Die US-Überwachung und wir

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Snowden hat den Vorhang unserer Illusionen vom freien Internet und der Unantastbarkeit der Intimsphäre gnadenlos weggezogen. Jetzt wissen wir: Milliardenfach wird gelauscht.

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Snowden hat den Vorhang unserer Illusionen vom freien Internet und der Unantastbarkeit der Intimsphäre gnadenlos weggezogen. Jetzt wissen wir: Milliardenfach wird gelauscht.

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Kennen Sie den: Ein NSA-Agent referiert in Wien über die US-Abhöraffäre. "Alles maßlos übertrieben", sagt er, und: "Wir arbeiten im Interesse des freien Westens." Ein junger Zuhörer meldet sich zu Wort: "Mag schon stimmen", sagt er, "aber mein Vater ist überzeugt, dass die US-Überwachung noch schlimmer ist, als wir bisher wissen." Da flüstert der NSA-Mann dem jungen Wiener ins Ohr: "Aber das ist ja gar nicht ihr Vater "

Genau ein Jahr ist vergangen, seit Edward Snowden im Februar 2013 rund 1,7 Millionen Daten auf einen USB-Stick gespeichert und den Journalisten Glenn Greenwald kontaktiert hat. Es war der Start in den größten Spionageskandal der Geschichte - so wahnwitzig global, dass uns die Verlockung einer Fiction-Saga ständig begleitet!

Snowden hat den Vorhang unserer Illusionen vom freien Internet und der Unantastbarkeit der Intimsphäre gnadenlos weggezogen. Jetzt wissen wir: Milliardenfach wird gelauscht, gesammelt, gespeichert und gesiebt. Wir leben im Cyberkrieg - freilich mit unterschiedlichsten digitalen Waffen-Generationen.

Ein Jahr nach der Stunde Null ist der "Fall Snowden" noch ebenso undurchsichtig wie die Welt seiner Enthüllungen. Warum hat er diesen Schritt gewagt: aus Gewissensnot, Tollkühnheit, Naivität - oder allem zusammen? Wie hat er das Überwachungsmonster NSA überlistet: allein? Mit Komplizen? Wer hat Regie geführt, als er ausgerechnet in Moskau gestrandet ist? Und warum ist Europa so zerrissen zwischen seiner Kandidatur für den Nobelpreis und der Entschlossenheit, ihm kein Asyl zu gewähren?

Barack Obama hat inzwischen klar gemacht: Es gibt keine Entschuldigung für Amerikas Abhörwahn und keine "Abrüstung", höchstens kleine Einschränkungen. Was technisch möglich ist, wird auch künftig genützt.

Seltsames österreichisches Schweigen

Die EU hat darauf außer (auch geheuchelter) Empörung noch keine Antwort gefunden. Und wir Österreicher, lange Zeit der große Umschlagplatz für Ost-West-Spione? Ein seltsames Schweigen liegt über dem Land und macht sich bestenfalls in Witzen (siehe oben) Luft.

Mutig zuletzt nur unser VfGH-Präsident Gerhart Holzinger: "Wie soll man die Menschenrechtssituation in China kritisieren oder die Maßnahmen der türkischen Regierung bei der Einschränkung der Internetnutzung, wenn in den USA Grundrechte in solchem Ausmaß missachtet werden?" Holzinger spricht von "grauenhafter Beispielswirkung".

Irgendwann wird auch unsere Schrebergarten-Politik eine erkennbare Haltung beziehen müssen: weiterhin vertrauliche Partnerschaft mit den USA, aus militärischer und digitaler Ohnmacht? Hörbarer Einsatz für die letzten unverzagten Datenschützer? Couragierter Motivator einer EU-weiten Haltung? Oder zumindest Schauplatz ernster globaler Dialoge über "Freiheit im 21. Jahrhundert"?

Nur völliges Totstellen wie bisher, bei wachsendem Antiamerikanismus im Land, das ist auf Dauer zu wenig.

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