Die Universität Wien im Schatten des Antisemitismus

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Hinter der Universität Wien steckt eine blutige Geschichte des Antisemitismus, die weit ins 19. Jahrhundert reicht. Ein neuer Sammelband soll diese finsteren Kapitel aufarbeiten.

"Solange es möglich ist, dass unter acht neu ernannten Professoren sieben Juden sind, bedarf es noch eines schweren Kampfes bis wir es dahin bringen, dass unter acht ernannten Professoren sieben Christen sind.“ So rief der Wiener christlichsoziale Bürgermeister Karl Lueger bei einer Rede auf dem Katholikentag 1907 dazu auf, "wieder die alte christliche Weltanschauung an die Stelle jener zu setzen, welche eigentlich gar keine Weltanschauung ist“, in der Hoffnung, "dass wir auch jene Universitäten zurückerobern, die unsere Kirche eigentlich gegründet hat.“ Er schloss seine Rede mit den Worten "Herrgott, steh’ nur den Juden nicht bei, wir wollen mit ihnen schon fertig werden!“ Lueger hatte rasch erkannt, dass seine antisemitische Polemik mehr Wirkung zeigte als eine Kritik der deutschnationalen Kräfte an der Universität Wien.

Trotzdem lautete die Universtitäts-Adresse bis vor knapp einem Jahr "Dr.-Karl-Lueger-Ring“. Die Umbenennung in "Universitätsring 1“ im vergangenen Mai war Anlass für den Sammelband "Der lange Schatten des Antisemitismus“: Das Ergebnis einer gleichnamigen Tagung setzt sich kritisch mit dem unrühmlichen Kapitel der Uni Wien im 19. und 20. Jahrhundert auseinander. Zwölf Beiträge nähern sich aus historischer und fachwissenschaftlicher Sicht dem Thema - und skizzieren, was jüdische Identität um 1900, nach 1918, nach 1938 und nach 1945 bedeutete.

Rektor Heinz W. Engl mahnt, dass sich jede Disziplin selbstkritisch mit ihrer Forschung und Lehre während der NS-Zeit auseinandersetzen müsse. Der Mathematiker verweist auf die Schicksale jüdischer Fachkollegen in Wien, die vertrieben und teils ermordet wurden. Als Beispiel nennt er Olga Taussky-Todd, eine der bedeutendsten Mathematikerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie emigrierte schon vor dem Anschluss in die USA. "Taussky-Todd konnte Österreich rechtzeitig verlassen. Aber für die Universität Wien war das natürlich ein großer Verlust. Vielleicht wäre sie die erste Mathematikprofessorin geworden, auf die wir bis vor zwei Jahren warten mussten“, betont Engl.

Gewalt zwischen Studentenverbindungen

Schon seit 1875 kam es zu den ersten dokumentierten "Juden hinaus!“-Rufen in Vorlesungen, betont der Zeithistoriker Oliver Rathkolb. Mit der steigenden Zahl jüdischer Studenten verschärfte sich der Konflikt mit den deutschnationalen, aber auch mit katholischen Studentenverbindungen. Bei Machtdemonstrationen am Campus wie dem Farben- und Waffentragen kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen antisemitischen und jüdischen Studentenverbindungen. Als eine Ursache für diesen aggressiven Antisemitismus betrachtet Rathkolb die "pro-deutschnationale bis konfliktscheue“ Linie der Universitätsleitung.

Neid und Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den ehrgeizigen und bildungshungrigen Juden sieht der deutsche Historiker Götz Aly als eine wichtige Ursache für den österreichischen Antisemitismus. Dieser populäre Neid- und Sozialantisemitismus richtete sich ganz konkret gegen Mitschüler, Kommilitonen, Kollegen oder Vereinskameraden an den Unis, so Aly.

Schon lange vor der NS-Zeit verlagerte sich das Zentrum der Forschungen in Richtung USA, wie der Wiener Geschichtsprofessor Mitchell Ash herausfand. Mit Beginn des Sommersemesters 1938 war die sogenannte "Säuberung“ an der Uni Wien längst abgeschlossen: Alleine an der Philosophischen Fakultät zählten 14 von 45 Ordinarien, 11 von 22 außerordentlichen Professoren, 13 von 32 emeritierten Professoren und 56 von 159 Privatdozenten als "Abgänge“.

Noch weitgehend unerforscht ist der Wissenschaftsalltag jüdischer Lehrender an der Uni Wien: Wie kamen sie in der Monarchie, in der zunehmend judenfeindlichen Atmosphäre der Ersten Republik und in der Nachkriegszeit mit der Kollegenschaft zurecht? Noch fehlen Studien zu ihrer ambivalenten Situation nach 1945 und zu den Kontinuitäten und Brüchen nach der Öffnung der Unis Mitte der 1970er Jahre. Heute kann man die jüdischen Forscher im Rang von Universitätsprofessoren an der Uni Wien an einer Hand abzählen.

Kreatives Potenzial der Jahrhundertwende

Wie befruchtend aber der intellektuelle und künstlerische Austausch zwischen Juden und Christen im Wien des 19. Jahrhunderts noch war, betont der aus Wien stammende Medizin-Nobelpreisträger Eric Kandel: "Diese produktive Interaktion zwischen Wissenschaft und Kunst hat zur Entstehung der Moderne um 1900 geführt“, meint Kandel. Der Gedächtnisforscher hatte sich für die Umbenennung des einstigen "Dr.-Karl-Lueger-Ringes“ eingesetzt. Als Neunjähriger erlebte Kandel die Novemberprogrome in Wien - 1939 gelang seiner Familie die Flucht in die USA: "Ich habe die Brutalitäten im damaligen Wien am eigenen Leib erfahren. In der Schule sprach kein Kind mehr mit mir, dem Juden“, sagt er. Anfang der 1970er Jahre kehrte Kandel erstmals wieder in seine alte Heimat zurück: "Als ich damals am Physiologischen Institut zum Ehrenmitglied ernannt wurde, hat kein Mensch mit einem Satz erwähnt, dass ich Jude bin und fliehen musste. Erst jetzt kommt es zu einer Anerkennung der Fakten und zu Zugeständnissen den Opfern gegenüber“, ist der 83-jährige froh, und meint, dass "Wien für junge Juden wieder interessant werden könnte.“

Doch wie sieht es mit dem Antisemitismus in der Gegenwart aus? "Es braucht dringend den Mut, einzugestehen, dass Antisemitismus hierzulande nach wie vor ein Problem ist“, meint Andreas Stadler, Rektor des österreichischen Kulturforums in New York. Der Wahl-Amerikaner sieht den Antisemitismus in Europa als Teil des größeren Komplexes Fremdenfeindlichkeit, der durch die Globalisierung angefacht werde. Gleichzeitig erkennt der Diplomat und Kurator an, dass heimische Historiker die NS-Zeit unermüdlich beforschen. Stadler betont auch die Anstrengungen des katholischen Antifaschismus durch die Christlichsozialen und den Widerstand der Sozialisten, Kommunisten und Partisanen.

Seit einigen Jahren versucht die Uni Wien mit Projekten wie dem "Forum Zeitgeschichte“ die eigene NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Ergebnisse sind bereits sichtbar: Noch vor wenigen Jahren prangte in der Aula der strittige "Siegfriedskopf“, der die Nibelungen-Sage und die "Dolchstoßlegende“ symbolisiert. Seit seiner Errichtung 1923 durch die antisemitische "Deutsche Studentenschaft“ missbrauchten rechte Studenten die Statue als Erinnerungsort. 2006 ließ die Universitätsleitung den Kopf in den Arkadenhof versetzen und mit den nötigen historischen Informationen versehen. Langsam aber sicher lüftet sich der Schleier der Sprachlosigkeit, der jahrzehntelang über diesem düsteren Kapitel der Universität lag.

Der lange Schatten des Antisemitsmus.

Kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert, Oliver Rathkolb (Hg.), V&R unipress 2013. 320 Seiten, geb., e 56,60

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