehen es doch, sich ihr in unterschiedlicher Weise zu nähern: von der natürlichen Orientierung bis zur digitalen Schnitzeljagd.

Das Mobiltelefon ist kaputt. Keine Reaktion, als Anna den Einschaltknopf mit verzweifeltem Blick drückt, nichts. Elisa und Anna sind in Amsterdam unterwegs, ihre Reise haben die Studentinnen perfekt geplant: Auf Annas Smartphone ist der nötige Stadtplan gespeichert - das Gerät hätte die beiden wie ferngesteuert durch die Stadt lotsen, auf Sehenswürdigkeiten hinweisen und Lokaltipps geben sollen. Doch damit ist jetzt Schluss, denn die Technik hat ausgesetzt. Elisa kramt ihren zerknitterten Stadtplan aus dem Rucksack und los geht ein Kartenabenteuer mit einer Nuance Selberdenken.

Viele Menschen sind heute mit nicht-digitalisierter Navigation überfordert - sei es prinzipielles Kartenlesen oder explizite Routenplanung. GPS-fähige Geräte sind meist überall dabei, die technischen Möglichkeiten sind so weit fortgeschritten, dass kleine tragbare Geräte jegliches "Denken“ übernehmen können.

Ein Enthusiast lehrt die unberührte Natur

Dass Navigation aber nicht nur ein Wegweiser von A nach B sein muss, sondern ein besonderes Reisegefühl vermitteln kann, das hat Tristan Gooley in seinem Buch "Der natürliche Kompass“ beschrieben. Der Engländer, der den Atlantik im Soloflug und im Einhandsegler überquert hat, will den Menschen zu verstehen geben, wie eine Landschaft gelesen wird und wie man sie zur Orientierung verwenden kann. "Die Sonne strahlt mir von dort drüben direkt ins Gesicht, das ist also Westen“, sagt einer von Gooleys Schülern bei einer Expedition im englischen Sussex. Richtig. Die Sonne gibt die ersten Anzeichen für eine erfolgreiche "natürliche Navigation“, die anderen Indizien werden etwa von den Elementen und vom Wetter verursacht. Pfützen etwa trocknen auf der Südseite von Ost-West-Pfaden langsamer aus, süße Trauben bevorzugen Südhänge mit starker Sonneneinstrahlung, die Schneebutterblume dreht ihre Blüten mit der Sonneneinstrahlung jeden Tag von Osten nach Westen.

Die Verwitterung zeigt Norden und Süden

"Geh um den Baum herum und schau dir an, wie er sich verändert“, fordert Gooley mit seiner ruhigen Stimme den Expeditionsteilnehmer auf. Nach der Inspektion des Baumes sagt er: "Da ist rostige Farbe, das ist die Nordseite.“ In seinem Buch erklärt Gooley weiter, dass die stärker bewachsene Seite eines Baumes in Großbritannien nach Süden hin ausgerichtet ist und dass die Äste auf dieser Seite eher flach wachsen, während sie auf der Nordseite steil in die Höhe ragen. Bei seinen Erklärungen wirkt die Natur banal, als wäre sie ein funktionierendes Konstrukt. Auch all jenes, das von Menschen erschaffen wurde, folgt meist einer bestimmten Richtung: In Städten etwa befinden sich weniger beliebte Wohngegenden in Windrichtung, Moscheen sind in Richtung Mekka ausgerichtet, Satellitenschüsseln meist nach Südost. An Hausmauern kann man die Südseite daran erkennen, dass der Putz schneller abblättert und die Südwestseite daran, dass dort vermehrt Algen wachsen und Flecken entstehen, da der Regen meist aus dieser Richtung kommt.

Während sich Gooley an der Natur selbst orientiert, nutzen andere digitale Geräte für eine Schatzsuche in der Natur. Aber nicht nur dafür, um gedankenlos einem diktierten Weg zu folgen, sondern auch um die Landschaft zu erleben. Es ist eine Art GPS-Schnitzeljagd: eine Jagd durch die Natur, navigiert über das Handy, ausgehend von einem globalen Satellitensystem.

Daniel Sailer ist ein sogenannter "Geocacher“. Gemeinsam mit mehr als 400 Millionen Menschen versteckt und sucht er "Caches“ - das sind in der Regel kleine, wasserdichte Plastikboxen mit einem Logbuch und verschiedenen Tauschgegenständen, die Abenteurer in der ganzen Welt verstecken: am Gipfel des Großglockners, in den Steinmauern des Wiener Burgtores. Mit einem GPS-Gerät können sich die Geocacher bis zu drei Meter genau an den Schatz heran navigieren lassen, dann ist die eigene Spürnase gefragt.

Digitale Signale führen weltweit zum Schatz

"Ich hab schon überall welche gefunden, in Afghanistan, Jordanien, Kroatien, Deutschland, Frankreich“, sagt Sailer und führt die Liste noch lange weiter, er hat insgesamt bereits 1200 Caches gefunden. Ein Millionär hätte sogar einen Cache in 6000 Meter Tiefe im Meer verstecken lassen. Sailer: "Es ist für jeden etwas dabei. In Terrain eins kann man mit dem Rollstuhl zum Cache fahren, in Terrain fünf braucht man dann schon eine Berg- oder Tauchausrüstung.“ Die einzige Regel beim Verstecken der kleinen Schätze: Ein schönes Plätzchen muss es sein. Ob das ein einsamer Brunnen oder ein Denkmal mitten in Wien ist, sei den Geocachern selbst überlassen. Die Idee hinter der digitalen Schatzsuche scheint banal und hat doch große Wirkung: Naturbegeisterte versuchen, die Menschen wieder hinaus in die Landschaft zu treiben. Es gibt inzwischen verschiedene Websites, auf denen die Koordinaten von Caches eingetragen werden, wie etwa opencaching.com, terracaching.com oder geocaching.com. Dort sind einerseits die GPS-Daten von Caches sichtbar, andererseits entstehen auch Routenvorschläge, die die Planung eines Wanderausfluges erleichtern, und Diskussionen in Foren. Die Teilnehmer sehen die Profile der anderen und die Anzahl der gefundenen Caches, es entwickelt sich ein starker Wettbewerbsgedanke, der zu Wanderausflügen motiviert. Der Spitzenreiter hat bereits zehntausend Caches gefunden. In Österreich sind momentan 24.000 Geocacher auf der Suche nach dem Tupperdoserl und tragen sich in die Logbücher ein. Für manche ist ein Eintrag in das kleine Büchlein vielleicht eine etwas rare Ausbeute für eine so groß angelegte Schatzsuche, für Daniel Sailer nicht. Für ihn gilt: Der Weg ist der Schatz, nicht das Ziel.

* Weitere Informationen unter www.geo-cache.at, www.naturalnavigator.com

Der natürliche Kompass

Von Tristan Gooley, Piper 2011 (deutschsprachige Ausgabe), 288 Seiten, gebunden, e18,50

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