Die Vampirin mit Tschador

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Nachts zieht ein in einen Tschador gehüllter weiblicher Vampir (Sheila Vand) durch die triste, am Rand eines Ölfelds gelegene iranische Geisterstadt Bad City. Emotionslos saugt sie Nachtgestalten wie einem Dealer, einem Obdachlosen oder einer Prostituierten das Blut aus, während sie einen kleinen Jungen eindringlich auffordert, stets brav zu sein.

Bewegung kommt aber in den Alltag dieses namenlosen Racheengels, der tagsüber das Leben einer westlich gekleideten modernen jungen Frau führt, als sie auf einer Maskenparty den als Dracula verkleideten Arash (Arash Marandi) kennenlernt und sich eine Liebesgeschichte entwickelt.

Die Handlung mag dünn sein und etwas unsicher von einer Szene zur nächsten holpern, aber wichtiger als der Inhalt ist Ana Lily Amirpour ganz offensichtlich die Form. Intensiv evoziert die Debütantin mit Schwarzweiß und Cinemascope eine poetisch-melancholische Stimmung der Einsamkeit und Verlorenheit. Lustvoll spielt sie mit Zeitraffer und Zeitlupe, weckt Erinnerungen an die frühen Filme von Jim Jarmusch, aber natürlich auch an dessen Vampirfilm "Only Lovers Left Alive", und steigert die Stimmung noch durch einen hypnotischen, zwischen melancholischer persischer Ballade, alten Hits und Technoklängen wechselnden Soundtrack.

Ein atmosphärisches Filmgedicht

Die Lust am Eklektizismus und Zitat zeigt sich aber auch in der Art, wie die Figuren in Szene gesetzt werden. Denn der Vampirin verpasst Amirpour tagsüber eine Frisur und einen Pullover, der unwillkürlich an Jean Seberg in Godards "Außer Atem" erinnert, und Arash wirkt mit Frisur, T-Shirt und schwarzen Jeans wie der wiedergeborene James Dean. Nicht zu übersehen ist aber, dass die Figurenzeichnung an sich dabei zu kurz kommt, die Protagonisten dem Zuschauer fremd bleiben.

Andererseits entwickelt "A Girl Walks Home " großen Reiz durch den Kontrast von westlichen Kinomythen und iranischem Kontext. Dieser ergibt sich auch dadurch, dass zwar in der trostlosen kalifornischen Ölstadt Taft gedreht wurde, aber im Film, dessen Team zu einem großen Teil aus Exiliranern bestand, nur Farsi gesprochen wird.

Wie unter einem Brennglas gebündelt wird dieses Spannungsfeld in einer absolut originären und unvergesslichen Szene, in der Amirpour die Vampirin mit Tschador auf einem Skateboard durch die nächtlichen Straßen der Kleinstadt surfen lässt. - Ob man darin freilich auch einen Kommentar zur Rolle der Frau in islamischen Staaten sehen will, wird dem Zuschauer überlassen, denn solche Interpretationen lässt dieser stylische Mitternachtsfilm zwar zu, forciert sie aber nicht.

A Girl Walks Home Alone at Night USA 2014. Regie: Ana Lily Amirpour. Mit Sheila Vand, Arash Marandi, Marshall Manesh, Mozhan Marnò, Dominic Rains. Thimfilm. 99 Min.

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