Die Suche nach der Seele

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Das Museum der Moderne Salzburg widmet sich zwei großen Expressionisten: Auf dem Mönchsberg sind Aquarelle und Grafiken von | Emil Nolde zu sehen, das Rupertinum präsentiert Oskar Kokoschka als Zeichner mit Arbeiten aus der Sammlung Willy Hahn.

Emil Nolde war mit 46 Jahren keineswegs mehr jung, als er im Herbst 1913 zu einer Reise in die Südsee aufbrach. Das Schwärmen hatte er dennoch nicht verlernt. Er war zivilisationsmüde geworden, bei den Naturvölkern dachte er, auf das reine, unverfälschte Leben zu stoßen. Auf der Suche nach dem Urtümlichen meinte er, auf Deutsch-Neuguinea endlich jene Menschen gefunden zu haben, die mit dem Mythos noch im Einklang stünden. "Die Urmenschen leben in ihrer Natur“, schrieb er enthusiastisch nach Deutschland, "sind eins mit ihr und ein Teil vom ganzen All. Ich habe zuweilen das Gefühl, als ob nur sie noch wirkliche Menschen sind, wir aber etwas wie verbildete Gliederpuppen, künstlich und voll Dünkel.“

Begeisterung für das Unzivilisierte

Nolde stürzte sich in die Arbeit, um in seinen Bildern die Schönheit, Kraft und Würde der Südsee-Bewohner zu feiern. Damit leistete er Einzigartiges, denn die Europäer betrachteten diese Völker gerne als minderwertig und taten sie als primitive Wilde ab. Nolde aber erkannte in ihren Fetischen und Kunstwerken eine Energie, die ihn unmittelbar ansprach. Er porträtierte die Menschen, um sie in ihrer Einzigartigkeit groß herauszustellen. 1914 bildete er einen Manusmann in einem Aquarell ab. Wir sehen einen stolzen Krieger mit wüster Jimi-Hendrix-Frisur, der Blick ist glühend und durchdringend. So sieht keiner aus, der in Rückständigkeit verharrt. Er wirkt entschlossen, solch ein Leben verfügt über Tiefe. Er steigt besser aus als die oberflächlichen, an materiellen Gütern interessierten Europäer. Nolde als Mitglied einer Expedition betreibt Menschenforschung und widersetzt sich mit seiner Begeisterung für alles Unzivilisierte der gängigen Meinung, dass man die Wilden aus der Finsternis ihrer Existenz herausführen müsste. Als Kritiker des Kolonialismus machte sich Nolde nicht beliebt in einem Deutschland, dessen Bevölkerung ohnehin das Gefühl hatte, bei der Verteilung der Welt zu kurz gekommen zu sein. Jedes von Noldes Südseebildern ist eine in kräftigen Farben ausgestaltete Verteidigung des Archaischen.

Die Erfahrung dieser Reise war so prägend, dass er sich Gedanken über eine "deutsche“ Kunst machte, die er an die Quellen des Nordischen, eine andere Quelle des Magischen und Archaischen, heranzuführen gedachte. Die Nationalsozialisten, denen Nolde in ihrem Antisemitismus zustimmte, wollten aber mit diesem Berserker der Kunst, der dem kleinbürgerlichen Geschmack der Führungselite heftig entgegenarbeitete, nichts zu schaffen haben. Er wurde zu einem der am meisten angefeindeten Vertreter der "entarteten Kunst“, den man mit Berufsverbot ruhig zu stellen gedachte. Das Museum der Moderne in Salzburg zeigt 110 Aquarelle und Grafiken aus dem Berliner Kupferstichkabinett und ordnet sie nach den Themen Mensch, Natur und Mythos, sodass die Entwicklung Noldes gut ablesbar ist.

Die Freundschaft des Sammlers

Im Rupertinum wird Oskar Kokoschka als Zeichner mit Arbeiten aus der Sammlung Willy Hahn präsentiert. Den Musiker Hahn muss man sich als Glücksfall eines Sammlers denken. Im Alter von 16 Jahren machte er als Kölner Schüler im Wallraf-Richartz-Museum erste Bekanntschaft mit den Expressionisten und war fortan gefangen. Bald nach dem Ersten Weltkrieg beginnt er zeitgenössische Kunst zu sammeln, mit Oskar Kokoschka, den er erst 1951 persönlich kennenlernt, verbindet ihn eine enge Freundschaft. Dessen Arbeiten zählt er zu den Prunkstücken seiner Sammlung. Auf Vollständigkeit zielt die Sammlung insofern ab, als sie herausragende Beispiele aus jeder Schaffensperiode des zeichnerischen Werkes ihr eigen nennt. Eine Bleistiftzeichnung, aquarelliert, auf Packpapier von 1906/07 zählt zu den frühesten Beispielen: "Knabenakt, Detailstudie“. Zu dieser Zeit besuchte der 20-jährige Kokoschka die Kunstgewerbeschule in Wien. Das Blatt ist eine Bewegungsstudie, gehört zum Trainingsprogramm eines angehenden Künstlers, der sich Sicherheit des Strichs und Klarheit des Ausdrucks aneignet. Am Ende steht das Blumenaquarell "Iris“ von 1972, das von der Begeisterungsfähigkeit des gereiften 86-Jährigen zeugt, in der Natur die Fülle und den Überschwang zu preisen.

"Seherische Fähigkeiten“

Im Jahr 1965 saß Willy Hahn dem Künstler Modell. Zwei Tage lang soll sich Kokoschka abgemüht haben, eine Serie von sieben Lithokreide- und Rohrfederzeichnungen zu Papier zu bringen, über die sich Hahn dann gar nicht beglückt äußerte, weil er sich unvorteilhaft dargestellt sah mit wuchtigem Schädel, mächtiger, fleischiger Nase und stechenden dunklen Augen. Es heißt, Kokoschka soll seine Modelle stets um Jahre und Jahrzehnte gealtert gesehen haben, deshalb stellte er sie ramponiert und mit Defekten ausgestattet dar. Peter Hahn, der Sohn des Sammlers, spricht von den "seherischen Fähigkeiten“ des Künstlers.

Emil Nolde. Mensch - Natur - Mythos

Museum der Moderne Mönchsberg, bis 5. 2. 2012

Kokoschka als Zeichner. Die Sammlung Willy Hahn

Museum der Moderne Rupertinum, bis 29. 1. 2012

beide Di-So 10-18, Mi bis 20 Uhr

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