Die unglaublichen vier von der Baustelle

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Uraufführung von "Die vier Himmelsrichtungen“, dem neuesten Stücks des Autors Roland Schimmelpfennig durch den Regisseur Schimmelpfennig bei den Salzburger Festspielen. Der Autor liebt es, im Banalen Spuren des Bedeutungsvollen durchschimmern zu lassen - und doch kann man sich des Eindrucks der Belanglosigkeit nicht ganz erwehren.

"Die vier Himmelsrichtungen“ von Roland Schimmelpfennig, dem wohl Produktivsten unter den deutschsprachigen Gegenwartsdramatikern, ist ein Luftstück. Luftig leicht, fast beiläufig, mit etwas bemühter Poesie vielleicht, wird darin eine im Grunde einfache Geschichte von vier Personen, zwei Männer und zwei Frauen, erzählt, die der Zufall oder besser das Schicksal zusammengeführt hat. Und möglich ist, dass dies vor allem viel heiße Luft ist. Die Geschichte geht so:

52 Erzählfragmente

Aus dem Norden ist "ein kräftiger Mann“ mit seinem Lkw zu schnell unterwegs und verliert in einer Kurve 400 Kartons voller Luftballons und damit auch gleich die Lust an seiner bisherigen Existenz. Er legt sich eine Waffe zu und lebt von da an von Überfällen. Ein anderer aus dem Süden, nur "ein Mann“ genannt, begründet mit dem Fund ebenfalls ein neues Auskommen: Er wird Clown und modelliert aus der Gummimasse fortan Tiermodelle. Seine Frau mit dem Künstlernamen Madame Oiseau ist aus dem Osten und kann die Zukunft sehen, nur ihre eigene nicht. Sie sieht schon früh voraus, dass ihr Mann etwas finden wird, und dass jemand geht, für immer. Beide Männer sind in die "junge Frau“ verliebt, die Kellnerin mit dem verlockend lockigen Haar. Eine Medusa, bei deren Anblick man(n) bekanntlich zu Stein wird. Bei einer Schlägerei um die Frau verliert der Tiermodellierer das Leben.

So einfach, wie hier die gar nicht alltägliche Geschichte nacherzählt wird, ist sie freilich nicht. Denn erst allmählich, aus insgesamt 52 winzigen, jäh abreißenden Erzählfragmenten, zeitlichen Sprüngen und Wiederholungen, fügen sich die Einzelteile kaleidoskopartig zu einem Ganzen zusammen, verschmelzen zu dem Kriminalfall, in dessen Zentrum der Tod steht.

Bühnenbildner Johannes Schütz hat die Bühne des Salzburger Landestheaters in eine karge Baustellenlandschaft mit sich schmächtig erhebenden Erdhügeln verwandelt, in deren Hintergrund das große Schwarz einer mächtigen Baggerschaufel klafft und in deren Vordergrund ein kleines Podest aufgebaut ist, auf dem die vier Darsteller der Reihe nach ihre Version der Geschichte erzählen, wie auf einem Präsentierteller. Darüber ist quer über die Bühne ein dickes Drahtseil gespannt, das angezupft mit dunklem Timbre vibriert.

Einzeln meist treten die exzellenten Darsteller aus dem Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin hervor und spielen nicht, was sie erlebt haben, sondern erzählen vielmehr in der dritten Person davon, was ihnen widerfahren ist. Kathleen Morgeneyer in rot-weiß-geblümtem Sommerkleidchen spielt das naive Mädchen mit den verführerischen Locken, die nichts als Theaterbehauptung sind, denn sie hat lange glatte Haare, Almut Zilcher die geheimnisvolle Wahrsagerin, Andreas Döhler mit mächtig dröhnender Stimme den Lastwagenfahrer mit krimineller Zukunft und Ulrich Matthes den schmächtigen Clown mit den zwei Zungen.

Wie die Bühne anspielungsreiche Details birgt - Regisseur Schimmelpfennig lässt es auch mal regnen und schneien oder taucht das Geschehen in dichte Nebelschwaden oder lässt am Horizont einen klaren Sternenhimmel aufziehen - ist auch der Text metaphern- und chiffrenreich.

Produktion von heißer Luft

Schimmelpfennig liebt es, im scheinbar Banalen Spuren des Bedeutungsvollen durchschimmern zu lassen, um gleichsam auf mehreren Sinnebenen zu agieren. Hier legt er bildungshuberisch Fährten zur griechischen Mythologie oder zur Tiefenpsychologie, die dem Text eine Rätselhaftigkeit und Mehrdeutigkeit verleihen, ihn aber nicht unbedingt bedeutender machen. Was die Figuren erzählen, ist trotz der Schicksalsschläge oft amüsant, aber auch etwas belanglos - irgendwie werden sie nicht so richtig fassbar. Dass das Leben durch Abschiede, Aufbrüche, Liebe und Tod bestimmt ist, ist gerade im Theater wahrlich keine neue Erkenntnis. Für einmal sei hier die Vermutung erlaubt, der Autor Schimmelpfennig produziere hier vor allem heiße Luft und der Regisseur tue es ihm gleich.

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