"Die Versöhnungsarbeit muß weitergehen"

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Ein Gespräch mit Martin Borman, dem ältesten Sohn von Hitlers Sekretär, der sich dem Dienst an der Versöhnung verschrieben hat. Bei Treffen der Organisation "Täterkinder-Opferkinder" wird heute Versöhnungsarbeit zwischen Israelis und Palästinensern geleistet. asdasdasd

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Ein Gespräch mit Martin Borman, dem ältesten Sohn von Hitlers Sekretär, der sich dem Dienst an der Versöhnung verschrieben hat. Bei Treffen der Organisation "Täterkinder-Opferkinder" wird heute Versöhnungsarbeit zwischen Israelis und Palästinensern geleistet. asdasdasd

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dieFurche: Sie sind einer der Träger der Organisation Täterkinder-Opferkinder. Wie führen Sie die Nachkommen von Feinden zum Dialog?

Martin Bormann: Professor Dan Bar-On von der Ben-Gurion Universtität arbeitete zunächst mit Kindern von Überlebenden des Holocaust, die durch die Sprachlosigkeit der Eltern krank wurden. Die Eltern wollten ihre Kinder nicht mit den Greuel belasten, doch die Kinder litten unter dem Unausgesprochenen. Bar-On kam schließlich nach Deutschland, um auch mit Täterkindern Interviews zu machen. Nach zwei Jahren therapeutischer Aufarbeitung kam es dann zum ersten Treffen der Täter- mit den Opferkindern. Eine Kerngruppe trifft sich seither regelmäßig.

dieFurche: Vergangenen Sommer fand das Jahrestreffen in Hamburg statt. Wer war dabei?

Bormann: In Hamburg-Blankenese, im Haus der Körber-Stiftung trafen sich Nordiren aber auch Südafrikaner. Besonders erschütternd war die Begegnung von Palästinensern und Israelis. Zwei Tage waren mühsam und von vielen Tränen begleitet. Aber wir kamen so weit, daß wir mit Klezmermusik und arabischer Musik fröhlich Abschied feiern konnten. So ein Treffen muß gründlich vorbereitet werden, die Menschen müssen sehr behutsam aufeinander zugehen. Das gelingt, indem zunächst jeder eine Lebensgeschichte und von seinen Verwundungen erzählt. So lernt man sich kennen, man kann aufeinander zugehen. So können Vergebung und Versöhnung wachsen. Es sind ja nicht Täter und Opfer, die sich gegenüberstehen, sondern deren Kinder. Im kommenden Oktober ist das nächste Treffen geplant, und ich bin gespannt, wie es weitergehen wird.

dieFurche: Sie sind das Kind eines Täters, des Hitler-Sekretärs Martin Bormann. Wie haben Sie den Zusammenbruch dessen, das Ihre Lebenswelt war erlebt? Wie wird ein junger Mensch damit fertig, daß er einen Teil seines Lebens unter völlig falschen Voraussetzungen geführt hat.

Bormann: Bei meinem Bauern, beim Querleitner, bei dem ich nach Kriegsende untergetaucht war, habe ich die "Salzburger Nachrichten" gelesen, die erste Tageszeitung, die im amerikanischen Sektor erscheinen durfte. So wurde ich konfrontiert mit Berichten und Fotos über all das, was an unvorstellbarem Leid, an Grausamkeiten und perfektionierter Massenvernichtung über Menschen gebracht worden war - von uns, vom nationalsozialistischen Staat. Beim Querleitner und seiner Familie habe ich aber auch das Christentum kennengelernt, in Form einer selbstverständlich gelebten Nächstenliebe. Sie lebten schlicht und selbstverständlich in einer Weise, die mir beneidenswert schien, ohne Pathos, in einer gelassenen Sicherheit. Christentum und Glaube waren unter diesen Menschen einfach etwas Selbstverständliches. Als ich den Querleitner fragte Was ist Christentum? meinte er, da müsse ich schon die Patres in Maria Kirchental fragen.

Eine Schrift des Pfarrers Franz Singer, ein Heft mit dem Titel "Gerettet - Verloren" aus der Reihe Volksbriefe, brachte die Antwort auf die Frage, die mir auf der Seele brannte, nachdem ich wochenlang die Berichterstattung über den Nürnberger Prozeß verfolgt und so von den Nazi-Verbrechen erfahren hatte. Ich hatte gelesen, daß auch mein Vater, in absentia, zum Tod verurteilt worden war ... In der Schrift des Pater Singer las ich nun, daß es trotz aller Schuld und Verurteilung vor menschlichen Tribunalen Rettung vor dem ewigen Verlorensein geben kann für jeden, der seine Schuld vor Gottes Gerechtigkeit eingesteht und sich Gottes Barmherzigkeit überantwortet.

dieFurche: Aus dieser Gewißheit schöpften Sie auch die Kraft, mit der Vergangenheit ihres Vaters fertig zu werden? Wie war Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater?

Bormann: Mein Vater war streng, liebevoll, konsequent. Er versuchte uns mitzugeben, was er konnte. Aber er hatte immer weniger Zeit für die Familie. 1936 zogen wir auf den Obersalzberg. Mit Kriegsbeginn war mein Vater fast nie mehr zu Hause. Er war schon 1926 zum ersten Mal mit Hitler zusammengekommen, 1928 wurde er Hauptgeschäftsführer der NSDAP. Er war immer in Hitlers engster Umgebung. 1941 wurde er Sekretär des Führers. Ich erinnere mich, ihn einmal gefragt zu haben Was ist Nationalsozialismus? Er antwortete: Nationalsozialismus ist der Wille des Führers. Er war ein gläubiger Anhänger. Mir ist erst nachher bewußt geworden, wie sehr mein Vater in die Verantwortung hineingegangen ist. Ich kann von seiner politischen Verantwortung kein Strichlein wegnehmen.

dieFurche: Sie haben in der Zeitung gelesen, daß Ihr Vater in Abwesenheit als Kriegsverbrecher angeklagt und zum Tod verurteilt wurde. Wie sind sie damit fertig geworden?

