Die Ursprungskraft ist verloren gegangen

Werbung
Werbung
Werbung

Seinen Theatertexten wird eine fast schon provokative Unspielbarkeit nachgesagt, mit einer Ausnahme: "Quartett“. Die dramatische Essenz aus dem Roman "Gefährliche Liebschaften“ von Pierre Ambroise François Choderlos de Laclos ist Heiner Müllers meistgespieltes Werk. Nach der Uraufführung im Jahr 1982 in Bochum wird das Stück des ostdeutschen Theatermachers, dessen gesellschaftskritische Arbeiten ihm in der DDR immer wieder Aufführungsverbote einbrachten, zum Dauerbrenner. Hans Neuenfels, der nach sieben Jahren Opernregie in der Josefstadt sein erneutes Theaterdebüt gibt und hier erstmals inszeniert, war ein langjähriger Weggefährte und Freund Müllers. Den Geschlechterkampf tragen Helmuth Lohner und Elisabeth Trissenaar als gealtertes Liebespärchen Valmont und Merteuil mit geschliffenen Dialogen um Macht, Sex und Gewalt aus. In der Inszenierung von Neuenfels, dem Altmeister des deutschen Theaters mit Faible für herzhafte Beziehungsdramen, wird Müllers albtraumhaftes Wortgefecht aber zur langatmigen Plauderstunde herabgestuft.

Laclos Briefroman sorgte Ende des 18. Jahrhunderts für Aufsehen und einen Sensationserfolg. Das perfide Spiel zweier gelangweilter Adeliger um Verführung und Manipulation ist ein Sittengemälde des ausgehenden Ancien Régime und Vorbote der Revolution. Müller stellt seiner Weiterschreibung zwei Zeit- und Ortsangaben voran: Salon vor der Französischen Revolution, Bunker nach dem dritten Weltkrieg.

Fortwährender Rollentausch

Neuenfels versetzt die beiden Protagonisten in ein schickes aber zeitloses Verlies mit zwei Liegen und einem schwarzen Baldachin (Bühne: Reinhard von der Thannen) aus dem Lohner mit Ledermantel und überlangem Silberhaar hervortritt, seine "Seelenfreundin“ Trissenaar ist da bereits auf der Bühne. Im samtigen Hosenanzug tigert die Gattin des Regisseurs durch den schwarzen Salon. Die Verführungskünste des ehemaligen Verbrecherpaars sind längst dahin, der Wunsch nach "ein wenig Jugend im Bett, wenn schon der Spiegel sie nicht hergibt“ bleibt unerfüllt, stattdessen vertreiben sich die beiden mit bizarren Rollenspielchen die Zeit. Zwei spielen vier, lautet das Konzept von "Quartett“, ein fortwährender Geschlechter- und Rollentausch. Bei Neuenfels wird daraus ein Spiel im Spiel, unklar bleibt, ob hier die Verbrechen von einst noch einmal nachgestellt werden oder neue Verführungen erprobt werden sollen. Merteuil spielt Valmont, Valmont spielt Merteuil und dazwischen wirft sich Lohner klimpernde Kettchen um den Hals, schlüpft in ein glitzerndes Kleid und tauscht immer wieder seine Rollen, gibt einmal die tugendhafte Ehefrau Madame de Tourvel oder die schüchterne Jungfrau Volange. Trissaneer ist seine Stichwortgeberin, gehetzt läuft sie auf der Bühne auf und ab. Das intime Kammerspiel zweier alternder Bühnenstars gerät immer wieder ins Stocken, lange Pausen zwischen den Dialogen, sinnentleerte Yogaübungen am Boden und ein übertriebener Tonfall machen die Brutalität und Komik der Dramenvorlage zunichte.

In seiner Autobiografie weist Müller darauf hin, dass die Inspiration zum Stück weniger von Laclos Roman, den er nie zu Ende gelesen hat, ausging, als vielmehr durch Heinrich Manns Vorwort zur deutschen Übersetzung aus dem Jahr 1905 angeregt wurde. Mann spricht darin von einer "Feindschaft von Mensch zu Mensch“. "Quartett“ thematisiert also nicht nur den Krieg der Geschlechter, sondern Gewalt und Terrorismus einer Gesellschaft in Zeiten des Umbruchs. In seinen Notizen zur Entstehungsgeschichte des Dramas bringt Müller aber auch die außereheliche Liaison seiner damaligen Ehefrau zur Sprache.

Bei dieser Josefstadt-Premiere ist weder etwas von der politischen noch der persönlichen Ursprungskraft des Stücks zu bemerken. Die pikant derben Dialoge verpuffen in der gefälligen Inszenierung zum flachen Geplänkel. Am Ende wird Gift geschluckt, Blut gespuckt und synchron gestorben. "Mich langweilt die Bestialität unserer Konversation“ heißt es an einer Stelle im Stück, einige haben da bereits den Theatersaal verlassen.

Quartett - Theater in der Josefstadt

17.-19. Februar, 5.-7., 10.-12., 26.-29. März

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung