Pius ix - © Foto: kathbild / Franz Josef Rupprecht

Pius IX.: "Die Tradition bin ich"

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Papst Pius IX. bleibt umstritten: Der Jesuit und Kirchenhistoriker Klaus Schatz formulierte kürzlich "Fragen", welche dessen Seligsprechung aufwirft.

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Papst Pius IX. bleibt umstritten: Der Jesuit und Kirchenhistoriker Klaus Schatz formulierte kürzlich "Fragen", welche dessen Seligsprechung aufwirft.

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Nach katholischem Verständnis bedeute eine Seligsprechung nicht, dass die Kirche alle Taten eines Verstorbenen im Nachhinein für vorbildlich erklärt. Solches äußerte Kardinal Edward I. Cassidy, Präsident der Päpstlichen Kommission für die Beziehungen zum Judentum, in einem Kathpress-Interview anlässlich der Seligsprechung Pius IX.: Bei historischen Gestalten gebe es stets einzelne Handlungen, die aus der Sicht der Nachgeborenen kritikwürdig sein könnten. Cassidy präzisierte, dass dazu "möglicherweise auch das Verhalten Pius IX. gegenüber dem jüdischen Buben Edgardo Levi-Mortara" zähle.

Mortara war nach einer katholischen Nottaufe, die eine Magd ohne Wissen der Eltern vorgenommen hatte, 1858 den Eltern weggenommen worden - Pius IX. ließ ihn in einem katholischen Institut erziehen; Mortara wurde Priester und unterstützte - so Kathpress - selbst den Seligsprechungsprozess für Pius IX.

Nicht nur der "Fall Mortara" erregte auf jüdischer wie auf christlicher Seite Kritik an der Seligsprechung des am längsten amtierenden Papstes der Geschichte. Im Juni 2000 sprachen sich die katholischen Kirchenhistoriker des deutschen Sprachraumes in einer Resolution einstimmig gegen die Seligsprechung aus.

Der Schwankende Einer der renommiertesten Experten für das I. Vatikanum, Klaus Schatz, Kirchenhistoriker an der Jesuitenhochschule Frankfurt/St. Georgen und Mitunterzeichner obiger Resolution, differenzierte und präzisierte in der Zeitschrift "Stimmen der Zeit" seine Argumente (siehe Zeitschriftentipp). Schatz weist dort darauf hin, dass Pius IX. ("Pio Nono") in seiner persönlichen Faszination durchaus Johannes XXIII. vergleichbar war, was "spontane Herzlichkeit, menschliche Wärme und Kontaktfähigkeit, gepaart auch mit Humor und Witz" betrifft. Auch dass sich Pio Nono 1848 für ein "religiöses" und nicht primär für ein "politisches" Papsttum aussprach, anerkennt Schatz: Pius IX. verweigerte etwa in seiner Ansprache vom 29. April 1848 die Teilnahme des Kirchenstaates am nationalen italienischen Befreiungskrieg gegen Österreich, weil dies unvereinbar mit seiner universalen Aufgabe als Papst sei.

Diese Haltung des Papstes war aber in der Folge - durch die politischen Auseinandersetzungen, die 1870 im Untergang des Kirchenstaates gipfelten, sodass Pius IX. die letzten Jahre seines Pontifikates als "Gefangener im Vatikan" verbrachte - nicht mehr klar sichtbar. Schatz charakterisiert sie vielmehr als schwankend und emotional unausgeglichen: "Pio Nono war ein Mann der Emotionen, nicht etwa wie die Päpste Leo XIII., Pius XI., Pius XII. oder Paul VI. ein Papst der weiten Perspektiven, der abwägenden Analysen und klaren Konzeptionen."

Mangel an Klugheit?

Der Frankfurter Kirchenhistoriker wirft Pius IX. insbesondere seinen Verzicht auf "nüchterne Zeitanalyse" zu Gunsten einer "fundamentalistischen" Sicht, in der es immer nur um den Kampf zwischen Gott und Satan gegangen sei, vor. Insbesondere werde dies im berüchtigten "Syllabus" von 1864, der Verurteilung von 80 "Zeitirrtümern" (darunter Religionsfreiheit, Trennung von Kirche und Staat, aber auch: allgemeine Wehrpflicht), deutlich. Schatz argumentiert, dass diese Haltung nicht allein mit der damaligen Defensivsicht der Kirche zu entschuldigen sei und fragt: "Offenbart dies nicht einen Mangel an der Tugend der ,Klugheit', die für das Papstamt so gravierend ist, dass sie einer Seligsprechung unbedingt im Wege steht?"

