Die verschleierte Wirklichkeit

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Die Wiener Albertina widmet dem belgischen Surrealisten René Magritte eine umfassende Retrospektive. Obwohl seine Bilder gegenständlich sind, stellen sie ihre Betrachter vor Rätsel. Magritte selbst verwahrte sich gegen eindeutige Erklärungen.

Es ist ein Klassiker: Der Kunstvermittler steht mit einer Gruppe Leute vor einem ungegenständlichen Bild und hört den Vorwurf, dass man nicht weiß, was das soll, weil kein Detail auch nur entfernt an einen Gegenstand erinnert. Ja, wenn es bloß ein paar Anklänge gebe, würde man in glückliche Gesichter blicken. Nun steht der Kunstvermittler mit der gleichen Gruppe Leute vor einer Reihe von Bildern, die allesamt die Gegenstände so wiedergeben, wie sie auch in der Natur aussehen, und trotzdem stellt sich die gleiche Malaise ein: Es ist nicht auszumachen, was das soll. Wir stehen mit dieser Gruppe vor einem Klassiker, vor den Arbeiten von René Magritte, dem die Albertina eine umfangreiche Retrospektive widmet.

Mit wenigen Ausnahmen gehört es zum Markenzeichen von René Magritte, dass er die einzelnen Elemente auf seinen Bildern zwar naturgetreu wiedergibt, sie dann allerdings derart arrangiert, dass gerade kein Naturausschnitt dargestellt wird. Dabei gibt er sich bescheiden, wenn er unaufgeregt feststellt: "Ich überlasse anderen die Aufgabe, Unruhe zu stiften, zu terrorisieren und alles durcheinanderzubringen.“ Er versteht sich nicht als Revolutionär, der der Welt ein neues Gesicht verpassen möchte. Ähnlich wie sein dadaistischer Vorgänger Marcel Duchamp eignet er sich zum größten Teil banale Alltagsgegenstände an und behandelt sie malerisch, damit deren Mysterium aufblitzt, jenes Mysterium, das für ihn unabdingbar notwendig ist, um überhaupt Realität entstehen zu lassen.

Der Selbstmord der Mutter

René Magritte kommt 1898 im belgischen Lessines zur Welt, als er vierzehn Jahre alt ist, begeht seine Mutter Selbstmord. Der Anblick des mit einem Tuch verdeckten Gesichts der toten Mutter steht nicht nur für viele spätere Bildfindungen Pate, sondern findet sich auch in Magrittes grundsätzlicher Weltanschauung wieder, wonach wir uns vor einer mit Schleiern verborgenen Welt befinden. Mit siebzehn beginnt er ein Studium an der Königlichen Akademie in Brüssel, seinen Lebensunterhalt verdient er allerdings bis in die 1950er-Jahre als Entwurfszeichner und Werbegrafiker. Die Begegnung mit dem Werk von Giorgio de Chirico weist ihm den Weg in Richtung Surrealismus, von 1927 bis 1930 leben er und seine Frau Georgette in Paris in engem Kontakt mit den dortigen Surrealisten wie Jean Arp, Luis Buñuel, Salvador Dalí und André Breton. In der Kriegszeit verschlägt es ihn nochmals nach Südfrankreich, hernach lebt er in Brüssel in bürgerlichem Ambiente, bis er 1967 an Bauchspeicheldrüsenkrebs stirbt.

Bedeutungsverschiebungen

Magritte sprengt die Formen der Gegenstände zwar nicht auf, geht aber dennoch den Erscheinungen der Welt auf den Grund. Was auf den ersten Blick nach absurden Situationen aussieht, zielt auf Bedeutungsverschiebungen, die noch immer einen Sinn ergeben, auch wenn dieser die meisten liebgewonnenen Muster unserer landläufigen Vorstellungen unterwandert. So setzt er Abbilder von Gegenständen auf die Leinwand und schreibt eine ganz andere Bezeichnung darunter, die wir sogleich als Bezeichnung des Dargestellten zu lesen versucht sind; bei Magritte allerdings ist es bloß eine andere Form, ein Objekt ins Bild zu bringen. Von der Wirklichkeit sind für ihn beide, Abbild und Begriff, unendlich weit entfernt.

Traumwelt aus Gegenständen

Seine Verschiebungen von Größenverhältnissen und von Vorder- und Hintergrund oder den Einsatz von nur ausschnittsweise funktionierenden Spiegeln ordnet er auf seinen banal erscheinenden Bildern höchst raffiniert an, sodass das Auffinden einer Botschaft zu einer andauernden Aufgabe wird. "Meine Bilder sind in meinen Augen gültig, wenn die Gegenstände, die sie darstellen, allen Erklärungen widerstehen“, vermerkt er für alle, die eine eindeutige Entschlüsselung anstreben. Das Geheimnis der Welt widersteht für Magritte jeglichem Versuch, es auf den Begriff oder ins Bild bringen zu wollen, vielmehr kann man ihm nur mit der überraschenden und bezaubernden Kraft der Poesie nachspüren. "Man kann über das Mysterium nicht sprechen, man muss von ihm ergriffen sein.“ Dann kann man zum Pinsel greifen und eine Traumwelt aus deutlich erkennbaren Gegenständen malerisch zusammenstellen, die in ihrer Gesamtheit der Wirklichkeit viel näher steht, als die abbildhaften Elemente, aus denen sie gebaut wurde.

Magritte

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien

bis 26. 2. 2012, tägl. 10-18, Mi bis 21 Uhr

Katalog: Magritte. A bis Z, Wien 2011, e 29,-

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