Bormann: Es war für mich unbegreiflich, wie der Vater, den ich als liebenden Vater kannte, sich in diese furchtbaren Dinge hineinentwickelt hat. Ich hätte es nicht ertragen, hätte ich in diesen Tagen nicht auch die Botschaft von der Vergebung und der Barmherzigkeit Gottes vernommen.

dieFurche: Verurteilen Sie Ihren Vater?

Bormann: Verurteilen? Das steht nur Gott zu.

dieFurche: Es war also der Glaube, der Ihnen half, mit dieser ideologischen Bürde fertig zu werden.

Bormann: Ja, denn ich las in diesem Heft des Pater Singer erstmals, daß jeder, wie immer er geirrt und gesündigt hat, die Möglichkeit zur Umkehr hat, wenn er nur die Anrufe seines Gewissens hört und befolgt. Dem Vater bleibe ich, wie jedes Kind, dankbar verpflichtet für mein Leben. Vom Funktionsträger kann und darf ich mich ohne Urteil distanzieren.

dieFurche: Sie, der ehemalige Nazi-Eliteschüler, näherten sich also dem christlichen Glauben; Sie, der Sohn des Mannes, der im Dokument Nationalsozialismus und Christentum vom Juni 1941 geschrieben hatte: Ebenso wie die schädlichen Einflüsse der Astrologen, Wahrsager und sonstigen Schwindler ausgeschaltet und durch den Staat unterdrückt werden, muß auch die Einflußmöglichkeit der Kirche restlos beseitigt werden. Was empfinden Sie, wenn Sie den Namen Ihres Vaters unter einem Nazi-Dokument sehen?

Bormann: Ich finde es ganz lustig, wie sich der liebe Gott "gerächt" hat, daß die Bormann-Kinder aktive Christen geworden sind ... Von Januar bis April 1947 ging ich zum Religionsunterricht in den Wallfahrtsort Maria Kirchental. Ich hatte durch Gottes Fügung lebendige Christen gefunden, so lebendig, daß ich einer von ihnen werden wollte.

dieFurche: Wären Sie als gewöhnliches Kind gewöhnlicher Eltern auch Priester geworden?

Bormann: Das weiß ich nicht. Aber ich glaube nicht. Wir hatten ja keine religiöse Erziehung bekommen. Als Kind durfte ich erst nach dem Schulgebet in die Klasse gehen. Wenn die Mitschüler Religionsunterricht hatten, mußte ich immer in eine andere Klasse gehen. Erst nach dem Krieg erfuhr ich, daß nur meine Zwillingsschwestern und die nächste Schwester, die 1931 bzw. 1933 geboren wurden, noch getauft worden waren. Mein Vater hatte auf die Taufe keinen großen Wert gelegt, aber meine Mutter kam aus einer gläubigen evangelischen Familie. Dennoch waren alle nachfolgenden Geschwister bis nach dem Krieg nicht getauft.

dieFurche: Adolf Hitler war Ihr Taufpate.

Bormann: Ja - Adolf Hitler und Ilse Hess.

dieFurche: Haben Sie Erinnerungen an Hitler?

Bormann: Es bestand nie ein vertrautes Verhältnis. Ich war gelegentlich mit auf dem Bild, wenn er sich für Propaganda-Zwecke in einer Kinderschar fotographieren ließ. Ich erinnere mich aber noch, daß mich Hitler nach der Parade zum Abschluß des Münchner Abkommens, am 29. 9. 1938, im Führerbau Mussolini vorgestellt hat.

dieFurche: Wie wurden Sie als junger Erwachsener von der Kirche aufgenommen? Wußte man etwa im Priesterseminar von Ihrer Vergangenheit und der Ihres Vaters.

Bormann: Ja, natürlich. Ich habe alles sofort erzählt. Am 12. Jänner 1947, als ich erstmals in Maria Kirchental mit dem Pater Regens gesprochen habe, habe ich alles erzählt. Am vierten Mai 1947 wurde ich in die katholische Kirche aufgenommen.

Das Gespräch führte Heidemarie Klabacher.

Zur Person: Hitlers Taufkind wurde Priester Martin Bormann wurde im 1930 als ältestes von zehn Kindern des späteren Sekretärs Adolf Hitlers, Martin Bormann, geboren. 1936 übersiedelte die Familie auf den Obersalzberg. 1940 wurde Martin in die von der obersten SA-Führung gegründete "Reichsschule der NSDAP" aufgenommen. Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft fand der 15jährige Unterschlupf bei Salzburger Bergbauern. Nach der Matura im Jahr 1951 studierte er in Innsbruck Theologie und Philosophie und trat in den Orden der Herz-Jesu-Missionare ein. 1958 wurde er zum Priester geweiht. Der Orden schickte ihn in die Kongo-Mission. Nach einem schweren Unfall ließ er sich durch päpstlichen Dispens von den Gelübden entbinden und arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Religionslehrer. Seit 1987 ist Martin Bormann Mitglied der Organisation "Täterkinder-Opferkinder".

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