Der Kirchenhistoriker benennt weitere Einwände, die gegen eine Seligsprechung als Signal für die Kirche von heute anzuführen sind: So sprach Pius IX. im Jahre 1867 den spanischen Inquisitor Pedro de Arbues ( 1485) heilig, was damals "ungeheure Verbitterung" bei liberalen Katholiken hervorrief. Vor allem aber lehnte Pio Nono das ab, was heute selbst die Kirche im Bekenntnis zu Menschenrechten, Demokratie und Religionsfreiheit offiziell vertritt. Schatz: "Ob man will oder nicht: Die Seligsprechung Pius IX. wird als eine Desavouierung all jener Erklärungen und Bekenntnisse wirken, die Papst Johannes Paul II. zu den Menschenrechten abgegeben hat."

Schatz anerkennt wohl das Ziel, mit der gleichzeitigen Seligsprechung der beiden Konzilspäpste Pius IX. und Johannes XXIII. ein Bekenntnis zum I. und zum II. Vatikanum als innerlich zusammengehörend abzulegen. Gleichwohl weist er darauf hin, dass das persönliche Verhalten Pius IX. auf dem I. Vatikanum 1869/70 wesentlich zur Spaltung in der Frage der päpstlichen Unfehlbarkeit beigetragen habe. Jedenfalls hätten sich sowohl Johannes XXIII. als auch Paul VI. beim II. Vatikanischen Konzil der Minderheit gegenüber wesentlich toleranter verhalten als Pio Nono beim I. Vatikanum, der "hinter den gewichtigen theologischen und pastoralen Bedenken" der Minoritätsbischöfe gegen das Unfehlbarkeitsdogma "letztlich nur schwächliche Rücksicht auf Zeitgeist, öffentliche Meinung und Fürstengunst" sah.

Schatz führt an, wie Pius etwa den chaldäischen Patriarchen Audu öffentlich abkanzelte, oder wie er auf dem Konzil Kardinal Guildi von Bologna, welcher die päpstliche Unfehlbarkeit an die im Zeugnis des Gesamtepiskopats präsente Lehrtradition der Kirche gebunden haben wollte, mit dem bekannten Ausspruch "La tradizione sono io" (Die Tradition bin ich) antwortete. Gerade diese Beispiele zeigen für Schatz, dass insbesondere die Ostkirchen, aber auch die Unierten (wegen der Behandlung ihrer Bischöfe auf dem Konzil), die Seligsprechung als antiökumenisches Zeichen empfinden werden.

Zwei Fälle In Bezug auf den zu Beginn erwähnten Fall Mortara und das Verhältnis von Pio Nono zu den Juden konzediert Schatz, dass der Papst hier sowohl auf dem Boden des Kirchenrechts als auch der damaligen Theologie stand: Für Pius war klar, dass er für die Seele eines getauften Kindes die Verantwortung trage, und es daher keineswegs nichtchristlichen Erziehern überlassen dürfe. Schatz weist darauf hin, dass anno 1858, als der siebenjährige Edgardo Mortara seinen jüdischen Eltern weggenommen wurde, der Kirchenstaat nicht die einzige "Insel der Intoleranz" war: Zur selben Zeit wurden in Nordeuropa oder in Russisch-Polen konvertierte Katholiken stark drangsalisiert. Schatz plädiert deswegen nicht dafür, die damalige katholische Kirche einseitig anzuklagen. Ob aber die Seligsprechung Pius IX. dazu geeignet ist, den Bewusstseinswandel, der seitdem auch innerhalb der katholischen Kirche stattgefunden hat, zu bekräftigen?

Kirchenhistoriker Schatz stellt diese Frage in den Kontext eines Beispiels: "Eine polnische katholische Familie hatte im Zweiten Weltkrieg einen jüdischen Jungen versteckt, dessen Eltern in Auschwitz umgekommen waren. Sie wollte ihn nun, da feststand, dass die Eltern nicht überlebt hatten, taufen lassen. Der von ihnen konsultierte Priester lehnte ab: Der Wille der Eltern, die eine religiös jüdische Erziehung wünschten, sei zu respektieren. Der Junge wurde ein orthodoxer Jude. Der befragte Priester war Karol Wojtyla."

Klaus Schatz resümiert in "Stimmen der Zeit": "Der Historiker wird beide konträre Gewissensentscheidungen aus ihrer Zeit verstehen können. Aber muss nicht in der Öffentlichkeit die Seligsprechung des einen die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses des anderen zu Religionsfreiheit, Gewissenfreiheit und Elternrecht zerstören?"

ZEITSCHRIFTENTIPP Fragen zur Seligsprechung Pius IX.

Oben zitierter Beitrag des Kirchenhistorikers Klaus Schatz SJ ist in der theologischen Zeitschrift "Stimmen der Zeit", Heft 8, August 2000, Seite 507-516 (Verlag Herder, Freiburg), abgedruckt. Informationen zur Zeitschrift: www.jesuiten.org/Stimmen-der-Zeit

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