Die Vergeblichkeit des Staubkehrens

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David Bösch inszeniert am Akademietheater stilsicher Ibsens "Gespenster“ und zeigt auf beklemmende Weise die Unentrinnbarkeit der Vergangenheit.

Der glücklicherweise öfters in Wien inszenierende 34 Jahre junge Regisseur David Bösch ist ein große Stilist, und er liebt die Buchstäblichkeit. Nach einem großartigen "Adam Geist“, einem fulminanten "Stallerhof“ und einer etwas umstritteneren, aber durchwegs interessant gedachten Inszenierung von Shakespeares "Romeo und Julia“ stellt er in seiner jüngsten Klassiker-Interpretation in Wien erneut unter Beweis, wie er mit wenigen Gesten und präzisen Einfällen einem Stück Evidenz einzuhauchen vermag.

Im Schatten des Patriarchen

Er hat Henrik Ibsens 1881 geschriebene "Gespenster“ - zu seiner Zeit ein Skandalstück, heute aber ein recht schwierig zu inszenierendes Drama ohne zeitgemäßen Konflikt - weitgehend von den Themen Ehebruch, Alkoholismus, Betrug, Inzest, Kirchenkritik befreit und sich stattdessen ganz auf die Frage nach dem Zusammenleben der Generationen und der Möglichkeit eines gelingenden Lebens unter der Last der Vergangenheit konzentriert.

Im Hintergrund der von Patrick Bannwart gestalteten Bühne des Wiener Akademietheaters prangt überlebensgroß das monumentale Porträt eines Mannes. Noch ist die Fassade des gesellschaftlich hoch angesehenen Kammerherrn Alving ohne Makel. Mit leeren, kalten Augen scheint er herrisch auf das Geschehen herunter zu blicken, das noch ganz in seinem Banne steht. Zehn Jahre ist er schon tot, doch der Schatten seines in Wahrheit liederlichen Lebenswandels reicht noch weit in das Leben der Hinterbliebenen hinein. Da nützt es auch wenig, den düstergrauen Raum mit den mit weißen Laken zugedeckten, ohne sichtbare Ordnung zusammengestellten Möbeln von Staub und Spinnweben säubern zu wollen. Dennoch lässt Bösch das Dienstmädchen Regine (Liliane Amuat) - wie die Alten vor Jahren die Tatsachen - den Staub einfach unter die Möbel kehren. Aber die Wiederkehr des Vergangenen lässt sich nicht verhindern, das Gespenst der Vergangenheit sich so nicht dauerhaft verdrängen.

Das Schälen der Zwiebel

Am Vorabend des zehnten Todestages überstürzen sich die Ereignisse. Der vermeintlich ideale Gatte und vorbildliche Vater, dessen ehrendes Andenken seine reiche Witwe bislang zu pflegen suchte, wird auf einmal als Betrüger, Ehebrecher, Vergewaltiger enttarnt. Als nämlich der von Helene Alving (Kirsten Dene) schon zu Zeiten vor dem Zugriff des gewalttätigen Ehegatten in Sicherheit verschickte Sohnemann und Maler (Markus Meyer) aus Paris ins elterliche Heim zurückkehrt und sich in fiebriger Leidenschaft in das Dienstmädchen verliebt, sieht sie sich zum Handeln gezwungen. Wie beim Schälen einer Zwiebel wird das bislang so sorgsam Verborgene langsam enthüllt, bis am Ende nichts mehr von den damaligen Lebensentwürfen übrigbleibt.

Denn der syphilitische Gatte mit der ungezügelten Lebensfreude hat dem Sohn Osvald nicht nur die ihn bald dahinraffende Krankheit hinterlassen, sondern er ist auch der Vater von Regine, womit er ihm die einzige Stütze und das einzige Glück seines kurzen siechenden Lebens nimmt. Auch Regines Hoffnung nach einem Leben in der besseren Gesellschaft wird damit ein jähes Ende gesetzt. Und weil auch der moralisch untadelige Pastor (Martin Schwab) sich ihren eindeutigen Einladungen mehr aus Pflichtgefühl denn aus wirklicher Abneigung erwehrt, bleibt ihr wohl nur das Schicksal als Prostituierte im Seemannsheim ihres dauerbesoffenen Ziehvaters Engstrand, den Johannes Krisch als Bösewicht Dickens’scher Eindeutigkeit spielt.

Am Ende dieses atmosphärisch dichten Abends zeigt Bösch als Projektion Zeichnungen aus den Kindertagen Osvalds. Da sieht man den Jungen mit den Eltern in ein Schiff steigen und davonfahren, weg von der Küste, aufs offene Meer. Bis das immer gleiche Bild wiederkehrt, als wäre er nicht weggekommen, nirgendwo angekommen, nicht entkommen.

Weitere Termine:

18., 22., 26. März, 2., 12. April

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