Die Tragödie der Ausgrenzung

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Neil Shicoff in einem vergessenen Meisterwerk von höchster Aktualität an der Staatsoper: "La Juive" von Fromental Halevy.

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Neil Shicoff in einem vergessenen Meisterwerk von höchster Aktualität an der Staatsoper: "La Juive" von Fromental Halevy.

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Als ob Staatsoperndirektor Ioan Holender die politische Stimmung in Österreich drei Wochen nach den Nationalratswahlen vorausgeahnt hätte: Mit Fromental Halevys "La Juive" hatte letzten Samstag eine Oper von beklemmender Aktualität im Haus am Ring Premiere, eine auch zur Zeit ihrer Uraufführung 1835 hochpolitische Tragödie, die ihre Antriebskraft aus der brutalen Ausgrenzung einer Minderheit bezieht - und das just zu einer Zeit, wo auf Plakaten gegen Ausländer gehetzt wird und Übergriffe gegen jüdische Mitbürger rasant zunehmen. Der unmittelbare Bezug zur Gegenwart, gepaart mit einer musikalisch und szenisch großartigen Realisierung, macht diese Aufführung zur wahrscheinlich bedeutendsten und qualitativ hochwertigsten Staatsopernpremiere seit Jahren. Schließlich ist die Grand Opera "La Juive" ja keine obskure und musikalisch obsolete Rarität, sondern eine wichtige und gewichtige Oper, die nicht umsonst bis in dieses Jahrhundert hinein eine der erfolgreichsten und berühmtesten Vertreterinnen ihrer Gattung war - was Simone Young, die erste Frau am Pult der Staatsoper bei einer Premiere, zusammen mit dem formidablen Staatsopernorchester deutlich zu Gehör bringt.

Die Handlung im Telegrammstil: Konstanz, zu Zeiten des Konzils (1414 bis 1418). Leopold, Sohn des Kaisers hat ein Verhältnis mit Rachel, Tochter des jüdischen Goldschmieds Eleazar. Der verheiratete Fürst stiehlt sich davon, Rachel macht die Beziehung öffentlich. Sie und ihr Vater enden am Scheiterhaufen, Leopold kommt davon. Vor seinem Ende übt Eleazar noch grausame Rache: Er eröffnet Kardinal Brogni, daß es sich bei Rachel um des Priesters leibliche Tochter handelt.

Mit höchster Stimmgewalt und feinster Schauspielkunst sang der überragende Neil Shicoff der Figur des Goldschmieds Eleazar Leben ein. Nach seiner großen Arie im vierten Akt geriet das Publikum zu Recht in Raserei - eine Arie, in der plötzlich auf berührende Weise die Menschlichkeit des verbitterten, bis dahin alttestamentarisch-unnachgiebigen Juden zu Tage tritt. Zwiespältig sind auch die anderen Figuren aus der Feder des großen Librettisten Eugene Scribe: Leopold (Zoran Todorovich, mit Problemen in den Höhen), ein sorgloser Strahlemann mit wenig ausgeprägtem Realitätssinn, dessen Entzauberung umso schmerzlicher ausfällt; Rachel (Soile Isokoski, nur stimmlich ein innig liebendes, junges Mädchen), die wegen einer ihr widerfahrenen Kränkung ihre ganze Familie ins Verderben reißt; und Eudoxie, die mehr aus Staatsraison, denn aus Liebe das Leben ihres Gatten Leopold rettet - eine koloraturreiche, noch dem Spätbelcanto verpflichtete Partie, die Regina Schörg meisterlich bewältigt.

Die deutliche, klare, aber keineswegs platte Regie von Günter Krämer reduziert die Monumentaloper aufs Wesentliche: das höchst differenzierte Beziehungsgeflecht zwischen den Akteuren und den gesellschaftlichen Hintergrund. Oben ist die strahlende Welt der herrschenden Christen, unten die enge, düstere Welt der gerade noch gelittenen Juden, streng voneinander getrennt und erst im tödlichen Finale untrennbar verzahnt (Bühne und Kostüme: Gottfried Pilz und Isabel Glathar). Es sind keine Nazi-Horden, die in Konstanz Jagd auf Minderheiten machen, sondern - noch erschreckender - eine Partie kerniger Buben in Lederhose und fescher Mädels im Dirndl, die perfiderweise musikalisch auch noch sympathisch gezeichnet ist. Und wie im wirklichen Leben werden zwischen unbarmherzigen Tätern und (verständlicherweise) oft nicht minder unbarmherzig reagierenden Opfern die Gemäßigten und Toleranten zerrieben.

In Krämers Inszenierung von "La Juive" ist es der verhältnismäßig vernünftige und gemäßigte Kardinal Brogni (Alastair Miles zeichnet keinen sinistren Großinquisitor, sondern eine zutiefst tragische Figur), der für den Haß seiner Glaubensgenossen bezahlen muß.

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