Die verpassten Chancen

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Alles spricht dafür, Österreich für Zuwanderung zu öffnen: Prinzipien, Werte, Geschichte, Zahlen und Prognosen. Kaum etwas rechtfertigt es, die Rot-Weiß-Rot-Card dem Interessenausgleich der Sozialpartner zu überlassen.

Der Bundespräsident ist ein nobler Mensch, befleißigt sich jedenfalls einer noblen Ausdrucksweise. Anlässlich der Eröffnung der Bregenzer Festspiele sagte Heinz Fischer, der Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen falle uns offenbar „ganz und gar nicht leicht“. Das ist wahrlich vornehm ausgedrückt, in der Sache jedoch frühestens die zweite Wahrheit. Die erste hätte wohl zu lauten, dass uns in der von Xenophobie und aggressiver Ängstlichkeit geprägten Zuwanderungsdebatte der Umgang mit Einsichten und Tatsachen nicht leicht fällt. Dass wir uns historischen Fakten, Zahlen und der Realität verweigern.

Das ist die Ursache dafür, dass offenbar zu vielen der Umgang mit Menschen anderer Kulturen so schwer fällt. Diesen Ursachen hat sich Österreich zu stellen und die Konsequenzen zu ziehen. Dies nicht zuletzt, um die gegenwärtige Blockade in der Zuwanderungspolitik aufzubrechen, ehe deren Kollateral- und Flurschäden das Bild desaströser Demografie prägen und fernen Generationen nur mehr von ungenutzten Chancen künden.

Nur Offenheit führt zu einer Hochblüte

Einmal mehr stehen das Emotionale und Irrationale der Vernunft, der Einsicht und dem Anstand im Weg. Es wird sich nie vollständig klären lassen, warum der Herr Karl in so vielen Österreichern stets jemanden braucht, zu dem er hinauf-, und einen, auf den er hinunterblicken kann. Es ist dies schon ein vom Grundgedanken der Gleichwertigkeit der Menschen sehr weit entferntes Weltbild, welches stets ein vertrautes Objekt zur Vergötterung und ein als fremd empfundenes zur Verachtung benötigt. Die abgelaufenen Jahrhunderte einer vertikal strukturierten Gesellschaft lassen erst allmählich eine horizontal angelegte der Gleichen entstehen, in der sich dann auch der gänzlich Andere auf Augenhöhe bewegt. Dabei würde uns schon die Geschichte zeigen, dass nur so Zusammenleben gelingen kann.

Menschen wandern. Alle Versuche, homogene, ethnisch, gar rassisch reine Gesellschaften zu schaffen, mündeten in Pogrom und in Völkermord. Alle anderen Versuche hingegen, die Vielfalt in Toleranz und die Gleichwertigkeit trotz Andersartigkeit leben zu lassen, lösten Hochblüten aus. Wirtschaftlich und handwerklich, künstlerisch und kulturell, geistig und politisch. Doch wenn denn schon weder ein christlich-aufgeklärtes Welt- und Menschenbild noch historische Erfahrungen eine zeitgemäße Zuwanderungsdebatte herzustellen vermögen, dann sollen ihr zumindest die Kennziffern der Gegenwart den Weg pflastern.

Ohne Einwanderer schrumpft die Bevölkerung Österreichs. Bis 2075 von rund 8,4 auf 5,7 Millionen Menschen. So ist es. Zudem: Durch die Barrieren für Zuwanderung sind dem Land qualifizierte Arbeitskräfte verloren gegangen. Die kommen nicht mehr zurück. Es wollen auch nicht allzu viele hierher. Für die erlaubte Zuwanderungsquote von rund 8000 Schlüsselarbeitskräften wurden erst 2300 Plätze vergeben. Es wollen, was belegt ist, wenige herkommen, und es wollen nicht alle bleiben. Die Zahl ausländischer Studenten hat sich seit 2005 auf 8500 verdreifacht. Als Absolventen verlassen viele das Land auch, weil sie mehr Hürden als Möglichkeiten vorfinden.

Das wird kein Ticket für eine große Zukunft

Anstatt den großen Wurf zu wagen, der uns den Umgang mit Menschen anderer Kulturen erleichterte, wird die konkrete Formulierung der im Regierungsprogramm vorgesehenen „verantwortungsvollen Zuwanderungspolitik“ den Sozialpartnern überlassen. Die Kleinmütigkeit der Regierung findet in der Engstirnigkeit von Standesvertretern ihre Entsprechung. Die Rot-Weiß-Rot-Card wird so niemals das Ticket zur großen Zukunft willkommener Neulinge in Österreich werden. Ganz im Gegenteil. Sie wird der kleinste gemeinsame Nenner aus dem Bedarf und der Abwehr neuer Arbeitnehmer bleiben. Der Kompromiss über die Kontingente wird verhindern, worum es wirklich ginge: Chancen für Menschen zu schaffen, die dann ohnedies jenem Land nutzen, welches sie gewährt.

* claus.reitan@furche.at

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