Die Verschwörung zum Fiasko von Genua

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Über Gobalisierung muss und wird weitergeredet werden, doch Gewalt in der Auseinandersetzung ist nicht zu tolerieren.

Anscheinend hatte sich in den letzten Wochen alles dazu verschworen, dass es im Zuge des G-8-Treffens von Genua zu einem Fiasko mit nachhaltigen Nachwirkungen gekommen ist: Ob Demonstranten oder Polizei, auf beiden Seiten war offenbar - zumindest bei einzelnen - die Gewaltbereitschaft zu groß und die Stimme der Vernunft zu leise. Und diesem Beispiel folgten leider auch alsbald österreichische Politiker - viel Bereitschaft zu aggressiver Rhetorik und Vorverurteilungen, wenig Bemühen um nüchterne Klärung der Sachlage. An der Inhaftierung von 16 österreichischen Theaterleuten entzündeten sich grundsätzliche Fragen.

Es gilt, die Geister zu scheiden, die Dinge auseinander zu halten. Die Globalisierung ist ein Thema, die Form der Auseinandersetzung ein anderes, ebenso wichtiges.

Kritische Kirche

Bleiben wir beim Anlass der Proteste von Genua, der Globalisierung. Dieses Thema ist sehr komplex, und es ist auf jeden Fall viel zu einfach, die Menschen in Gegner und Befürworter der Globalisierung einzuteilen und dann noch, wie es Christian Ortner diese Woche im "Format" tut, für die Befürworter Rationalität, Fakten, Sachargumente und Fortschrittlichkeit in Anspruch zu nehmen, der lediglich "die Emotionen einer reaktionären Bewegung" gegenüberstehen.

Viele jener Leute, die jetzt als "Globalisierungsgegner" hingestellt werden, waren die ersten, die dafür eingetreten sind, dass die so genannte Ers-te, Zweite und Dritte Welt zu "einer Welt" zusammenwachsen müssen, dass etliche Probleme nur noch weltweit gelöst und daher weltweit diskutiert werden müssen. Keineswegs prinzipielle Gegnerschaft zur Globalisierung leitet diese Gruppe. Sie sehen in ihr sogar eine - und vielleicht die letzte - Chance, durch weltweite Solidarität bestimmte soziale und ökologische Fehlentwicklungen noch zu stoppen.

Mit einer gewissen Blauäugigkeit hoffen sie auf Maßnahmen, die nur, wenn die ganze Welt mitspielt, wirklich effektiv sind: zum Beispiel eine Kapitaltransfersteuer à la Tobin oder ein diesen Namen verdienendes Klimaabkommen. Wenn dann etliche "Globalisierungsbefürworter" den begründeten Verdacht erwecken, dass sie kaum an ihre Verantwortung für den Globus, sondern nur an ihre eigenen ökonomischen Vorteile denken und dabei mit der Erde umgehen, "als ob wir eine Ersatzerde im Kofferraum hätten" (Konrad Lorenz), löst das natürlich Widerspruch aus.

In der Kritik an der gegenwärtigen Globalisierung treffen einander sogar die sonst eher auseinander driftenden Flügel der katholischen Kirche bis hinauf zum Papst. Auch ein derzeitiger Favorit für die Papstnachfolge, Kardinal Dionigi Tettamanzi, Erzbischof von Genua, der dem nicht gerade als kapitalismusfeindlich bekannten Opus Dei nahe steht, rief aus: "Die Kirche steht an der Seite derer, die gegen die Perversität dieser Globalisierung kämpfen."

Die Frage, wie man zur Globalisierung steht, ist das eine, die Frage, wie man die Ausschreitungen in Genua und deren Folgen bewertet, etwas anderes. Im Fall Globalisierung ist es völlig legitim, verschiedene Meinungen zu vertreten, doch rohe Gewaltanwendung ist grundsätzlich abzulehnen. Die Diskussion über Globalisierung wird und muss weitergehen, der Weg der Gewalt sollte schnellstens verlassen werden, da er sicher in die Irre führt.

Wenn Demonstranten mit Gewalt operieren, schaden sie damit auch ihren berechtigten Anliegen, geht die Exekutive, die dazu prinzipiell unter bestimmten Umständen legitimiert ist, gewaltsam vor, muss sie die Angemessenheit der Mittel im Auge behalten. In Bedrängnis um sich schlagende, bei Lebensgefahr sogar zur Schusswaffe greifende Polizisten verdienen Verständnis, wehrlose Demonstranten niedertretende und -knüppelnde sowie bereits in Polizeigewahrsam befindliche Personen misshandelnde und folternde Staatsdiener gehören dagegen schonungslos zur Verantwortung gezogen. Wie für die Inhaftierten gilt aber natürlich auch für die angeblichen Folterer zunächst die Unschuldsvermutung, sind Vorverurteilungen nicht angebracht, wohl aber eine genaue Untersuchung.

Konsequenzen

Sollten Delinquenten, was immer diese auch verbrochen haben mögen, vorsätzlich gequält worden sein, sind selbstverständlich Konsequenzen fällig.

Vertreter eines demokratischen Rechtsstaates dürfen sich nicht einmal gegenüber überführten Verbrechern und schon gar nicht gegenüber vorderhand nur Tatverdächtigen zu Menschenrechtsverletzungen hinreißen lassen - sonst wird der Rechtsstaat zum Unrechtsstaat oder gar zur Diktatur.

Unnötige Tiraden

Genauso sollten sich aber auch Politiker nicht zu emotionsgeladenen, parteiischen Aussagen hinreißen lassen. Es stand Außenministerin Benita Ferrero-Waldner gar nicht gut an, unter Verdacht geratene Landsleute im Ausland, die ganz offenkundig nicht ihrer politischen Couleur nahe stehen, durch voreilige Statements anzuschwärzen, ehe sie nach einigen Tagen eine Drehung um 180 Grad vollziehen und sich empört über die italienische Vorgangsweise geben musste. Auf der anderen diente auch Johannes Voggenhuber, grüner Mandatar im Europaparlament, mit seinen aggressiven Tiraden und Verschwörungstheorien über ein angebliches abgekartetes Zusammenspiel der "Rechts-Regierungen" in Österreich und Italien in keiner Weise der Wahrheitsfindung.

Dass bereits einige höhere Exekutivbeamte in Italien ihren Hut nehmen mussten, ist ein Zeichen, dass man kein wirklich gutes Gewissen hat. Jetzt gilt es einen kühlen Kopf zu bewahren und alles zu unternehmen, was einer restlosen Aufklärung und entsprechenden Konsequenzen für die Zukunft nützt. Weitere Versuche, sich mit großen Tönen parteipolitisches Kleingeld in dieser Sache zu verschaffen, nützen wahrscheinlich nur einer Vermehrung des Fiaskos zu Genua.

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