Die Vermessung Des Humboldt

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Vor 150 Jahren starb Alexander von Humboldt. eine "Humboldt-Industrie" beliefert Aus diesem Anlass den Markt mit ihren erzeugnissen.

In Mittelamerika, das er von 1799 bis 1804 bereiste, kennt ihn noch heute jedes Schulkind. In unseren Breiten erfreut er sich seit Daniel Kehlmanns satirischem Roman "Die Vermessung der Welt", der den berühmten Reisenden als schrulliges Genie porträtierte, wieder größerer Aufmerksamkeit: Alexander von Humboldt, Aufklärer, Forscher und Schriftsteller, geboren 1769 zu Berlin und gestorben im Alter von fast 90 Jahren am 6. Mai 1859 ebenda.

Als Humboldt starb, war er bereits eine Legende. "Ich ging nach Berlin", berichtet Bayard Taylor, ein Nordamerikaner, der Humboldt wenige Jahre vor dessen Tod besuchte, "nicht um seine Museen und Galerien … zu sehen noch um mich an dem munteren Treiben seiner Straßen und Salons zu erfreuen, sondern um den größten jetzt lebenden Mann der Welt zu sprechen - Alexander von Humboldt."

Humboldt machte auf Taylor den Eindruck eines hellwachen, gut informierten und tätigen, ja rastlosen Mannes. Bis wenige Wochen vor seinem Tod beantwortete er pflichtbewusst Briefe, immerhin gut 2000 pro Jahr, und schrieb an seinem Alterswerk "Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung". Er wollte damit nicht weniger erreichen, als "die ganze materielle Welt, alles was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geografie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in einem Werke darzustellen, und in einem Werke, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüt ergötzt". Damit sind zwei Linien genannt, die sich durch Humboldts gesamtes Wirken ziehen: der Ehrgeiz, das Ganze der Naturerscheinungen zu erfassen, sowie die Lust, die die lebendige Natur ihrem kundigen Betrachter verschafft und die Humboldt stets seinem Publikum zu vermitteln suchte.

Bestseller Kosmos

Der fünfbändige, nie abgeschlossene "Kosmos" wurde zum Bestseller, der sich 87.000-mal verkaufte und vor wenigen Jahren in Eichborns "Anderer Bibliothek" neu aufgelegt wurde. "Deutschland", hieß es im Vorwort zu dieser Neuausgabe, "hat der Welt viel zu bieten, aber es fehlt ihm an großen Namen. Goethe wird zwar überall respektiert, aber kaum jemand kennt ihn. Wahrscheinlich ist Alexander von Humboldt der einzige Deutsche, dessen Ruhm heute bis in die USA, nach Lateinamerika und Russland, Frankreich, Japan reicht." Und: "Dem 21. Jahrhundert, dessen wichtigste Ressource das Wissen sein wird, kann er in mehr als einer Hinsicht als Vorbild dienen." Humboldt, den Aufklärer und Kosmopolit, Anhänger der Französischen Revolution und Gegner der Sklaverei, den Wissenschaftler von internationalem Renommee, den Vordenker der Ökologie und der interdisziplinären Forschung wieder populär zu machen und so die deutschsprachige Provinz an die globalisierte Welt anzuschließen - das war offenbar die Absicht hinter dem Humboldt-Projekt.

Ob diese Absicht erreicht und Humboldt fünf Jahre nach dem Start des Projektes der "Anderen Bibliothek" einem größeren Publikum als klassischer Autor bekannt ist und nicht nur als kauzige Romanfigur, lässt sich schwer ermessen; fest steht aber, dass die verlegerische Tat Schule gemacht hat. Aus Anlass seines 150. Todestages präsentiert eine ganze Humboldt-Industrie ihre Erzeugnisse, wobei Studien über Humboldt den geringeren Teil ausmachen und Neuausgaben seiner Schriften weiterhin das Programm bestimmen. Und das ist zunächst auch gut so, denn wenn man ein Buch wie "Alexander von Humboldt und die Globalisierung" des umtriebigen Romanisten Ottmar Ette in die Hand nimmt, dann möchte man es sofort gegen Humboldts eigene Prosa eintauschen. Ette findet dort die Bausteine für eine "Weltwissenschaft" des 21. Jahrhunderts, die er jedoch umformt in den Jargon der Bildungspolitik unserer Tage. Transdisziplinarität, Interkulturalität und andere bis zum Überdruss gehörte Wörter klingeln durch den Text, begleitet von Ungetümen wie "transareale Kosmopolitik" und "fraktale Konstruktionsformen von Wissen".

Humboldt dagegen bemühte sich immer um Anschaulichkeit. Darum ließ er sich die Illustration seiner Bücher, insbesondere seines 34-bändigen mittelamerikanischen Reisewerks, viel Geld kosten - zu viel Geld, denn die Publikation verschlang sein nicht unbeträchtliches ererbtes Vermögen, das ihm erst die Reise nach Mittelamerika und die Existenz als Privatgelehrter ermöglicht hatte.

Die Sorgfalt und Ausstattung, mit denen Humboldt seine Werke bedachte, empfehlen sie für bibliophile Neuausgaben, wie sie heuer mit "Die Entdeckung der Neuen Welt" und "Zentral-Asien" auf den Markt gelangen, beides prächtige Bücher, die aufgrund ihres Preises aber nur einen kleinen Käuferkreis ansprechen dürften. Das erste zeigt Humboldt als Historiker, der die Entwicklung der geografischen Kenntnisse von Amerika einer kritischen Untersuchung unterzieht. Das zweite gibt den Bericht von Humboldts zweiter großer Reise wieder, nach Russland und Sibirien im Jahr 1829.

"Alexander von Humboldt. Das große Lesebuch" bietet einen Querschnitt durch Humboldts literarisches Schaffen. Texte wie der über "Jagd und Kampf der electrischen Aale mit Pferden", die Humboldt in Venezuela beobachtet hatte, oder "Ueber die Urvölker von Amerika" fesseln wegen ihrer lebendigen Darstellung und luziden Gedankenführung noch heute. Andere zeigen den begnadeten Briefschreiber und dessen bestrickenden Charme, der - neben großem Talent und Fleiß - Humboldts Karriere nicht wenig befördert haben dürfte.

Bestrickender Charme

Wie gewandt der Preuße im Umgang mit Menschen gewesen sein muss, zeigen auch einige Details, die der altgediente Humboldt-Forscher Hanno Beck in seiner neu aufgelegten, im Stil jedoch antiquierten Dokumentation über die Amerikanische Reise mitteilt: etwa, dass Humboldt die Zeitungen in Europa regelmäßig mit Nachrichten versorgte, um im Gespräch zu bleiben. Oder wie er den Doyen der amerikanischen Botanik, José Bruno Mutis, schon im Vorfeld seines Besuchs in Bogotá mit öffentlichkeitswirksamen Huldigungen überhäufte: "Mein Vorgehen glückte; alle, die wir auf dem Gebirgsritte trafen, versicherten, der alte Mutis laufe wie toll durch die Straßen, um den hohen Besuch zu verkünden und Anstalten zum Empfang zu treffen; er sei geradezu verjüngt."

Solche Blicke hinter die Kulissen sind in den neuen Ausgaben selten. Sie begnügen sich damit, Humboldts literarisches Schaffen zu feiern, das zweifellos beeindruckt, in vielem aber auch zeitgebunden war. Die betuliche Innerlichkeit, die Humboldt mit der Weimarer Klassik teilte, die sich häufenden Topoi affektierter Bescheidenheit, die umständlichen Vorreden strengen mit längerer Lektüre an, zumal wenn man ihn mit anderen Autoren seiner Zeit vergleicht, mit Charles Darwin etwa, der Humboldt verehrte und in "Die Fahrt der Beagle" dessen Spuren folgte, dabei aber einen nüchternen, moderneren Duktus pflegte - mal abgesehen davon, dass Darwins Werk um einiges folgenreicher war. Hinzu kommt, dass manche jetzt wieder veröffentlichte Arbeit Humboldts, wie der frühe Aufsatz "Über die gereizte Muskelfaser", dem Laien heute wenig sagen; andere, wie der Wälzer über Zentral-Asien, sind wegen ihres Umfangs kaum genießbar. Das wirft die Frage nach dem Sinn solcher Editionen in Publikumsverlagen auf. Geht es darum, einen vergessenen Autor heimzuholen? Oder wird hier der Kult eines Klassikers gestiftet?

Wohltuend wirken da einige Bemerkungen H. Walter Lacks in dem opulent bebilderten Buch "Alexander von Humboldt und die botanische Erforschung Amerikas." Das hinreißende Buch beleuchtet in einer klugen Einleitung einen weniger beachteten Aspekt im Kosmos der Humboldtschen Forschungen. Lack erinnert daran, dass die Expedition Humboldts und seines Mitarbeiters Aimé Bonpland nicht die erste war, die sich mit der Pflanzenwelt Amerikas befasste, dass sie auch nicht mit den Weltumsegelungen Cooks, Bougainvilles und anderer zu vergleichen war und dass Humboldt und Bonpland nur an wenigen Orten wirklich Terra incognita betraten, zum Beispiel als sie in Ecuador den Chimborazo bestiegen. Aber: "Man wird ihre als die wichtigste derartige Unternehmung betrachten können, die von Preußen ausgegangen ist."

Die Brüder Humboldt

Preußen steht auch im Fokus von Manfred Geiers Doppelbiografie "Die Brüder Humboldt", die das Leben Alexanders zu dem seines zwei Jahre älteren Bruders Wilhelm in Beziehung setzt, des Sprachforschers, Diplomaten und Bildungsreformers. Die beiden Männer, obwohl sehr verschieden von Charakter, standen lebenslang in enger Beziehung. Geier legt den Schwerpunkt auf die frühen, prägenden Jahre im vaterlosen Elternhaus, unter der Zucht des strengen Hauslehrers Kunth, der die Brüder in die Zirkel der Berliner Aufklärung einführte. Hier begann Alexander das gigantische Netzwerk zu knüpfen, das eine der Voraussetzungen seines Erfolges war. Geiers Biografie ragt heraus, weil sie Humboldts Person und Werk in seinen historischen Bedingungen und in seinem Kontext darstellt.

Dies gelingt, zu guter Letzt, auch Frank Holl in "Alexander von Humboldt. Mein vielbewegtes Leben", das Texte Humboldts mit Erläuterungen und Abbildungen verbindet. Dem eingefleischten Humboldt-Fan wird dieser Band zwar nicht viel Neues bieten, aber dafür führt er auf anschauliche Weise an Alexander von Humboldt heran und erfüllt damit den Zweck, den das Humboldt-Projekt sich auf die Fahnen geschrieben hatte. Hier findet sich auch der eingangs zitierte hübsche Bericht Bayard Taylors: "Sie sind viel gereist und haben viele Ruinen gesehen", sagte Humboldt beim Abschied zu dem Amerikaner: "Jetzt haben Sie eine mehr gesehen." - "Keine Ruine", antwortete der unwillkürlich, "sondern eine Pyramide."

Christian Jostmann, Historiker, Journalist und Buchautor. 2007 erschien bei C. H. Beck "Nach Rom zu Fuß. Geschichte einer Pilgerreise."

Alexander von Humboldt und die botanische Erforschung Amerikas

Von Hans Walter Lack

Prestel 2009

288 S., 150 farb. Abb., geb., e 152,-

Alle Abbildungen auf den Seiten 6-9 aus diesem Buch.

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